Wie kann man in Geschichten Narben gut beschreiben?

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Sieht aus wie Sansa, die etwas zu lange mti Ramsay und einem Messer alleine war. Also versuchen wir es mal:

Die mächtigen Portale öffneten sich und schlugen mit dem dumpfen Geräusch eines sich schließenden Sargdeckels gegen die Steinwände. Stab rieselte von der Decke, der Raum um mich herum war so kühl und klamm, dass ich meinen Mantel enger um die Schultern zog, dessen Pelzbesetzter Saum auf dem Boden schleifte und dessen Farbe am Ende meines Besuchs vermutlich von weiß zu grau geworden sein würde.
Unwillkürlich wandte ich meinen Blick in Richtung des Kamins, der einzigen Lichtquelle in diesem kalten, verlassenen Mausoleum, der zumindest ein flackerndes, dämmriges Licht in den Saal zu werfen schien. Ein paar Sessel standen vor ihm, den Blick auf die Flammen gerichtet, doch sie schienen leer zu sein
Gerade wollte ich mich umwenden, wieder zur Tür hinaus, den Gang hinab und den Castellan de Hauses Bolton zur Rede stellen, ihm das Schreiben zeigen, das noch immer in meiner Hand lag, in der Hoffnung, dass wenigstens der Löwe der Lannisters bei ihm einen gewissen Eindruck hinterlassen würde, wenn meine eindringlichen Worte seinen grobschlächtigen Schädel schon nicht zu durchdringen vermochten, als ich ein leises Schluchzen aus einer der Ecken hörte.
"Mylady?", fragte ich leise in die Stille, lauschte, wie meine Worte unter der hohen Decke zu verschwinden schienen.
"Lady Stark?"
Das Schluchzen war verstummte. Nur der anhaltende Regen vor den Fenstern hielt an, rauschte weiter in meinen Ohren, eine ständige Erinnerung daran, dass schon meine Abfahrt nicht allzu angenehm sein würde, ganz zu schweigen von meinem frostigen Empfang zu Hause, wenn ich mit leeren Händen zurückkehrte.
"Mylady?", versuchte ich es noch einmal, doch das Schluchzen war verstummte. Auch wenn ich jetzt sehen konnte, wie sich eine große, schlanke Gestalt aus einem hohen Lehnstuhl in einer Ecke des Raumes erhob. Er war gegen die Wand gerichtet. Nicht einmal gegen ein Fenster, sondern gegen die bloßen, grauen, dunklen Steinen, von denen das Wasser zu Boden perlte.
"Geht!", erwiderte sie mit zitternder Stimme: Sie hatte sich erhoben, doch ihre AUgen hingen weiterhin an der Wand, als wollte sie etwas fixieren dass ich nicht zu erkennen vermochte.
"Mylady, die Königin schickt mich! Sie verlangt...!"
"Richtet der Königin meine Grüße aus!" Ihre Stimme schien zu brechen, doch so ich wirklich ein Schluchzen erwartet hatte, wurde ich enttäuscht.
"Mylady, die Königin...!", setzte ich noch einmal an, mit aller Dummheit und Naivität derer ich fähig war.
"Sie verlangt, dass ihr mich zurück an den Hof bringt?"
Sie klang beinahe amüsiert.
"Ja, Mylady!"
Sie erwiderte nichts und für einen Moment glaubte ich, sie sei wieder in ihre Trance gefallen, dann setzte sie sich in Bewegung, glitt über den kalten Steinboden, gleich einem Geist, von der Dunkelheit in den matten Schein des Feuers. Ihr langes weißes Kleid, dessen Ärmel ebenso auf dem Boden schleiften, wie der Pelz an meinem Saum, gab ihr ein noch geisterhafteres Erscheinungsbild, selbst als sie schließlich vor dem Kamin stand, riesenhafte Schatten gegen die Wand werfend.
"Mylady, die Königin...!"
"Sagt mir, ist es das, was sie Königin sehen will?"
Kälte lag in ihrer Stimme, doch es war mir unmöglich darüber nachzudenken, als sie sich umwandte und mir tief in die Augen starrte. Große, hellblaue, beinahe blind wirkende Augen starrten mich tränengefüllt an, ein leichtes Flehen in ihnen, das ich nicht zu deuten vermochte, bis mein Blick über ihr Gesicht glitt.
"Mylady...!", flüsterte ich leise, spürte wie Tränen in meine Augen stiegen, ohne dass ich sie wegzublinzeln vermochte.
Was mich anstarrte hatte nichts mit der aufblühenden Schönheit zu tun, die mir beschrieben worden war. Sie hatte noch das lange, dunkelrote Haar, an dem ich sie erkennen sollte, sie hatte noch die zarte, weiße Haut, die blauen Augen, doch was dazwischen war...

Langsam trat ich auf sie zu, versuchte der Versuchung zu wiederstehen eine Hand auszustrecken, sie zu berühren, zu prüfen, ob das alles wirklich echt war oder nichts weiter, als ein Schrecklicher Traum, aus dem ich in Bälde erwachen würde.
Das, was mir als hübsches Rosenknospenmündchen beschrieben worden war, sah aus, als hätte jemand ihr mit einem hässlichen, kreuzförmigen Schnitt den Mund verbieten wollen. 'Eine Dame spricht nicht, sie schweigt!', gingen mir die Worte durch den Kopf, die wohl jede hochwohlgeborene Dame in Westeros einmal von irgendjemandem zu hören bekommen hatte, doch nichts, keine Strafe war wohl so grausam gewesen, wie diese Narbe, die sich über ihre Lippen zog, als hätte man ihr diese Lektion ins Fleisch schneiden wollen.
"Mylady...!", hauchte ich noch einmal, spürte wie Tränen über meine Wangen liefen, als dieses arme junge Mädchen vor mir, das doch Haltung bewahrte, wie sie einer Königin zugekommen wäre, eine blasse, knochige Hand hob, um sich vorsichtig die Haare aus der Stirn zu streichen und eine weitere Narbe zum Vorschein zu bringen, schrecklicher, als die um ihren Mund.
Dieses Mal war es ein Kreis, der dunkelrot schimmernd, als sei er gerade frisch geschnitten worden, von ihrer blassen Stirn aufflammte und in dessen Bögen acht Striche geschnitten waren, als hätte ein Irrer versucht einen Kompass nachzubilden. Ein Kompass ohne Nadeln, zugegeben, dafür mit dem Ausläufer eines Schnittes, der sich bis zu ihrer Nase zog und sich dann teilte, um etwa auf der Mitte ihrer Wangen zu enden, als hätte man ihre Augen nachzeichnen wollen.
Es waren gerade Schnitte, auch wenn ich nicht wusste, wie das ein Trost für ein so junges, unwiederbringlich entstelltes Mädchen darstellen sollte. Wer auch immer sie ihr zugefügt hatte, wusste wie man mit einem Messer umging, wusste, wie man derartige Grausamkeiten regelmäßig und mit einer Symmetrie und Routine ausführte, mit der ein Sänger seine Lieder zum Besten gab, mit der ein Schmied seinen Hammer auf glühendes Eisen niederfahren ließ.

"In der Hauptstadt wird sich jemand Eurer annehmen, der...!", setzte ich stammelnd an, verzweifelt versuchend meinen Schreck über das, was sich vor mir zeigte, zu überspielen, doch Lady Sansa senkte nur traurig ihren Blick und schüttelte den Kopf. "Geht ihr zurück in die Hauptstadt!", flüsterte sie leise. Tränen liefen über ihre Wangen, doch sie schien keine Anstalten zu machen die Hand heben zu wollen. Stumm fragte ich mich, ob es diese Wunden waren, die ihr Schmerzen verursachten oder die Bedeutung, die sie in sich trugen. Das Wissen, dass ein grausamer Irrer, noch grausamer, als alles, was sie geglaubt hatte in Kings Landing zu sehen, sie mit diesen Wunden als SEIN gezeichnet hatte.
Doch sie wollte nicht einmal ihre Hand heben, um sich die Tränen von den Wangen zu wischen und so schien es mir grausam ihr ein Taschentuch anzubieten.
"Geht!", erwiderte sie noch einmal, bevor sie sich wieder aufrichtete und mit schwebenden, geräuschlosen Schritten, zurück zu ihrem Sitz in der Ecke des Raumes trat. "Erzählt es der Königin. Ich bezweifle, dass es das ist, was sie sehen möchte!"


AnimalFriends4  03.07.2020, 10:36

Wow, diese Mühe dahinter. Gute Arbeit, da habe auch ich etwas gelernt

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BeviBaby  03.07.2020, 10:59
@AnimalFriends4

Hey, vielen Dank für das Kompliment.

aber SO viel Mühe steckt gar nicht wirklich dahinter. Ich habe einfach nur geschrieben was mir zu dem Bild in den Sinn kam:-)

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AnimalFriends4  03.07.2020, 11:02
@BeviBaby

Wenn bei dir so etwas rauskommt.... wow. Da habe ich noch viel Übung vor mir ^^

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BeviBaby  03.07.2020, 11:04
@AnimalFriends4

Ach naja, so gut schreibe ich eigentlich wirklich nicht.

Grade bei längeren Geschichten fehlt mir oft die Motivation was zu machen. Aber hier auf dieser Seite helfe ich ganz gerne und schreibe dann meist auch was Kurzes.

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Lisastu27 
Fragesteller
 03.07.2020, 12:33

Wow, vielen Dank für diese ausführliche Antwort! Das hat mir sehr geholfen. (Dein Schreibstil ist echt beneidenswert :D Ich glaube, ich muss noch viel lernen.)

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BeviBaby  03.07.2020, 12:37
@Lisastu27

Danke für das Kompliment:-)

Aber SO bemerkenswert ist das, was ich schreibe eigentlich echt nicht:)

Was Stile angeht... ja, da bin ich etwas eigen und anspruchvoll, das mag stimmen aber ich denke jeder hat da seinen eigenen Stil, der im Endeffekt auch wirklich gut zu einem selbst passt.

Falls du noch fragen hast oder ein bisschen Hilfe brauchst, kannst du mir auch gerne eine Freundschaftsanfrage hier auf dieser Seite schicken und da nachfragen:-)

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Lisastu27 
Fragesteller
 03.07.2020, 12:39
@BeviBaby

Danke, dass ist sehr nett von dir und werde ich auch gleich machen, denn ich weiß jetzt schon, dass ich öfters Hilfe gebrauchen könnte :D

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BeviBaby  03.07.2020, 12:43
@Lisastu27

Das ist ganz normal:-) Und ich hab ja auch Spaß bei sowas.

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Aroanida  06.07.2020, 23:40

Sehr gut. Am Beispiel lässt sich gut lernen - aber manchmal bleibt nur ein "wenn ich das nur auch so könnte". Ich versuche mal zu analysieren, warum es gut ist.

  • Es gibt eine eindeutige Perspektivfigur, die die Narben wahrnimmt. Man könnte auch die Sicht der vernarbten Figur einnehmen, aber dass die ihre eigenen Narben minutiös beschreibt, ist eher unwahrscheinlich und würde daher gewollt wirken.
  • Die Bescheribung muss "nach und nach" passieren. Da hilft es, wenn die Figur auch die Narben nicht alle auf einmal sieht, sondern nach und nach (hier: weil Sansa die Haare aus dem Gesicht streicht. Kluger Kunstgriff)
  • Die Perspektivfigur beschreibt nicht nur objektiv, sondern sie hat Gefühle dabei, und bringt diese durch ihre Formulierungen zum Ausdruck. Er sagt nicht "ich erschrak" sondern er beschreibt "grausame Entstellungen" und "ins Fleisch geschnittene Lektionen". Dadurch wird sein Erschrecken deutlich. Das ist gutes "Show, don't Tell".
  • Die wiederkehrende Gegenüberstllung von Jugend und Schönheit mit Hässlichkeit und Grausamkeit verstärkt den Eindruck der Erschütterung der Perspektivfigur.
  • Die Figur stellt Vermutungen darüber an, wie die Narben enststanden sind. Das ist ein guter Kunstgriff. Dadurch beschreibt sie die Narben nicht statisch (wie sie jetzt sind) sondern dynamisch (wie sie entstanden sind). Dynamik ist beim Schreiben immer vorzuziehen.
  • Ob diese Vermutungen korrekt sind, steht nicht fest, aber die Reaktion von Sansa und das offensichtliche Hintergrundwissen der Figur ("die wohl jede hochwohlgeborene Dame in Westeros einmal von irgendjemandem zu hören bekommen hatte") macht sie zumindest plausibel.
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Pfote04  07.07.2020, 01:10

Oh man wahrscheinlich kriegst du das oft zu hören, aber dein Schreibstil ist ja echt der Hammer! Könnte ich mir eine Scheibe abschneiden😅😄

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Als Bücherwurm und Vielleser sage ich: Wenn es nicht relevant für die Geschichte ist: einfach weg lassen. Solche ausufernden Beschreibungen lese ich erst gar nicht, die überfliege ich maximal (und ärgere mich, weil hier Platz für die Geschichte gewesen wäre).

Mich interessiert das Aussehen der Figuren nicht, ich sehe sie doch sowie so nie. Wenn es dann noch keine Auswirkungen hat - von optischen mal abgesehen, aber jede Figur ist halt einzigartig - warum dann überhaupt beschreiben?

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