was Mittelalter wirklich so finster?

4 Antworten

Im Mittelalter wurden zum einen andauernd Kriege geführt. Gucke dir mal diese Karte hier an: http://deutschland-im-mittelalter.de/bilder/landkarten/deutschland-1378-g.jpg

Du siehst, wie zerteilt Deutschland war und alles war ständig umkämpft, ständig wurde das Land aufgeteilt, erobert, vereint. Deshalb war das Mittelalter eine Zeit, in der fast dauerhaft Kriege herrschten.

Dazu waren die hygienischen Bedingungen sehr schlecht und viele Menschen starben an Krankheiten. Auch Hungersnöte gab es immer wieder.

Und dann waren da noch die armen Bauern, die Leibeigene waren und von ihrem reichen Grundbesitzer extrem unterdrückt wurden. So ist zumindest das Bild, das wir haben. Das stimmt nicht ganz. Meistens waren die Grundbesitzer selbst arm und waren darauf angewiesen, von den Bauern Abgaben zu bekommen. Dafür boten sie den Bauern aber auch Schutz.

Religion war auch ein Problem. Das ganze Leben musste streng an das Christentum angepasst werden, was auch nicht immer einfach war. Dazu wurde jegliche Widerrede streng bestraft und die Kirche verdiente sich an den armen Menschen haufenweise Geld.

Um es mal zusammenzufassen: Es gab viele Kriege, sehr kleine Staaten, was auch nicht immer förderlich ist, Hungersnöte, Leibeigenschaft, der Machtmissbrauch von Herrschern sowie der Kirche und hygienische Mängel führten dazu, dass das Mittelalter im Wesentlichen schon sehr dunkel war. Aber es blühte auch der Handel, niemals wurden so viele Städte gegründet und es entstanden tausende mächtige Burgen, also ganz so extrem war es dann auch nicht.


Jerne79  23.11.2016, 20:00

Die Zahl der Kriege sinkt auch in der frühen Neuzeit nicht, die hygienischen Bedingungen werden nach dem Mittelalter in der Regel sogar noch schlechter, auch Hungersnöte gab es davor wie danach.

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Das kommt wie immer darauf an, was du mit "finster" meinst. Meistens wird der Ausdruck "finsteres Mittelalter" ja dazu verwendet, sich als moderner, fortschrittlicher Mensch von den "rückständigen" Lebensweisen und -formen des Mittelalters abzusetzen. 

Zur Erzeugung von "Alterität", d.h. Andersartigkeit, werden dann Aussagen postuliert wie: "Das Mittelalter war gewalttätiger", "Die Menschen im Mittelalter dachten, die Erde sei flach". Häufig wird also der Ausdruck "finster" auf eine mutmaßlich erhöhte Konfliktbereitschaft mit Hang zur Gewalteskalation oder auf im Vergleich zu Antike und Moderne stark verringerten Wissensbestand bezogen. 

Dabei sind zahlreiche Alteritätskonstruktion häufig übertrieben oder sogar falsch. Selbstverständlich wusste man "im Mittelalter", dass die Erde eine Kugel ist und Gewalteskalation, die bis heute Teil des sozialen Miteinanders sind, waren normativ meist ebenso mit negativen Sanktionen verbunden, wie dies heute der Fall ist. 

"Finster" war das Mittelalter auf jeden Fall in zweierlei Hinsicht. Burgen hatten selten mit Glas versehen Lichtschächte (genannt Fenster) und elektrischen Strom gab es auch noch nicht. "Finster" war es aber auch deshalb, weil man es bei der Erforschung des Mittelalters mit einer Quellenarmut im Vergleich zur Antike und zur frühen Neuzeit zu tun hat. Aber selbst das Postulat der Quellenarmut ist an zahlreichen Punkten zu relativieren. 


ArnoldBentheim  23.11.2016, 20:03

Ich will nur eine kleine Korrektur anbringen:

"Finster" war es aber auch deshalb, weil man es bei der Erforschung des Mittelalters mit einer Quellenarmut
im Vergleich zur Antike und zur frühen Neuzeit zu tun hat. Aber selbst das Postulat der Quellenarmut ist an zahlreichen Punkten zu relativieren.

Eigentlich ist die Antike im Vergleich die quellenärmste Zeit.  :-)

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OliverGlaser  24.11.2016, 11:59
@ArnoldBentheim

Ja, damit hast du natürlich irgendwie Recht. Hängt aber auch davon ab, wie du "Quelle" definierst. Ist beispielsweise ein innerhalb einer karolingischen Handschrift überlieferter Augustinus-Text eine Antike oder eine mittelalterliche Quelle? ... Aber ich rede drumherum... du hast Recht ^^

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Jerne79  24.11.2016, 15:04
@OliverGlaser

@ Quellendefinition: V.a. sollte man im Hinterkopf behalten, dass es mehr gibt als nur Schriftquellen, auch wenn das dem ein oder anderen Historiker nach wie vor schwerfällt.

Gerade was das alltägliche Leben betrifft, haben wir eine schon fast erschlagende Fülle aussagekräftiger Quellen: archäologische Funde und Befunde.

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OliverGlaser  25.11.2016, 17:44
@Jerne79

Das stimmt, allerdings sind archäologische Funde, sofern sie nicht an die Seite schriftlicher Quellen treten, bezogen auf ihre Deutbarkeit häufig höchst problematisch. Deshalb ist Interdisziplinarität ja auch so dermaßen wichtig. 

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Wie in jeder Epoche der Menscheitsgeschichte gab es auch im Mittelalter Phasen des Aufschwungs und des Niedergangs. Da der Zeitraum, über den wir hier sprechen, ein volles Jahrtausend umfasst, kann man so salopp nicht vom "finsteren Mittelalter" sprechen. Zwar fallen einige sehr furchtbare Ereignisse wie der hundertjährige Krieg, die Kreuzzüge und vor allem die große Pest wirklich ins Mittelalter und die Menschen, die unter diesen Ereignissen litten, hätten ihr Leben sicher als "Jammertal" und "finster" beschrieben. Insgesamt war es das Mittelalter gar nicht so furchtbar, wie man oft denkt.

Oft wird behauptet, dass die Zivilisation im Mittelalter gegenüber der Antike einen herben Rückschritt erlebt hat. Das ist eigentlich mehr falsch als richtig. Zwar gingen einige Technologien der Römer und der Griechen verloren beziehungsweise wurden nicht mehr verwendet, aber auch im Mittelalter wurden eine Menge neue Erfindungen gemacht, die den Menschen ihr Leben erträglicher gemacht haben. Gerade im Spätmittelalter blühte ein reger Erdindergeist geradezu auf, der direkt in die Rennaissance mündete und dort fortgesetzt wurde. Kunst, Lyrik und Literatur wurden im Mittelalter ebenfalls weitergeführt, allerdings wegen der geringen Alphabetisierungsrate weit weniger fruchtbar als in der Zeit der großen Autoren der Antike.

Im Mittelalter fanden darüber hinaus die meisten Städtegründungen auf heutigem deutschen Boden statt. Mit Ausnahme von Köln wurden alle heutigen deutschen Städte mit mehr als 500.000 Einwohnern im Mittelalter gegründet. Die Architektur blühte hier in jener Zeit ebenfalls auf und leistete angesichts der vielen monumentalen Kirchbauten überragendes, das selbst die römische Architektur in den Schatten stellte.

Übrigens fanden die meisten der grausamen, "finsteren" Ereignisse, die dem Mittelalter oft unterstellt werden, gar nicht im Mittelalter statt: Hexenwahn und Ketzerverfolgung sind Phänomene der frühen Neuzeit und begannen erst im sehr späten Mittelalter. Im Prinzip war das Mittelalter also eine sehr dynamische Epoche, die Europa (besonders Mitteleuropa) einen großen Aufschwung brachte.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Studium der Geschichts- und Religionswissenschaften

OliverGlaser  23.11.2016, 19:37

Da haben wir wohl nahezu zeitgleichen einen ähnlichen Sermon verfasst ^^

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MarkusPK  23.11.2016, 19:38
@OliverGlaser

Und ich war gerade dabei dir den nahezu gleichen Kommentar zu schreiben :D

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Jerne79  23.11.2016, 19:58
@MarkusPK

Und ich danke euch beiden, denn so kann ich mir den Sermon sparen. ;)

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Naja, elektrisches Licht und Gaslicht gab es noch keines, nur Kienspäne, Fackeln und Kerzen. Die Fenster waren in der Regel sehr klein und ließen nur wenig Licht in die Stuben, da Glas mundgeblasen und sehr teuer war. Es gab wesentlich mehr Wald als heute, und die Wälder waren sehr finster, da das Unterholz kaum beseitigt wurde. Und last, but not least, gab es auch viele finstere Gesellen, die ihr Unwesen trieben.


MarkusPK  23.11.2016, 19:42

Das mit dem Wald ist falsch. Im Frühmittelalter mag das noch stimmen, aber die weitläufigen Urwälder Germaniens wurden schon im Hochmittelalter großzügig gerodet. Während der Hochzeit der Hanse im 13. bis 14. Jahrhundert gab es in Deutschland sogar weniger Wald als heute! Vor allem Norddeutschland war damals eine weitläufige Heidelandschaft, in der kaum noch ein einziger Baum stand, wie es in den Quellen heißt. Geologisch kann man dies heute noch an den vielen Kiesböden im Gebiet der Lüneburger Heide nachweisen.

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Jerne79  23.11.2016, 19:56

Auch die Mär von den teuren Fenstergläsern muss man relativieren. Im städtischen wie ländlichen Umfeld waren im Spätmittelalter in so gut wie jedem Haus Glasfenster, deren Scherben wir auch bei jeder Grabung finden.

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Herb3472  23.11.2016, 20:45

@MarkusPK: ich habe nicht von Urwäldern gesprochen, sondern dass die Wälder nicht so gepflegt und "licht" waren wie heute, und dass es viel mehr Unterholz gab. Außerdem hatten wir hier in Österreich relativ wenig mit der Hanse zu tun, in Österreich und Bayern gab es wesentlich mehr Wald als heute. @Jeme: im Mittelalter gab es noch kein industriell hergestelltes Flachglas, daher war Glas mundgeblasen und relativ teuer gegenüber dem heutigen Fensterglas. Das allein war allerdings wohl nicht ausschlaggebend für die kleinen Fenster, sondern wahrscheinlich eher die winterliche Kälte.

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Jerne79  24.11.2016, 12:18
@Herb3472

Danke für die Erläuterung, aber ich sage es gerne nochmal deutlich: Als Archäologin weiß ich, wovon ich rede.

Natürlich gibt es im Mittelalter kein industriell hergestelltes Glas. Das ändert aber nichts an der Menge des verbauten Glases, das wir Archäologen ab dem Spätmittelalter auch in einfachen Haushalten fassen können und aus der Fenstergröße, wie sie uns erhaltene Bauten und Bauforschung zeigen. In Anbetracht protoindustrieller Arbeitsteilung und Produktionsweisen im Spätmittelalter muss man sich über diese produzierten, verhandelten und verbauten Mengen auch nicht wundern.

MarkusPK verweist auch nicht auf Urwälder, sondern auf eine intensive Holzwirtschaft, die im Mittelalter betrieben wird, in erster Linie für Hausbau und Köhlerei, wobei Holzkohle für zahlreiche Handwerkszweige unerlässlich ist, ebenso wie diverse Nebenprodukte.

Das gilt generell für ganz Mitteleuropa, wenn es in schlechter zu bewirtschaftenden Gegenden anders aussah, reflektiert das nicht den Durchschnitt.

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Herb3472  23.11.2016, 20:48

@Jerne: wenn Du glaubst, das sei eine Mär mit dem teuren Glas, dann frag' halt einmal beim Glaser nach dem Quadratmeterpreis für mundgeblasenes Fensterglas.

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Jerne79  24.11.2016, 12:11
@Herb3472

Willst du ernsthaft Vergleiche ziehen zwischen heutigen Preisen und historischer Realität?!

Vielleicht wäre es eine Idee, sich mal mit den Fakten aus Archäologie und Bauforschung zu beschäftigen. Was du beschreibst, ist der Zustand bis ins ausgehende Hochmittelalter.

Fakt ist, dass wir im ländlichen wie im städtischen Raum allenorts spätmittelalterliches Fensterglas im archäologischen Fundgut haben. Und spätestens ab diesem Zeitraum sind Fenster auch nicht mehr wie noch im Hochmittelalter möglichst winzig, schließlich gibt es ja nun die Möglichkeit, die Fensteröffnung winddicht zu verschließen.

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Herb3472  24.11.2016, 13:26
@Jerne79

Willst du ernsthaft Vergleiche ziehen zwischen heutigen Preisen und historischer Realität?!

Selbstverständlich. Das Gros der Bevölkerung war damals nicht Adel, Klerus und Bürgertum, sondern armes Landvolk.

Was du beschreibst, ist der Zustand bis ins ausgehende Hochmittelalter.

Wonach wurde denn gefragt? Warum das Mittelalter als "finster" bezeichnet wurde. Oder?

dass wir im ländlichen wie im städtischen Raum allenorts spätmittelalterliches Fensterglas im archäologischen Fundgut haben. Und spätestens ab diesem Zeitraum sind Fenster auch nicht mehr wie noch im Hochmittelalter möglichst winzig,

Blödsinn! Ich brauche keine Archäologie, Häuser mit kleinen Fenstern gab es noch bis in die zweite Hälfte des 20.Jahrhunderts. Als Nachkriegskind war ich öfter in solchen Häusern zu Gast und habe sie in meinem Gedächtnis gespeichert.

schließlich gibt es ja nun die Möglichkeit, die Fensteröffnung winddicht zu verschließen.

Ja, die gab es auch. Aber das Problem war ja nicht nur und in erster Linie der Wind,sondern dass es überhaupt schwierig war, mit dem Tischherd und dem Kachelofen zumindest in der Stube ein einigermaßen warmes Klima zustande zu bringen. Und die Fenster stellten eine Schwachstelle beim Heizen dar.

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Herb3472  24.11.2016, 13:34
@Jerne79

Was du beschreibst, ist der Zustand bis ins ausgehende Hochmittelalter.

Um Häuser mit kleinen Fenstern zu sehen, brauchst Du z.B. nur das Österreichische Freilichtmuseum in Stübing besuchen. Die Häuser dort wurden nicht ausgegraben, sondern wurden großteils noch bis zum Ende des 2.Weltkriegs bewohnt und benutzt. Und da drinnen war und ist's finster, auch heute noch - und trotz elektrischer Beleuchtung.

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Jerne79  24.11.2016, 15:19
@Herb3472
Blödsinn! Ich brauche keine Archäologie

Ist das nun schon postfaktisch oder noch ignorant?

Nochmal, es ging darum, deine Aussagen zu relativieren. Was du schreibst, hat für gewisse Zeiten durchaus Gültigkeit, aber eben nicht für das komplette Mittelalter. Und insbesondere für die letzten Jahrhunderte des Mittelalters zeigt nunmal die Archäologie, dass es der nominell so armen Landbevölkerung gar nicht so schlecht ging, sowie die Bauforschung uns über Entwicklungen beim Hausbau aufklärt. Weil der Mülleimer nunmal ebenso seine Aussagekraft hat wie die Steuererklärung.

Dein persönlicher Blick auf das Mittelalter zeigt dir bestenfalls einen schmalen Ausschnitt aus dem von dir durchgehend postulierten Gucklochfenster. Vielleicht einfach mal die Tür aufmachen, braucht nur ein wenig Mut, neues Wissen hereinzulassen.

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Herb3472  24.11.2016, 15:53
@Jerne79

Was du schreibst, hat für gewisse Zeiten durchaus Gültigkeit, aber eben nicht für das komplette Mittelalter.

Vom kompletten Mittelalter war hier nie die Rede, sondern es ging lediglich um die Herleitung des Attributs "finster" beim "finsteren Mittelalter".

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Herb3472  23.11.2016, 20:52

@Jerme: aber ob mit oder ohne Glas is ja eigentlich wurscht, denn darum gings ja nicht, sondern um die kleinen Fenster, die nur wenig Licht in die Stuben ließen. Gibt ja auch heute noch vereinzelt so finstere alte Keuschen, zumindest hier bei uns am Land.

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