Was kann ein alternatives Ende von „Nathan der Weise“sein?

2 Antworten

Selbst wenn man den Wortlaut der Schlussszene beibehält, kann man sie anders verstehen, als es sonst üblich ist.

Dann ist nämlich Nathan der große Verlierer, weil ihm Recha genommen wird.* Und in diesem Sinne könnte man das Stück natürlich auch umschreiben: Recha will wieder zu Nathan zurück, wird aber von ihrem Bruder, dem Tepelherrn, gezwungen, Christin zu werden. Oder: Der Tempelherr kämpft mit Saladin gegen den Patriarchen von Jerusalem und vertreibt ihn oder ...

*Gerade weil Nathan den muslimischen Sultan und den christlichen Tempelherrn von der Idee der Toleranz überzeugen will, verliert er darüber seine Tochter (das Kind, das er angenommen hatte, nachdem seine sieben Söhne verloren hatte) an die Vertreter der beiden anderen Hauptreligionen.

In einer Inszenierung aus dem 20. Jahrhundert wurde - aufgrund der Erfahrung des Holocaust, die Lessing nicht hatte - die Szene so dargestellt: Alle umarmen sich. Nathan steht allein. Hinzu kam eine Inszenierungsbesonderheit, an die ich mich gegenwärtig nicht genau besinne (ich habe aber ein Aufnahme der Inszenierung), wo vor Beginn und nach dem Schluss des Stückes schemenhafte Kamele über die Bühne schreiten, ein Sinnbild für das "Gottesvolk", die ewig heimatlosen Juden?

Könnte Lessing wirklich eine Deutung zugelassen haben, dass Nathan letztendlich verliert, gerade weil er für Toleranz ist?

Er war mit Moses Mendelssohn befreundet und hatte erlebt, dass dieser heftig angegriffen wurde, weil er nicht bereit war, zum Christentum überzutreten. (Rechtfertigen könne er das nur, wenn er das Christentum in aller Form widerlegen könne.) Dazu heißt es in der Wikipedia: 

"1771 erlitt Mendelssohn, wahrscheinlich im Zusammenhang mit diesen Anstrengungen, einen psychophysischen Zusammenbruch, der ein zeitweiliges Aussetzen jeglicher philosophischen Tätigkeit erzwang. Die im selben Jahr vorgeschlagene Aufnahme Mendelssohns in die Preußische Akademie der Wissenschaften auf Antrag von Johann Georg Sulzer, dem Präsidenten der Philosophischen Klasse, scheiterte am Widerstand Friedrichs II."

Lessing schrieb seinen Nathan gewiss im Blick auf seinen Freund. Könnte er - nach außen nicht, wohl aber versteckt - nicht nur seiner Leistung, sondern auch seinen Leiden ein Denkmal haben setzen wollen? 

Nach dem Holocaust gibt es jedenfalls guten Grund, daran zu erinnern, dass den deutschen Juden ihr Beitrag zum deutschen Geistesleben (nicht nur Einstein!) nicht gedankt worden ist. Auch Juden, die sich als deutsche Patrioten verstanden, wurden Opfer des Holocaust. 


Escha12538 
Beitragsersteller
 09.06.2021, 20:40

Dankeschön für dies! Aber die frage war nicht wie es weitergegangen wäre, sondern was anderes passiert hätten können am ende !

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Fontanefan  09.06.2021, 20:46
@Escha12538

Darauf will ich dich nicht festlegen. Du siehst aber, dass Tempelherr, Saladin und Nathan sich anders hätten verhalten können, und es hätte immer noch zu Lessing und seinem Stück gepasst.

Was du dir auswählst, schreibe ich dir nicht vor. - Aber wie wäre es gekommen, wenn der Tempelherr den Patriarchen auf Nathan hingewiesen hätte?

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Fontanefan  10.06.2021, 16:55

Vor 100 Tagen hat Love44916 über eine mögliche Fortsetzung geschrieben:

"Ich weiß, aber es ist echt nicht einfach. Ich weiß nicht über was sie reden könnten. Das einzige was mir so einfällt ist wie es Recha mit ihrem Bruder ergangen ist" - Vielleicht regt dich das an?

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Sie sprechen sich aus und niemand muss sterben.


Escha12538 
Beitragsersteller
 10.06.2021, 14:42

in lessing stirbt auch keiner 🧐

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jentolon  10.06.2021, 16:54
@Escha12538

ah ha, dann war es wohl ein anderes Reclam Heftchen - soviele starben sinnlos in den Heftchen - hätten sie nur mehr miteinander geredet... :)

Kreative von uns haben den Titel geändert in "Satan der Weise"

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