Wieso sind Kindermärchen so grausam?

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...mein Fingerzeig geht sehr in Richtung der Zeilen, die @Koschtschej hier schon hinterlassen hat - genau so nämlich is´das.

:-)

Vielleicht nur noch ergänzend, dass Kinder (wie du schon sagst) die Märchen tatsächlich "anders" verstehen - nämlich auf ihre ganz eigene, sehr intuitive Art und Weise.

Unter der (nur oberflächlichen!) augenscheinlichen "Brutalität" nämlich verbirgt sich eine noch ganz andere Ebene - und genau jene nehmen die Kinder in der Regel sehr deutlich wahr.

Unmittelbar mit dem im Zusammenhang steht auch das sogenannte "Magische Denken", das Kindern (etwa so im Alter zwischen 4 und 7 Jahren) zu eigen ist - und in dieser Zeit sind sie bekanntlich den Märchen gegenüber ja auch sehr offen; danach schließt sich dieses Zeitfenster (zunächst) dann auch wieder (bevor es sich vielleicht irgendwann wieder öffnet.......).

Kinder (und insbesondere Vorschul- und Grundschulkinder) betrachten die Welt ja nun mit ganz anderen Augen, als Erwachsene das so gemeinhin tun. So ein einfacher Pappkarton beispielsweise ist für sie alles - aber kein einfacher Pappkarton (der kann, wie man weiß Piratenschiff, Ritterburg, Drachenhöhle, Märchenschloss, Puppenstube undundund sein). Niemals aber nur ein Ding aus Pappe.

Denn im Gegensatz zu "uns", die wir "gelernt" haben, dass die Dinge "sind, was sie sind", kennt das kindliche Denken noch keine Grenzen, sozusagen. Für Kinder ist alles vorstellbar - und alles auch möglich. Sie "erwarten" sozusagen "das Unerwartete"; es schreckt sie auch sehr viel weniger als uns.

Auch insofern also "mildert" sich nochmals all das, was einem Erwachsenen die Haare zu Berge stehen lässt, wenn er so´n Märchenbuch aufschlägt. Für Kinder ist das, was sie da hören, eben lediglich "zauberhaft" (auch wenn´s uns "grausam" erscheint) - und ganz ihrem (derzeitigen) Blick auf die Welt entsprechend...

(und im Übrigen muss man sich nur mal bisschen zurück erinnern, wie es einem selbst so erging als Kind..... ist gar nich´ immer so schwierig)

Ursprünglich waren die ¨Grimms Märchen¨garkeine Kindermärchen. Es waren Märchen, die sich die Leute früher immer wieder erzählt haben. Oft wurde auch etwas dazu erfunden. Erst die Brüder Grimm haben die Märchen als erste aufgeschrieben und etwas verharmlost. SO ist oft die Böse nicht die Mutter, sondern ¨nur¨die Stiefmutter oder die Hexe. Erst viel Später wurden einige der Märchen als Kindermärchen weiter verbreitet. Aber es gibt noch immer die nicht für Kinder geeigneten Versionen dieser Märchen.

Grimms Märchen sind allgemein sehr brutal. Meine Mutter hat mir in meiner Kindheit kein einziges davon vorgelesen. Ich lernte die erst in der Grundschule kennen. Ebenso erfuhr ich erst in der Grundschule, dass Bambis Mutter erschossen wird...

Märchen sind allesamt grausam, brutal und blutig. Es taucht doch immer irgendwo ein Bösewicht auf. Und auffalend ist doch auch, dass es oft böse Mütter oder böse Stiefmütter gibt. Seltsam, oder? Nur Bambis Mutter war nicht böse. Und sie musste sterben. Wobei wird sie wirklich erschossen? Habe es bis heute noch nicht geschafft, den Film vollständig anzusehen. Kenne den nur zum Teil.


JulyMrsBig  13.11.2012, 14:12

Sie wird erschossen:-(. Kriegt man glaube ich gar nicht so doll mit, weil weil sie hinter Bambi läuft und man nur noch ihn sieht. Und als er angekommen ist, ist die Mutter einfach weg und kommt nicht wieder:-(.

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In Märchen werden sehr drastische, oft überzeichnete Situationen geschildert. Die Gewalt hat aber nach Deutung von Bruno Bettelheim und anderen eher eine symbolische Funktion. Wenn beispielsweise in "Hänsel und Gretel" die Hexe verbrennt, dann ist nicht die Hexe als Person gemeint, sondern sie symbolisiert das Böse. Diese Symbolsprache, meint Bettelheim, soll zu einer Katharsis (http://de.wikipedia.org/wiki/Katharsis_%28Psychologie%29) führen, d.h. meine eigenen inneren Konflikte werden durch die überzeichneten Konfliktlösungen in den Märchen bereinigt. Soweit die Theorie. (Buch: "Kinder brauchen Märchen")

Anmerken möchte ich noch, dass die Brüder Grimm viele Märchen von Brutalitäten befreit haben. Nicht gänzlich, aber zum Teil. Sie haben zum Beispiel die menschenfressende Mutter des Prinzen aus "Dornröschen" herausgestrichen (vgl. Basile und Perrault), und in ihrer "Ali Baba"-Version (heißt bei Grimm "Der Simeliberg") gibt es keinen Massenmord an den vierzig Räubern und auch keine gevierteilten und wieder zusammengeflickten Leichen wie im Original. Sicher: Es bleiben noch genug Brutalitäten übrig, aber im Vergleich zu den älteren Versionen der Märchen, sind die Grimm-Fassungen regelrecht harmlos.

Die Märchen sind allesamt schon sehr alt, damals gab es noch nicht die Informationsvielfalt wie heute. Die meisten Leute, natürlich auch die Kinder, waren auf dem Land zuhause, ohne Zugang zu Schulen und sonstiger Bildung. Wie erklär ich jetzt aber meinem ungebildeten (ich möcht nicht sagen dummen, denn das ist ja unverschildet) Kind, dass es nicht von zuhause abhauen und allein in den Wald darf, wenn es die Gründe einfach nicht verstehen kann?

Ich erfinde mir am besten eine Geschichte von 2 Kindern die von zuhause weggeschickt wurden und im Wald auf eine bratwütige Hexe mit kannibalistischen Neigungen gestoßen sind. Zum Glück können sich die Kinder mit einer waschechten Hexenverbrennung revanchieren - puh, Glück gehabt.

Wenn ich das eindrucksvoll rüberbring und meinen Kindern damit auch so richtig Angst mach...die werden sicher nicht mehr allein in den Wald laufen. Ein Märchen, je grausamer desto besser, ist also viel wirkungsvoller als nur eine Ermahnung oder Zurechtweisung, die man ja (kennen wir alle...) dann erst recht nicht befolgen will. Sollen sich die Kinder ruhig vor der Kannibalen-Hexe fürchten, dann sind sie wenigstens vor den wirklichen Gefahren geschützt.