Wie zuverlässig sind DNA Tests zur Ethnizitätsfeststellung?

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Die Ethnie lässt sich mit DNA-Tests gar nicht feststellen. Der Begriff der Ethnie ist ausschließlich kulturell definiert, etwa durch eine gemeinsame Sprache, Religion, Essgewohnheiten, Mythen, Traditionen, Musik usw. Die Herkunft spielt bei der Ethnie hingegen keine Rolle. Wenn wir mit der DNA die Herkunft ermitteln wollen, dann ist das viel eher eine Frage der Phylogenie, also der Abstammungsgeschichte.

Und hier wird es nun sehr kompliziert. Denn genetisch gesehen hat kein Mensch auf der Welt nur eine Herkunftsregion - wenn wir einmal außer Acht lassen, dass, wenn wir nur weit genug in der Zeit zurück gehen, die Wurzeln der gesamten Menschheit letztendlich in Afrika liegen. Der Grund dafür ist, dass es Migrationsbewegungen zwischen den verschiedenen Menschenpopulation schon immer gegeben hat und diese haben dafür gesorgt, dass der Genpool praktisch seit die Menschheit existiert schon immer kräftig durchgemischt wurde. Als beispielsweise der anatomisch moderne Mensch (Homo sapiens sapiens) Afrika verließ und nach Eurasien auswanderte, traf er auf den Neanderthaler (Homo sapiens neanderthalensis), dessen Vorfahren einige tausend Jahre früher ebenfalls aus Afrika nach Eurasien ausgewandert waren. Anatomisch moderne Menschen und Neanderthaler paarten sich miteinander und so kam es zu einem bis heute noch nachweisbaren Genfluss zwischen diesen beiden Menschenlinien. Noch heute hat jeder Nichtafrikaner rund ein bis zwei Prozent Genvarianten in seinem Erbgut, die ursprünglich vom Neanderthaler kamen. Manche dieser Genvarianten sind mit der Textur der Haut und der Haare assoziiert und halfen unseren Vorfahren möglicherweise dabei, mit dem kühleren Klima Eurasiens zurecht zu kommen. Andere Genvarianten waren wahrscheinlich vorteilhaft, weil sie besser vor lokalen Krankheitserregern schützten. Eine bestimmte Genvariante, die ursprünglich vom Neanderthaler stammte, erhöht aber auch nachweislich das Risiko, schwer an Covid19 zu erkranken. Einige anatomisch moderne Menschen wanderten später wieder in die Gegenrichtung zurück - so kamen Teile des Neanderthaler-Erbguts schließlich auch nach Nordafrika. Auch mit dem Denisova-Menschen, einem engen Verwandten des Neanderthalers, haben sich die anatomisch modernen Menschen in Asien gekreuzt. Und die Vorfahren von Neanderthaler und Denisovanern wiederum hatten sich, als sie Afrika verließen, mit dem noch früher nach Eurasien ausgewanderten Homo erectus gekreuzt.

Auch in späterer Zeit hat es immer wieder Wanderbewegungen auf dem europäischen Kontinent gegeben, die sich bis heute genetisch niedergeschlagen haben. Als die ersten Menschen nach Europa kamen, waren sie noch dunkelhäutig und blieben das auch sehr lange noch. Erst vor etwa 6000 Jahren wanderten aus der Levante (die Region des Fruchtbaren Halbmonds in Kleinasien) Menschen ein, die hellhäutig waren. Sie waren es auch, die Ackerbau und Viehzucht nach Europa mitbrachten. Die Neuankömmlinge brachten die neuen Genvarianten für helle Haut in den Genpool der ursprünglichen Jäger-Sammler-Gesellschaften ein, die nach und nach auch die sesshafte Lebensweise übernahmen. Vermutlich durch sexuelle Selektion als treibender Hauptkraft wurde die helle Hautfarbe ziemlich schnell der dominierende Phänotyp in ganz Europa. Sogar sprachlich lässt sich diese Besiedlung bis heute nachweisen. Denn alle Sprachen, die heute in Europa gesprochen werden, lassen sich auf eine Ursprache zurückführen, die in Kleinasien entstanden sein muss - mit einer Ausnahme: das Baskische, das im Grenzgebiet zwischen Spanien und Frankreich gesprochen wird, hat sich wahrscheinlich als der letzte Überrest der ursprünglichen Sprache der Jäger-Sammler-Kulturen erhalten. In historischer Zeit schließlich haben die Wanderbewegungen im spätrömischen Reich (die Zeit der Völkerwanderung) für eine genetische Durchmischung gesorgt. Anderes Beispiel ist die Vertreibung der Hugenotten aus Frankreich.

Was machen diese DNA-Tests eigentlich? Sie bestimmen im Prinzip von verschiedenen Genorten, welche Genvarianten (Allele) du hast. Diese Allele ordnen sie dann einer Region zu, in der diese Variante besonders häufig vorkommt. Wahrscheinlich ist diese Genvariante tatsächlich auch an diesem Ort ursprünglich entstanden. Das heißt aber nicht, dass diese Genvariante nur auf diesen Ort beschränkt sein muss, weil eben durch die stetige Zu- und Abwanderung in der Vergangenheit die verschiedenen Menschenpopulationen ihre Genvarianten munter ausgetauscht haben und auch heute noch austauschen. Schauen wir uns das mal an einem ganz konkreten Beispiel an. Nehmen wir an, du trägst die Genvariante für Rutilismus (rote Haare) in dir. Besonders häufig kommt diese Genvariante im keltischen Raum vor, also im heutigen Großbritannien und in Irland. Wenn du diese Genvariante in dir trägst, würde ein solche DNA-Test diese Variante also als "britisch" zuordnen. Aber diese Genvariante kommt, nur eben mit geringerer Häufigkeit, z. B. auch in Mitteleuropa vor, wobei sie in Norddeutschland etwas häufiger ist als in Süddeutschland. In Bayern ist diese Variante wiederum etwas häufiger als im Rest Süddeutschlands, weil das Volk der Bajuwaren teilweise keltische Wurzeln hat. Die Kelten waren nämlich vermutlich die ersten, welche die Münchner Kiesebene dauerhaft besiedelten. Später vermischten sie sich mit Römern und germanischen Stämmen und so ging daraus das Volk der Bajuwaren hervor. Und sogar in Afrika findet sich diese Genvariante. Die Genvariante für rotes Haar ist also in Wirklichkeit keine "britische", sondern sie kommt ubiquitär vor - bloß eben in den verschiedenen Regionen mit unterschiedlicher Häufigkeit.

Fazit: wir alle tragen in unseren Genen eine bunte Mischung aus verschiedenen "Herkunftsregionen" in uns. Das Ergebnis, das du bekommen hast, ist also überhaupt nicht überraschend, sondern eigentlich genau das, war wir erwarten müssen. Da die genetische Vermischung extrem weit in die Vergangenheit zurückreicht, ist es auch nicht überraschend, dass Teile deiner DNA aus Regionen stammen, aus denen keiner deiner unmittelbaren Vorfahren stammt.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Biologiestudium, Universität Leipzig

Wintermadl 
Beitragsersteller
 26.05.2024, 13:01

Vielen lieben Dank für diese ausführliche Antwort. Das erklärt dann tatsächlich einiges. 😊

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Ich habe mit 23&megute Erfahrungen gemacht. AncestryDNA soll etwas besser sein, weil es eine größerer Datenbank hat, aber die wollen bei der Ahnenforschung eine zusätzliche Monatsgebühr.

In Summe: Netter Familienspaß, besonders wenn man sich etwas für die eigene Ahnenforschung begeistert. Es geht eher nicht darum ob man Italiener oder Franzose ist, sondern ob bestimmte genetische Marker, die in bestimmten Regionen oder Ethnien gehäuft auftreten, bei einem selbst vorliegen. Dazu werden auch die mütterliche/väterlichen Haplogruppen bestimmt, die auf uralte Abstammungslinien hin weisen (mit Rückschlüssen auf die Wanderungsbewegungen der Frühmenschen).

Meine Familie hat den Test über 23&me gemacht und die Ergebnisse passen recht gut zu dem was wir über unser Großeltern/Urgroßeltern etc wussten, lediglich der Grad der Zuordnung hat uns stellenweise überrascht.

Dazu bekommt man auch Mitteilungen zu der Anzahl der Cousins 1.- 5. Grades, die auch diese Test gemacht haben. Die kann man freischalten wenn man möchte um Z.B. herauszufinden inwiefern ein Cousin n. Grades in Amiland mit einem verwandt ist. Ich habe tatsächlich eine Cousine 2. Grades (gemeinsame Urgroßeltern) in den USA gefunden was mir dann einen ganzen Schwung Verwandtschaft hier vor Ort "eingebracht" hat.

Dazu kommen noch Aussagen zu Wahrscheinlichkeitsangaben zu bestimmten körperlichen Eigenschaften oder auch der Anteil von Neandertalergenen.

Leider dürfen, im Gegensatz zu den USA, keine Angaben zu genetisch bedingten Krankheiten oder gravierenden Abweichungen gemacht werden, aber man kann den Rohdatensatz anfordern und mit Hilfe eines Fachkundigen selbst eine Analyse durchführen (ist aber recht zeitaufwendig).

Hier ist eine Bewertung und Aufstellung der Leistungen von 23&me: https://de.dnaweekly.com/reviews/23andme/

Es gibt auch andere Anbieter, aber eines meiner Kinder ist vom Fach und hatte diesen als den Beste ausgewählt (als Geburtstagsgeschenk für mich 😎)

Überhaupt nicht. Ein DNA Tests hinsichtlich "Nationalitäten" hat keinerlei Aussagekraft für das Individuum, weil der Datensatz lediglich gegen existente Tabellen gelegt wird.

Wenn statistisch gesehen 60% der Leute mit DNA Merkmal y aus Italien stammen, heißt das ja nicht, dass in den restlichen 40% irgendwo Italien aufzufinden wäre. Trotzdem steht dann Italien dabei, einfach weil es der reinen Mehrheit entspricht.

Und das wäre ja nur bei einer "seriösen" Option der Fall. Bei Unseriösen gibt es sogar nicht mal eine rein statistische Datenbank oder nur eine schlecht gefütterte.


Wintermadl 
Beitragsersteller
 25.05.2024, 19:26

Okay. :) Danke für die Antwort.
Das hilft mir etwas beim besseren Verständnis.

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Die Firmen dahinter verkaufen die Daten der Gentests weiter und auch Behörden haben Zugriff. Deshalb habe ich es verworfen selbst einen zu machen.

Dass man die Nationalität feststellen könnte ist schlicht gelogen. Die Genlinie der Mutter ist weiter zurück verfolgbar (bis zur Steinzeit) als die vom Vater (max. 4 Generationen)
Es gibt in Kontinentaleuropa nur diese genetischen Volksgruppen, die rein oder gemischt vorkommen - Germanen, Kelten, Itaker, Slawen, und östlicher Mittelmeerraum (kenne die genaue Bezeichnung nicht, meine die Skythen)

Darunter gibt es ca. 40 Stämme

Österreicher sind wie die Bayern Kelten

Woher ich das weiß:Recherche