Was ist die Grundintention der Schöpfungsberichte?

10 Antworten

Die erste Grundintention besteht in der Abwehr von Aberglauben.
Die Babylonier waren technisch sehr weit entwickelt, wie man an ihren Bauwerken erkennen kann. Sie konnte den Lauf und die relative Geschwindigkeit von Planeten berechnen. Und trotzdem hielt sich der König für das Ebenbild von Gott Sonne - und er hatte Angst vor Gott Mond.
Wenn der erste Schöpfungsbericht nun die Namen "Sonne" und "Mond" vermeidet, müssen die ersten Zuhörer gelacht haben und dem König innerlich eine lange Nase gezeigt haben: "Du, bablonischer König, bis Ebenbild - einer großen Lampe am Himmel! Herzlichen Glückwunsch!"
Im Folgenden wird alles als "geschaffen" dargestellt. Man muss also keine Angst davor haben, dass irgendwelche Götter oder Geister auftreten, wenn man damit umgeht und diese Dinge braucht.

Die zweite Grundintention besteht darin, jedem Menschen eine unveräußerliche Würde zuzusprechen:
Denn nicht nur der König gilt als Ebenbild Gottes, sondern jeder Mensch, wenn es ganz wörtlich heißt: "Gott schuf den Menschen zu seinem Ebenbild."
Nicht den Juden, nicht den Christen, nicht den alten, nicht den jungen, sondern den Menschen. Und in einer patriarchalen Zeit wird hinzugefügt: "männlich wie weiblich!"

Die dritte Grundintention besteht darin, die vorhandenen Vorstellungen von Monotheismus zu abstrahieren. Gott soll schon irgendwie vorgestellt werden, dass man mit ihm kommunizieren kann. Aber er bleibt abstrakt, unsichtbar und wird am ehesten in seinen Ebenbildern (anderen Menschen) sichtbar und erlebbar.

Mit den üblichen Götterbildern/Statuen/Goldfiguren ist er aber nicht vergleichbar. Egal wie prunkvoll die sind, sie können nichts.

Die vierte Grundintention besteht darin, schonungslos deutlich zu machen, dass wir nicht im Paradies leben. Unsere Welt ist von Arbeit, Krankheit, Mühe und Tod mitgeprägt. In den Familien gibt es Streit, das gehört zu unserem Leben dazu. Jedes Leben ist gefährt und in jeder Sekunde kann etwas passieren, was dem eigenen Leben eine grausame Wende gibt, auch wenn der Apfel noch schön aussieht.

Und gegenübe diesem fast gnadenlosen Realismus besteht die fünfte Grundintention darin, die Hoffnung nicht zu verlieren und sich trotzdem in Gemeinschaft für ein möglist gutes Leben miteinander einzusetzen.

Der Brudermörder Kain wird zwar von seiner Tat sein Leben lang verfolgt, aber er steht unter Gottes Schutz, niemand soll ihm etwas antun.

Naturkatastrophen können das Leben bedrohen, aber der Regenbogen wird zu einem Hoffnungszeichen, dass es immer auch ein "danach" nach dieser Katastrophe geben wird.

Wir leben nicht im Paradies, aber mit der Bekleidung sind wir nicht schutzlos der Natur ausgeliefert. Wir dürfen sie gestalten, nutzen, sollen sie aber nicht missbrauchen.

Darum gibt es eine sechste Grundintention: Jeder Menschen hat entsprechend seinen Fähigkeiten Verantwortung für sich und seine Umwelt. Wer königliche Würde eines Ebenbildes Gottes hat, kann nicht einfach machen, was er oder sie will, sondern sollte die Folgen des Handelns für sich und andere bedenken.

Das wirst Du so wahrscheinlich in keinem Reli-Buch finden, aber es sind Gedanken, wie sie schon früher gute Kenner des AT und des Judentums und des Christentums erkannt haben.
Es sind Gedanken, die von anderen Motiven überlagert wurden, etwa ein bestimmtes Ehebild zu legitimieren (obwohl in den Schöpfungsberichten gerade nicht steht, dass Gott den Menschen "als Mann und Frau" (=als Ehepaar) geschaffen hat, sondern (s.o.) "als Ebenbild" und zwar "männlich wie weiblich".
Die Erbsündelehre, die eigentlich nur sagen sollte, dass niemand es schafft, ganz ohne Schuld zu leben und dass das Leben jederzeit gefährdet ist, ist als Machtinstrument missbraucht worden, um Menschen Angst vor Gott zu machen und sie auf diese Weise gefügig zu halten. Das gibt es in manchen christlichen Gemeinschaften bis heute. Aber das geht an den Grundintentionen vorbei.


GerdLon  22.09.2020, 06:22

Super Antwort, Dankeschön!

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Nadelwald75  21.09.2020, 19:53

Gut gegliedert und Verbindung der beiden Schöpfungstexte hergestellt.

Bemerkung: Über Erbsünde wird inzwischen auch in den Kirchen jetzt schon anders gedacht. Da die Paradiesesgeschichte keine historische Tatsache ist, kann man auch keine Erbsünde darauf zurückführen.

Es geht eher umgekehrt: Aus der menschlichen Erfahrung, dass der Mensch nicht so ist, wie ihn Gott gewollt hat und dies von Gott trennt - und das nennt man dann Erbsünde -, ist umgekehrt in der orientalischen Erzählweise die Geschichte erst entstanden.

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nachdenklich30  21.09.2020, 20:33
@Nadelwald75

:-)
Genau genommen ist "Erbsünde" ein Begriff, der erst 1000 Jahre später in die Geschichte hinein konstruiert wurde von Theologen und/oder philosophen, die mit ihrer eigenen etwas ausschweifenden Vergangenheit nicht fertig geworden sind und nun allen anderen Enthaltsamkeit aufoktrahieren wollten.

Dass es eher darum geht, dass wir Menschen nicht perfekt leben können und es auch gar nicht erst versuchen sollen und irgendwie mit dieser Tatsache umgehen müssen: Darin scheinen wir uns ja einig. :-)

Nicht einig bin ich darin, wie Gott denn den Menschen gewollt habe.
Ich bin der festen Überzeugung, dass der Mensch im Gegenteil genau so ist, wie Gott ihn gewollt hat: "Sehr gut", aber eben nicht perfekt und vollkommen, sondern "sehr gut" gerade in seiner Begrenztheit und Unvollkommenheit, mit seinen Widersprüchen und Kanten. Und mit der Aufgabe, das jeweils Beste daraus zu machen.

Und dabei ist der Mensch nie von Gott getrennt. Nichts kann uns trennen von der Liebe Gottes, der (so sage ich es jetzt mal) sehr genau weiß, warum er uns so geschaffen hat.

Du gehst einer bestimmten Sorte Theologie auf den Leim, die behauptet, alles müsse auf ein Ziel zugehen, und dieses Ziel könne man aus der Bibel ablesen, und der Mensch sei so was wie die Krone der Schöpfung.

Ich bin der festen Überzeugung, dass es schon den Bibelautoren klar war, dass Leben Entwicklung bedeutet, dass schöpferische Entwicklung kein Ziel hat, außer das Vorhandene immer noch einmal neu und verändert zu sehen und zu schauen, welche Entwicklung dabei scheitert und welche Erfolg hat.

Gäbe es ein Ziel, wäre danach alles tot. Es gäbe keine Entwicklung mehr, kein Leben, alles wäre erstarrt.

Wenn es Gott gibt, ist er transzendent. Wenn es ein Ziel gibt, liegt es für uns auch in dieser Transzendenz. Im Diesseits wird es evolutionär immer so weiter gehen. Und der Mensch sich die Lebensbedingungen auf der Erde zerstört hat, geht es halt mit den Küchenschaben wieder los... Oder so...

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Nadelwald75  21.09.2020, 20:41
@nachdenklich30

.......wie Gott denn den Menschen gewollt habe........

Dann müsste ich das präzisieren: Mit deiner Auffassung bin ich einverstanden.

Ich meinte also eher: Der Mensch hat grundsätzlich auch Schwächen. Und wenn er sich dann eben nicht das Beste daraus macht und, obwohl er im Prinzip Gutes möchte, sich doch für negatives Verhalten entscheidet, dann trennt ihn das von Gott.

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GerdLon  22.09.2020, 06:26
@Nadelwald75

Mit der Erbsündenlehre der katholischen Kirche legt sich die Kirche auch irgendwie fest.

Sie verstellt sich andere Sichtweisen.

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GerdLon  22.09.2020, 07:15
@Nadelwald75

Vielleicht haben beide Sichtweisen ihren je eigenen Wahrheitsgehalt, nebeneinander und ... miteinander? Eigentlich widersprechen sich diese Sichtweisen nicht. Sie entfalten nur den Sinn der Schöpfungsgeschichte.

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Zu Gen 2 habe ich auf die weitere Frage von dir geantwortet, hier also nur zu Gen 1

Das berühmte Schöpfungslied der sieben Tage ist keine naturwissenschaftliche und auch keine historische Darstellung. Er ist ein Hymnus. Darüber ist man sich heut in den großen Kirchen bei der Bibelexegese und in der wissenschaftlichen Theologie einig.

Der Text ist etwa um das Jahr 520 v. Chr. entstanden. Die Situation: Die Oberschicht der Juden (die zu dieser Zeit z.Tl. noch mit Steinmessern die Beschneidung durchführten), befindet sich in der sog. Babylonischen Gefangenschaft. Das neubabylonische Reich hatte eine hohe Kultur (chemische Farben, Ziegelglasur, Lösung von Gleichungen mit drei Unbekannten, viele Götter, Zahlenwerte bis 2 Billionen, hohe Bau- und Waffentechnik, auch Mythen über die Entstehung der Welt, Kalender, umfangreiches Schrifttum, Berechnung von Mond- und Sonnenfinsternissen).

Die Fragen der Juden an ihre Priester waren also etwa: Wenn wir uns da schon in einer so hohen Kultur bewegen: Ist die Sonne ein Gott, gibt es mehrere Götter, müssen wir Angst vor Mond-, Fluss-, Berg-, Naturgöttern haben, dürfen wir hier Forschung betreiben. bestimmen die Sterne unser Schicksal, welche Stellung haben Mann und Frau und schließlich – sehr wichtig – haben wir einen Anspruch auf einen freien Tag pro Woche?

Die theologische Antwort wäre: Nein, ihr müsst vor nichts Angst haben, dürft forschen, alles ist Schöpfung Gottes, sie ist nicht böse, sondern gut, Mann und Frau sind gleich, eure innere Uhr, der Sabbat, ist gottgewollt, und ihr braucht euch nicht durch die Babylonier zur Arbeit zwingen zu lassen.

Aber der Orientale erzählt und dichtet: Als Muster nimmt er die bereits bestehende Siebentagewoche und den neubabylonischen Schöpfungsmythos und verfasst einen Hymnus, der im Gottesdienst eingesetzt wurde. Diese Schöpfungsgeschichte wird deshalb auch mit dem Begriff „Priesterschrift“ bezeichnet. Dass es ein Gedicht ist, sieht an verschiedenen Dingen: Der Stil ist feierlich-rhetorisch, es gibt listenartige Aufzählungen. Es gibt einen Refrain (Kehrvers) in Formulierungen: „Es ward Abend und es ward Morgen, erster Tag …“ und es gibt sich wiederholende Formen wie Und Gott sprach: Es werde …. „ - „Gott sah, dass es gut war“ (Gemeint ist übrigens nicht, dass es perfekt war, sondern, dass es eben nicht böse war.).

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung

Das sind nicht nur philosophische, sondern nicht zuletzt auch ,,pragmatische" Gründe. Schließlich ist die Schöpfungsgeschichte (Sechstagewerk, Gen. 1.1-2.4) der Unterbau des ganzen biblischen Handlungsfadens. Es ist nicht nur logisch, ganz zu Beginn erstmal zu klären, woher und wie alles ins Dasein gekommen ist.

Auch wird alles, was dort passiert, im weiteren Verlauf als gegeben vorausgesetzt. Die Paradiesgeschichte ist keine primitive Wiederholung, sondern knüpft inhaltlich und chronologisch nahtlos an das Sechstagewerk an. Wir befinden uns in der Frühphase der bis heute währenden siebten Schöpfungsperiode (Gen. 1.31-2.3; Hebr. 3-4). Adam und Eva treten als erste Personen aus der prähistorischen Menschheit der sechsten Schöpfungsperiode (Gen. 1.26-31) in den historischen Vordergrund. Es ist der Übergang von der im Sechstagewerk geschilderten Vorgeschichte zur Geschichtsschreibung im eigentlichen Sinne. Auch die Zeitrechnung setzt ein. Wie die auf Adam zurückgehenden Genealogien ergeben, lebten er und Eva vor ca. 7500 Jahren. Die vorigen sechs Schöpfungsperioden hingegen spotten jeglichen zeitlichen Eingrenzungsversuchen. Die Tradition hatte diese gewaltigen Weltzeiten durch eine armselige irdische Woche ersetzt und das Paradies zum Anfang der Welt erklärt. Dadurch geriet das ganze biblische Handlungsgefüge aus den Fugen. Noch heute braucht es einiges an Überzeugungskunst, nicht nur die wirkliche Schöpfungsgeschichte und deren Fortsetzung, sondern auch die weiteren frühen Bibeltexte wieder zurück an ihre angestammten Plätze zu rücken.

Woher ich das weiß:Recherche

Das war halt die alte Methode, die es überall in der Antike gab und die sich bis heute immer noch teilweise hält: "Wir können uns etwas nicht erklären, also müssen es die Götter gewesen sein."

Bemerkenswerterweise stehen die zwei Schöpfungsmythen ja am Anfang der Bibel. Sie wurden also trotz ihrer Kürze wohl bedeutsam erachtet. Die zwei Schöpfungsmythen widersprechen sich im Ablauf. Sie sind also wohl nicht als Erklärung im naturwissenschaftlichen Sinn gemeint. Die darauf folgenden Bücher Moses haben so weit ich sehe zwei Ziele:

  1. Sie sollen die verschiedenen Völker im babylonischen Exil zu einem einzigen zusammen schweissen und ihnen das Selbstbewusstsein geben, diesem Exil zu entfliehen, wie Moses aus Ägypten geflohen ist, bzw. sein soll.
  2. Sie geben dem Volk ein verbindliches, einheitliches Gesetz.

Die Schöpfungsmythen haben meiner Ansicht nach das Ziel, die Gesetze zu legitimieren und eben dem Volk das Vertrauen zu geben, sich aus dem Exil zu befreien. Die Mythen stammen wohl aus viel früherer Zeit und hatten ursprünglich wohl auch andere Ziele. Aber aufgrund der Position in der Bibel, interpretiere ich sie so.