Was ist der Unterschied zwischen Reaktionsbildung und Verkehrung ins Gegenteil?

1 Antwort

Bei der Verkehrung ins Gegenteil liegt ein Mechanismus vor, bei dem das Ziel verkehrt wird. So kann z.B. beim Sadismus die Person, der das Leiden zugefügt werden soll, umgekehrt werden, wobei dann die eigene Person zum Leidenden gewandelt erscheint, d.h. nach außen zeigt sich das Phänomen als Masochismus. 

Bei der Reaktionsbildung werden dagegen hoch tabuisierte Antriebe in gesellschaftlich akzeptierte gewandelt. Z.B. kann sich eine starke exhibitionistische Neigung in einer ausgeprägten Schamhaftigkeit zeigen. Oder wenn eine Mutter ihre Kinder ablehnt, weil diese ihr Lebenskonzept aus der Bahn bringen, kann sie eine extreme Liebe diesen Kindern gegenüber zeigen, die sogar zu einem Teil ihrer Charakterstruktur wird. Dass trotzdem keine ursprüngliche liebevolle Akzeptanz der Kinder vorliegt, wird darin sichtbar, dass sie eine so geartete Zuwendung ausschließlich ihren Kindern gegenüber zeigt, und dass sie außerdem zu Durchbrüchen ins Gegenteil neigt. Nach solchen Durchbrüchen des Zorns und der Ablehnung zeigen sich dann besondere Zuneigungen, die für die Kinder schwer emotionell einzuordnen sind. Auch eine starke Neigung zu einer chaotischen Lebensführung kann sich in extremer Ordnungsliebe äußern. 

Bei der Psychoanalyse von Geistlichen trifft man nicht selten das Bekenntnis, dass der Betreffende nur in diesem Beruf eine leidliche Sicherheit vor seinen hochaggressiven Antrieben hatte finden können. "Ohne meinen Beruf als Seelsorger wäre ich wahrscheinlich Raubmörder geworden". Nicht selten sind mir Pfarrer aufgefallen, die z.B. bei Geldsammlungen zu wohltätigen Zwecken eine geradezu aggressive Gier entwickelten, weil hier endlich einmal eine Situation vorlag, sich hemmungslos zu bereichern zu dürfen und am Ende der Aktion dann lustvoll  in den Geldscheinen und Münzen zu wühlen, worin sich der schon oben aufgeführte Durchbruch in die Ursprungsneigung zeigte.