Wer kann gut Parallelgedichte schreiben?

3 Antworten

Deine Frage hat mich jetzt richtig motiviert! Ich hab mir mal drei meiner Lieblingsgedichte vorgenommen und Parallelgedichte dazu gemacht. Hier immer erst das Original und dann die Parallelfassung:

Benn "Astern":

Astern


Astern - schwälende Tage,
alte Beschwörung, Bann,
die Götter halten die Waage
eine zögernde Stunde an.

Noch einmal die goldenen Herden,
der Himmel, das Licht, der Flor,
was brütet das alte Werden
unter den sterbenden Flügeln vor?

Noch einmal das Ersehnte,
den Rausch, der Rosen Du -
der Sommer stand und lehnte
und sah den Schwalben zu,

Noch einmal ein Vermuten,
wo längst Gewissheit wacht:
Die Schwalben streifen die Fluten
und trinken Fahrt und Nacht.

Gottfried Benn schreibt einen Beschwerdebrief an die Firma Opel

Astra, quälende Tage,
geballte Verschwörung. Mann,
die Götter halten den Wagen
jetzt schon fast stündlich an!

Sein Blechkleid umschließt das Verderben,
Es scheppert das Auspuffrohr.
Was brütet aus Beulen und Kerben
und defekten Ventilen hervor?

Noch einmal die ersehnte
Hoffnung, doch mit seiner Crew
stand der Meister stumm und gähnte
und schlug die Haube zu.

Es ist spät schon und ich muss mich sputen,
das Ding wird zum Schrottplatz gebracht.
Man könnt' ja mal Rüsselsheim fluten,
davon hab ich geträumt heute Nacht.

Rilke "Herbsttag"

Herr, es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
und auf den Fluren lass die Winde los.

Befiehl den letzten Früchten, voll zu sein;
gib ihnen noch zwei südlichere Tage,
dränge sie zur Vollendung hin, und jage
die letzte Süße in den schweren Wein.

Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.

Aufbruch bei Rainer Maria

HERR: es ist Zeit. Der Hummer war sehr groß,
und auch der viele Wein zeigt seine Spuren,
und alle Uhren sagen: ich muss los.

Es ist jetzt sehr gefährlich, voll zu sein,
ich hör bereits den Polizisten fragen,
werd meinen Atem durch das Röhrchen jagen
und weiß schon jetzt, es kostet mich den Schein.

Wie ich nach Haus komm, weiß ich auch nicht mehr.
Hab ́s nicht gelernt in allen diesen Jahren,
dem Auto ganz verfall ́n mit Haut und Haaren.
Werd bald in den Alleen hin und her
unruhig wandern. Oder S-Bahn fahren.

Hoffmansthal "Die Beiden"


Sie trug den Becher in der Hand –
Ihr Kinn und Mund glich seinem Rand –,
So leicht und sicher war ihr Gang,
Kein Tropfen aus dem Becher sprang.

So leicht und fest war seine Hand:
Er ritt auf einem jungen Pferde,
Und mit nachlässiger Gebärde
Erzwang er, daß es zitternd stand.

Jedoch, wenn er aus ihrer Hand
Den leichten Becher nehmen sollte,
So war es beiden allzu schwer:
Denn beide bebten sie so sehr,
Daß keine Hand die andre fand
Und dunkler Wein am Boden rollte.

Karaoke

Sie schlug den Zecher mit der Hand
Auf Kinn und Mund, weil dieser fand,
Dass mies ihr Karaoke klang
Und ihn sich zu erbrechen zwang.

Den Mittelfinger seiner Hand,
Reckt' er empor zur Schandgebärde
Unüberhörbar flucht' er: "Merde!",
Was sie als Frechheit wohl empfand.

Drum nahm sie diesmal nicht die Hand,
Weil sie's ihm wirklich zeigen wollte,
Trat mit den High-Heels gar nicht fair
Ihn dort, wo es ihn schmerzte sehr,
So dass er sich am Boden wand'
Und dort mit wunden Hoden rollte.



Ich hab Dir mal zwei schnell runtergenüppelt, weil mein Tee sonst kalt wird:

Was in der Gosse sich bewegt –
Ein Kätzchen, das mein Herz bewegt,
Es will mir seine Liebe zeigen
ich nehm’ es auf, mach’s mir zu eigen
So hungrig ist’s! Es atmet kaum
Ich pfleg’s gesund, das ist kein Traum.

Was unsere Bosse aufwärts trägt?
Der Profit ist’s, der sie bewegt.
Sie woll’n uns ihren Reichtum zeigen
Mein Haus! Mein Golfplatz! Aktien steigen!
Mein Jaguar! Handgenähter Saum!
Mein Egoismus stört mich kaum.


mychrissie  11.12.2017, 13:05

Muss natürlich "runtergeknüppelt" heißen. Runternüppeln wär ja echt ein ziemlich skurriles Wort.

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Das ist die Drossel, die da schlägt, Der Frühling, der mein Herz bewegt; Ich fühle, die sich hold bezeigen, Die Geister aus der Erde steigen. Das Leben fließet wie ein Traum - Mir ist wie Blume, Blatt und Baum.

Kein Vogel im Dezember schlägt,
der kahle Wald im Wind sich regt;
Doch spür ich in des Sturmes Wehen:
Auch dieser Winter wird vergehen!
Ich geb mich hin dem Frühlingstraum -
ich träum von Blume, Blatt und Baum.

Jetzt mach dein eigenes!