Wo kamen die Germanen her?

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Die entsprangen aus der Phantasie des Gianfrancesco Poggio Bracciolini, eines toskanischen Bücher(er)finders der frühen Renaissancezeit. Der hatte nämlich finanzstarke Interessenten, die bereit waren für antike Buch-Abschriften sehr hohe Summen zu bezahlen - und er hat diesen Bedarf befriedigt und die so dringend gesuchten Bücher teilweise finden lassen, teilweise auch selber produziert, so weit sie halt gar nicht zu finden waren ...

Hier https://archive.org/details/contributionstow03wienuoft kann man nachlesen, aus welchen Versatzstücken er die vorgebliche Germania des Tacitus zusammengestückelt hat. (Die deutschen Philologen wollten aber diese Forschung eines jüdisch-amerikanischen Professors leider nie zur Kenntnis nehmen ...)

Eine längere und eher kritische Auseinandersetzung mit dieser Frage findest Du auch hier http://www.hist-chron.com/eu/3R/GERMANENFURZ.htm  (nee, ist nicht von mir)

Es geht bei Deiner Frage in erste Linie um die Bedürfnisse des 1871 neu gegründeten Reiches, eigene "uralte" Wurzeln vorweisen zu können.


adelaide196970  07.08.2019, 19:32

die Germanen kamen ungefähr vor 5000 Jahren aus dem Osten. Sie waren langschädelig und überrannten die quadratschädligen Einwohner im Westen und vermischten sich mit ihnen im Laufe der Zeit. Das hat man alten Gräberfunden herausbekommen.

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rr1957  03.05.2017, 14:40

Zu ergänzen wäre noch, dass die Ureinwohner in Mitteleuropa natürlich Kelten waren (auf griechisch-deutsch Galater, romanisch-deutsch Gallier) - so wie fast überall zwischen Atlanikküste und China.

Aber die deutschen Reichgründer des 19. Jahrhunderts fanden es natürlich blöd, dieselben Vorfahren zu haben wie der französische Erzfeind, bloss halt (grossenteils) ohne die römische Zivilisierung. Daher "Germanen".

Nein, etwas ernster: alle deutschen Staaten ausser Preussen und Österreich hatten sich ja kurz vorher Napoleon unterstellt gehabt - man brauchte also dringend ein Argument, warum Deutsche niemals wieder Franzosen sein konnten. Daher "Germanen" vs. "Gallier".

Darum die begeisterte Rezeption des alten Büchleins von "Tacitus".

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Archaeopterix  20.05.2017, 07:47
@rr1957

Ich finde es schon merkwürdig, dass eine Anwort als "Hilfreichste" ausgezeichnet wird, die nicht einmal auf die eigentliche Frage nach der Herkunft der einzelnen Germanenstämme eingeht. Dass rr1957 darüber hinaus eine Theorie ("Tacitusfälschung") propagiert, die nicht sehr glaubwürdig ist, und Behauptungen aufstellt, die ziemlich abseitig sind (Kelten bis China), macht die Antwort auch nicht hilfreicher.

rr1957 stellt offensichtlich die These auf, die Germanen als europäische Völkergruppe seien von Bracciolini erst erfunden worden, in dem er die "Germania" des Tacitus gefälscht habe. Ob man die jedoch als Fälschung betrachtet oder nicht, ist ziemlich belanglos dafür. Denn auch andere, nachweislich schon antike Autoren haben über die Germanen berichtet, wenn auch nicht so umfassend. Eine Völkergruppe nordöstlich der Kelten, die von den Römern als "Germanen" bezeichnet wurde, gab es also zweifellos. Darüber hinaus hat die Sprachwissenschaft grundlegende Unterschiede zwischen den keltischen und den germanischen Sprachen nachgewiesen, die auch schon in der Antike belegt sind. Bis China reichen die Belege für keltische Sprachen allerdings noch lange nicht. Und die Galater in Kleinasien sind schon durch alte Ortsnamen ziemlich deutlich als verstreute, östlichste Sprachinsel zu erkennen.

Außerdem haben sich durch die Archäologie vor allem im 20.Jh. (also im Wesentlichen nach der Fälschungstheorie von Leo Wiener) etliche Angaben in der Germania bestätigen lassen, die ein Renaissance-Literat so nicht hätte wissen können.

Dass die Germania vom deutschen Nationalismus instrumentalisiert wurde, um nationale Eigenständigkeit, Größe und vermeintliche Tugenden zu begründen und ziemlich schnell auch ins Maßlose zu überhöhen, ist natürlich richtig. Das setzt aber nicht erst im 19. Jh. ein, sondern schon bald nach der Entdeckung der Germania.

Dass die deutsche Forschung diese Fälschungsthesen nicht ernst genommen hat, lag weniger daran, dass der Autor "jüdisch-amerikanisch" war, sondern vermutlich daran, dass die These Quatsch ist und philologisch und historisch widerlegt werden kann. Denn auch die "jüdische" und "amerikanische" Forschung ist dieser These nicht gefolgt und hält die Germania weiterhin für ein antikes Werk.

Die "Hilfreichste Antwort" ist in diesem Fall leider falsch!

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rr1957  22.05.2017, 19:11
@Archaeopterix

Ich darf da widersprechen:

bzgl. "eigentliche Frage":  Wenn Du mich fragtest, an welchem Tag meine Tochter Geburtstag hat, und ich antworte, dass ich gar keine Tochter habe - bin ich dann "auf die eigentliche Frage nicht eingegangen" ?

Natürlich hab ich die Frage beantwortet:  es gab diese Stämme gar nicht, sie kamen also nirgendwo her.

Ich habe auch nichts von "Tacitusfälschung" geschrieben, und ich werfe Herrn Poggio auch keine böse Fälschungsabsicht vor. Was er gemacht hat waren Rekonstruktionen - man wollte damals die lateinische Kultur fördern und brauchte dafür dringend lateinische Bücher zum Lesen und Lernen, und Poggio war gebildet und sehr gut informiert und hat die besten Bücher rekonstruiert, die möglich waren, und das war eine gute und nützliche Tat.

Man darf das sehen wie wenn ein Haus, das durch ein Erdbeben eingestürzt ist, wieder aufgebaut wird - das ist dann ja auch keine "Fälschung", sondern eine Rekonstruktion, und grundsätzlich eine gute Sache. Aber man darf halt nicht verwundert sein, wenn dann im rekonstruierten Haus Kunststoffrohre verlegt sind, und darf keine falschen Folgerungen ziehen.

Wir wissen übrigens eben NICHT, was dieser Renaissance-Literat hätte wissen können - denn wir wissen, dass das Ausgangsmaterial, auf das er seine Rekonstruktionen gestützt hat, verschwunden ist. Dein Argument, wonach er gestimmte Details nicht hätte wissen können, ist also nicht stichhaltig. Es könnte z.B. durchaus sein, dass er wirklich eine echtes antikes Tacitus-Manuskript gefunden hatte, das nur leider zu 96% nicht mehr lesbar war ... und deswegen unter Verwendung von Phantasie und anderem Material rekonstruiert werden musste. Die Germania ist ein rekonstruierter Text aus überlieferten Brocken und und Versatzstücken, kann im Detail mal stimmen, muss aber nicht stimmen. Das haben nicht nur Leo Wiener, sondern auch französische und britische Forscher belegt.

Was die Kelten bis China angeht, beziehe ich mich auf die berühmten Trockenmumien von Urumchi - die sind sowohl nach körperlichen (rote Haare) als auch nach kulturellen Merkmalen (Kleidung, Tatoos) klar als Kelten erkennbar (Ist halt auch nicht politisch korrekt in China, die wollen halt auch Ur-Chinesen finden.)

Und was die positive Empfehlung für den Fragesteller angeht:   schau einfach auf die vorchristlichen Gräber, welche die Archäologen in Deutschland gefunden haben - Kelten ? Germanen ? Slawen ?    (meines Wissens ganz überwiegend Kelten, aber ich hab das nicht wirklich untersucht und würd mich da schon belehren lassen, wenn es tatsächlich überzeugend "germanische" Funde gibt ... kennst Du welche?)

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Archaeopterix  25.05.2017, 07:57
@rr1957

Bleibt falsch:

Deine Antwort war, es hätte keine germanischen Stämme und keine Germanen gegeben, sie wären eine Erfindung von Bracciolini. Es ist aber egal, ob du für die "Germania" des Tacitus zu 4%, zu 96% oder zu 100% die Phantasie von Bracciolini annimmst: Die Germania ist bei weitem nicht der einzige und auch nicht der älteste Text, der über Germanen berichtet und Namen einzelner germanischer Stämme mitteilt. Im Gegenteil, germanische Stämme finden sich haufenweise bei Caesar, Ptolemaios, Strabon, Plinius bis hin zu Ammianus Marcellinus und Jordanes. Germanen und einzelne Germanenstämme sind aber nicht nur historisch, sondern auch inschriftlich, archäologisch, sprachwissenschaftlich und namenkundlich zweifelsfrei belegbar. Deine Antwort ist und bleibt also falsch!

Tacitus-"Rekonstruktion"?

Daher ist es auch müßig, sich über die Theorie einer Germania-Fälschung oder "Rekonstruktion" herumzustreiten. Dass sie Versatzstücke anderer antiker Autoren enthält, ist unstreitig. Denn wie andere antike Historiker auch hat Tacitus keine Feldforschungen betrieben, sondern Berichte von Reisenden, Soldaten und älteren Geschichtsschreibern ausgewertet. Es ist natürlich einfach, über irgendwelche anderen Quellen Bracciolinis zu spekulieren. Antike Quellen, die in der Renaissance vorhanden waren, die aber nicht veröffentlicht worden sind und über die sich im reichhaltigen Briefwechsel der Humanisten kein Nachweis findet. Solche Quellen kann man unterstellen, um inzwischen bestätigte Aussagen der Germania zu erklären, die sich sonst in der antiken Literatur nicht finden. Ob solche Spekulationen tragfähig belegt sind, muss die philologische Forschung beurteilen. Und die ist diesen Thesen nun mal nicht gefolgt - ich vermute auch aus philologisch gutem Grund.

Mumien des Tarim-Beckens

Dass die Tarim-Mumien Europäer sind, ist ebenfalls unstrittig (auch wenn das manchen Chinesen nicht gefallen mag). Dass Kelten alle rothaarig sind, ist ein populärer Mythos, den ich etwas bezweifle. Dass sie eine Vorliebe für Karomuster hatten, lässt sich bestätigen, ist aber kein Alleinstellungsmerkmal der Kelten. Karomuster entstehen schon bei einfachsten Webtechniken von selbst, wenn man verschiedenfarbige Fäden verwendet. In China sind die schon 3500 v. Chr. belegt. Die Tarim-Mumien stammen übrigens z.T. schon aus der Bronzezeit, als man hierzulande noch lange keine schriftliche Überlieferung von "Kelten" hat. Ganz in der Nähe gibt es Überreste einer bisher ziemlich isolierten indogermanischen Sprache namens Tocharisch. Dass die mit den europäischen Mumien in Zusammenhang stehen, ist möglich, allerdings nicht klar. Zum Keltischen gehört Tocharisch aber keineswegs. In populären Fernsehdokus ist aber natürlich klar: rothaarige Karoträger - da sind in China natürlich Iren und Schotten eingewandert. Das ist ein bisschen zu simpel, um das als feststehende Tatsache zu verkaufen.

Archäologische Nachweise für Germanen

Bitteschön, schauen wir auf die vorgeschichtlichen Gräber und Siedlungen in Mitteleuropa. Da finden wir in Frankreich, Süddeutschland, Böhmen in der älteren Eisenzeit die Hallstattkultur mit Fürstensitzen, reichen Körpergräbern unter Grabhügeln und Handelsbeziehungen bis nach Griechenland. Daraus entwickelt sich die Latènekultur, die sich nach Westen und nach Südosteuropa hinein ausdehnt, mit großen stadtähnlichen Siedlungen, in denen hochwertige Keramik auf der Drehscheibe hergestellt wird, Glas zu Armringen verarbeitet wird (es ist nicht genau bekannt, wie man das gemacht hat, und Glashandwerker haben mir versichert, sie könnten das ohne moderne Gasbrenner und -öfen nicht nachmachen).

Nordöstlich davon, in Norddeutschland, Nordpolen, Dänemark und Skandinavien bleibt die Kultur (Jastorf-Kultur) bäuerlich und dörflich, Keramik ist immer handgeformt und hat schon andere Grundformen, genau wie beim Schmuck. Auch der Kunststil für Schmuck und Keramikverzierungen ist ein deutlich anderer. Die Toten werden verbrannt und in meist kleinen Brandgrubengräbern beigesetzt. Es gibt inzwischen sogar Moorfunde aus Norddeutschland mit dem von Tacitus beschriebenen Suebenknoten.

Diese Unterschiede entsprechen im Großen und Ganzen sehr gut den historischen germanischen und keltischen Stämmen. Im Jahrhundert vor der Zeitenwende sind archäologisch Wanderungen aus der Jastorfkultur nach Süden und Westen belegt (historisch trifft Caesar auf Sueben im Elsass und andere Germanen am Mittelrhein). Von diesen Wanderzügen finden wir die Nachkommen als Markomannen in Böhmen und als Neckarsueben am nördlichen Oberrhein. Noch für die römische Zeit konnte man vor einigen Jahren Unterschiede in der Religion zwischen dem nördlichen Oberrhein, wo germanische Stämme seit Caesar nachgewiesen sind, und dem südlichen, wo die keltische Grundbevölkerung nicht germanisiert worden ist, nachweisen.

Wenn du unbedingt daran glauben willst, dass die "Germania" eine Rekonstruktion der Renaissance ist, meinetwegen. Die germanischen Stämme sind so oder so zweifelsfrei nachgewiesen.

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Interessant könnte in diesem Zusammenhang folgendes sein:
(dort findest du auch einen Hinweis auf die Himmelsscheibe von Nebra)

https://de.wikipedia.org/wiki/Aunjetitzer_Kultur

Um ca. 2000 v.Chr. gab es Menschen im mittleren Europa, die man heute von verschiedenen Funden her kennt (z.B. Dolche, Bronzeverarbeitung). Es gab auch sog. "Schnurkeramiker" (benannt nach der Keramik, die sie entsprechend verzierten).

Die "Aunjetitzer Kultur" ist nach einem Fundort in Tschechien benannt. Es gab solche Funde aber auch anderswo. Es gibt die Theorie, dass die südliche Gruppe die Vorfahren der späteren "Italo-Kelten" stellten, und die nördliche Gruppe (nördlich vom Erzgebirge) die Vorfahren der späteren "Germanen".

Die weitere Aufteilung in Westgermanen, Nordgermanen (Skandinavien) und Ostgermanen (z.B. Goten, siehe Gebiete im Ostseeraum) fand wiederum später statt. In Deutschland kann man eine spätere Ausdehnung germanischer Stämme von Nord nach Süd feststellen (nach dem Machtvakuum durch den Zusammenbruch des römischen Imperiums). Für Süddeutschland ist ein hoher Einfluss keltischer Gruppen nachgewiesen (diese wurden erst "romanisiert", später gewissermaßen "germanisiert").

Damit ist aber nicht gesagt, dass diese (Aunjetitzer) Kultur die "älteste" in Mitteleuropa war. Es gab schon früher Menschen hier (auch solche, die keine indogermanische Sprache benutzten).

Die Germanen stammen von der Jastorf-Kultur ab, das ursprüngliche Siedlungsgebiet war Norddeutschland und südliche Teile von Skandinavien. Diese Kultur breitete sich dann weiter aus und bildete die germanischen Volksgruppen.

Germanen sind indogermanisierte Vaskonen (Urbasken). Vaskonen nennt man unsere Vorfahren in Europa, die sich während der letzten Eiszeit in Südfrankreich aufhielten und nach der Erderwärmung von dort ausschwärmten und in Europa verteilten. Das sind die Ureuropäer. Auch heute noch sind 70 % der heutigen Europäer genetisch "Basken". Viel darüber ist nachzulesen in "Das Werden der Völker in Europa", Autorin: Elisabeth Hamel.

Wenn du mit deiner Frage meinst, wo die germanischen Völker beim Beginn schriftlicher Überlieferung wohnten (Berichte durch Römer und Griechen), die sind in der Wikipedia aufgeführt und es gibt Verbreitunskarten dazu:

https://de.wikipedia.org/wiki/Germanen#St.C3.A4mme_zur_Zeitenwende


Archaeopterix  21.05.2017, 07:00

Über die Geschichte und Herkunft einzelner germanischer Völker ("Stämme") vor den ersten schriftlich überlieferten Hinweisen antiker Autoren weiß man kaum etwas. Selbst die "Herkunft" der Germanen (als was? Sprachgruppe, Bevölkerung, Kultur?) ist unklar und umstritten.

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