Adam und Eva haben weder mit Schöpfung noch mit Evolution irgendwas zu tun. Ab Gen. 2.5 geht es nur noch um Mesopotamien, einen winzigen Ausschnitt innerhalb der seit Gen. 2.4 als gegeben vorausgesetzten Schöpfung. Das gilt auch für die nachfolgenden biblischen Texte inclusive Sintflutbericht.
In Gen. 1.26 steht als Verb ,,asah", ein Allerweltswort, welches ganz allgemein die fortlaufende, allmähliche Zubereitung bestehenden Materials ausdrückt. Im Schöpfungsbericht wird es desweiteren bei der Weiterentwicklung der Landtiere verwendet (Gen. 1.25), nachdem diese bereits auf das Festland gekommen waren (1.24). Auch hier haben wir wieder zwei verschiedene Aussagen und Vorgänge. Asah kann sich auch auf die Zubereitung eines Gerichts (aus vorhandenen Zutaten) beziehen und wird sogar für Pflanzen verwendet. Bei der Verheißung für Abraham heißt es: ,,Ich werde eine große Nation aus dir machen." Auch hier wieder kein Schöpfungswunder, sondern allmähliche Werdung. Die vielzitierte ,,Erschaffung" (bara) des Menschen in Gen. 1.27 ist nur der zweite Teil der Menschwerdung und bezieht sich somit nicht auf den menschlichen Körper, welcher ja schon zuvor zubereitet worden war, sondern auf die spezifischen geistigen wie personellen Fähigkeiten des Menschen (Gottebenbildlichkeit), welche wie zuvor die Materie (Gen. 1.1) und die Tier,,seelen" (Gen. 1.21) einzigartige Neuerscheinungen darstellen. Wir reden auch gar nicht von nur einem einzigen Menschen oder zwei, sondern von einer ganzen Gruppe unbestimmter Stärke. Ādām ist hier kein Personenname, sondern kollektiver Artbegriff für den Menschen schlechthin. Nachdem die fraglichen Begriffe geklärt sind, kann man sich den geschilderten Ablauf wie folgt vorstellen:
Eine Gruppe gewisser Landtiere wird zu einer menschlichen Gestalt modifiziert und mit kognitiven Fähigkeiten in einzigartiger Konzentration ausgestattet, woraufhin sie sich kraft ihres Fortpflanzungstriebes über die ganze Erde ausbreitet. Dies wird bestätigt durch den zusammenfassenden Abschlusssatz (Kolophon) in Gen. 2.4, welcher einer heutigen Überschrift entspricht und das ganze Geschehene rückblickend als ,,Stammesgeschichte" oder auch Familiengeschichte (hebr. Toledot) bezeichnet. In dieser längst bevölkerten Welt erscheinen schließlich Adam und Eva, die ersten namentlich erwähnten Individuen der biblischen Geschichtsschreibung im eigentlichen Sinne. Die Paradiesgeschichte knüpft inhaltlich nahtlos an das generische Sechstagewerk an und setzt es im lokalmesopotamischen Rahmen fort, s. o..
Analog zur paläoanthropologischen Ebene, wo es keine scharfe Grenze gibt zwischen ,,Mensch" und ,,Tier" (und auch die Übergänge zwischen den Menschenarten sind fließend), lässt sich auch auf exegetischer Ebene keine scharfe Grenze ziehen zwischen dem Zubereitungsprozess aus Tiermaterial (Gen. 1.26) und der ,,Erschaffung" zum vernunftbegabten Geistwesen (Gen. 1.27). Der österreichische Bibelexperte Paul Hengge versteht Gen. 1.28 als den Wechsel zum aufrechten Gang: ,,Nehmt die Erde unter eure Füße!" - und setzt die Erschaffung somit bereits im frühesten Entwicklungsstadium der Menschheit an. Der belgische Bibelexperte Karel Claeys hingegen lässt die Gottebenbildlichkeit erst mit dem Auftreten des Homo Sapiens (,,wissender" Mensch) gelten. Ich persönlich tendiere eher zu Letzterem. Außerdem ist der Mensch immer ein Tier (hebr. behema) geblieben, wie Pred. 3.18-20 nochmal betont.
Auslegungsgeschichtlich werden Adam und Eva typischerweise mit den körperlich ,,ersten" Menschen im Sinne von Gen. 1.27 gleichgesetzt - und ,,real existiert habend" mit ,,historisch". Aber das ist eine Rauchgranate: Eine ,,historische Persönlichkeit" kann niemals der körperlich erste Mensch sein. Oder andersrum formuliert: Gerade die Tatsache, dass Adam und Eva nicht die körperlich ersten Menschen waren, macht sie zu historischen Persönlichkeiten. Geschichtsschreibung verlangt ein entwickeltes Schrifttum, was sich ein einziger Mensch, der noch dazu geschichtslos in eine menschenleere Welt katapultiert wird, unmöglich alleine aus dem Hut hätte zaubern können. Sowas wird über Generationen entwickelt und tradiert. Die wirklichen ,,ersten" Menschen kamen eine schiere Ewigkeit schriftlos aus, deshalb gehören sie als namenloses Kollektiv in die Vorgeschichte (Gen. 1.26-31), welche genauso real ist.
Buchtipps: ,,Die Bibel bestätigt das Weltbild der Naturwissenschaft" von Karel Claeys
,,Auch Adam hatte eine Mutter" von Paul Hengge
,,Klima und Kulturen - Die Geschichte von Paradies und Sintflut" von Elmer Buchner