Was ist das „Sein“ laut der Ontologie und Paramenides?

1 Antwort

Vom Beitragsersteller als hilfreich ausgezeichnet

Ontologie und „Sein“

Ontologie (Seinslehre; von griechisch ὄν = seiend; τὸ ὄν = das Seiende/das Sein; λόγος = Lehre/Wissenschaft) ist der Teilbereich der Philosophie, der sich mit dem Seienden insofern beschäftigt, als es ist.

Es gibt keine einheitliche Auffassung aller, die Aussagen auf dem Gebiet der Ontologie vertreten, was das „Sein“ ist. Das „Sein“ ist Thema der Ontologie.

Parmenides über das Sein

Parmenides (griechisch: Παρμενίδης) stellt Überlegungen über das Seiende als solches an. Sein bedeutet, etwas Bestimmtes zu sein.

Die Argumentation des Philosophen Parmenides steht vor allem in FSV DK 28 B 8 (FVS = Fragmente der Vorsokratiker; eine Sammlung von Texten, VS bzw. FVS abgekürzt; DK = Diels/Kranz, eine Standardausgabe dazu, herausgegeben von Hermann Diels und Walther Kranz, nach der die Zählung geschieht).

Parmenides stellt Überlegungen über das Seiende als solches an. Sein bedeutet, etwas Bestimmtes zu sein.

Es gibt einen Zusammenhang von Denken/Denkbarkeit und Sein: FVS DK 28 B3: τὸ γὰρ αὐτὸ νοεῖν ἐστίν τε καὶ εἶναι. „Denn dasselbe ist Denken und Sein.“

Gedacht werden zu können und etwas Bestimmtes zu sein, ist dasselbe.

Denken/Erkennen/geistiges Erfassen/Einsehen (νοεῖν) und Sein (εἶναι = sein) hält Parmenides für unlöslich verbunden. Wer denkt und sagt, sagt etwas Bestimmtes. Nichtseiendes ist kein bestimmter Gegenstand als Objekt. Für Parmenides bedeutet Nichtseiendes zu denken und zu sagen offenbar, etwas zu denken und zu sagen, was nicht ist, und daher überhaupt nichts zu denken und zu sagen. Denken richtet sich nach seinem Verständnis immer auf das Erfassen des Seienden.

Parmenides nimmt eine Gegenüberstellung von zwei Wegen forschender Untersuchung vor. Dies geschieht der logischen Struktur nach in Verknüpfung zweier Aussagen durch das ausschließende »Entweder-oder«: Entweder gilt »ist« (»sein«) oder »ist nicht« (»nicht sein«). Es kann nicht zugleich beides sein, sondern das eine schließt das andere grundsätzlich aus (FVS DK 28 B4 und B 6). Parmenides hält allein den Weg des »ist« (Seiendes ist und es ist unmöglich, dass es nicht ist) für gangbar und der Wahrheit folgend. Der Weg des »ist nicht« (Seiendes ist nicht und nicht zu sein ist notwendig) wird von ihm zurückgewiesen (er nennt ihn einen Weg, von dem keine Kunde kommt), ebenso ein nicht eigenständiger dritter Weg, unterscheidungslos - gleichsetzend oder verwechselnd - »ist« und »ist nicht« für dasselbe zu halten.

Kernaussage bei Parmenides ist: Seiendes ist

Dieser Aussage wird dabei entgegengestellt: Nichts/Nichtseiendes ist nicht (beispielsweise FVS DK 28 B 6, 1 – 2 χρὴ τὸ λέγειν τε νοεῖν τ' ἐὸν ἔμμεναι· ἔστι γὰρ εἶναι, μηδὲν δ' οὐκ ἔστιν· „Es ist nötig/richtig zu sagen und zu denken, dass Seiendes ist. Denn es ist möglich, zu sein, nichts aber ist nicht.“).

Das Seiende hat Merkmale und Einheit gehört dazu. Ein Grundzug des Seienden besteht darin, eine Einheit/Eines zu sein (FVS DK 28 B 8, 5 – 6: οὐδέ ποτ' ἦν οὐδ' ἔσται, ἐπεὶ νῦν ἔστιν ὁμοῦ πᾶν, ἕν, συνεχές· „Weder war es einmal noch wird es sein, denn es ist ganz beisammen, Eines, zusammenhängend.“).

Parmenides versucht, streng logisch und folgerichtig das Seiende als ganz und gar seiend zu denken. Dabei ergeben sich bestimmte Merkmale des Seienden:

  • ungeworden/unentstanden und unvergänglich
  • ganz und homogen
  • unveränderlich und unbeweglich
  • ohne Ende/unteilbar und kontinuierlich
  • einzig bzw. ein einziges Etwas
  • ohne Ende
  • zeitlos (ohne zeitlichen Anfang [Vergangenheit] und zeitliches Ende [Zukunft])
  • einer wohlgerundeten Kugel gleich

Nur Seiendes ist nach dieser Lehre. Allein Seiendes ist denkbar und wahr.

Heraklit und Parmenides als Gegenspieler

Heraklit (griechisch: Ἡράκλειτος [Herakleitos]) betont in seinem Denken das Werden, Parmenides das Sein.

Heraklit hält die Wirklichkeit für nicht feststehend und bleibend, sondern sich wandelnd, als Geschehen eines Prozesses. Heraklit hat die Wirklichkeit als eine dynamische Einheit in der Vielheit verstanden, eine Einheit in Gegensätzen.

Parmenides hat die Lehre vertreten: Seiendes ist. Dieses sei etwas Zeitloses, Ganzes, Gleichbleibendes, Einheitliches. Vielheit kommt bei ihm in einer Welt des Scheins vor, zu der kein Wahrheit darlegender Weg der Erforschung gangbar ist. Die wahre Wirklichkeit ist nach seinem Standpunkt statisch.

In einer Entgegenstellung von Seiendem und Nichtseiendem wird nach seiner Auffassung alles, was nicht Seiendes ist, zu etwas, das nicht ist, etwas Unwahres, bloße menschliche Meinung, die trügerisch ist und sich auf einem Irrweg befindet (Vgl. FVS DK 28 B 8, 50 – 54).

Eine Vielheit mit einem Dualismus (Vorhandensein zweier grundlegender Wesenheiten/Prinzipien) gibt es bei Parmenides nur in einem Bereich des Scheins und bloßer Meinung (griechisch: δὀξα), die trügerisch und nicht zuverlässig ist.

Die Sinneswahrnehmung mit veränderlichen Dingen der Erfahrung bezieht sich auf eine erscheinende Welt. Diese veränderlichen Dinge zeigen sich in einer Weise, die mit den Bestimmungen des Seienden, wie Parmenides sie angibt, unvereinbar ist. Daher kann es sich dabei nicht um etwas handeln, das etwas an sich ist. Werden wäre (nach dem Maßstab reinen Seins) ein Übergang vom Nichtsein zum Sein.

Parmenides verwendet einen indirekten Beweisversuch gegen Veränderung, indem er zu zeigen versucht, wie sich bei Annahme von Veränderung unhaltbare Folgerungen ergeben.

Ein Entstehen aus einem völligen Nichts wäre gedanklich nicht nachvollziehbar. Es würde ein zureichender Grund des Entstehens und damit einer Veränderung fehlen. Es ließe sich nicht angeben, wie und woraus etwas entsteht.

Wäre das Seiende entstanden, dann müßte es entweder aus Nicht-Seiendem oder aus Seiendem entstanden sein.

Aus Nicht-Seiendem könne es nicht entstanden sein, weil es 1. unmöglich sei, Nicht-Seiendes zu denken und zu sagen und 2. nicht einzusehen ist, welche Notwendigkeit das Seiende dazu gebracht haben könnte, früher oder später, aus dem Nicht-Seiendem hervorgehend, zu entstehen.

Aus Seiendem könne das Seiende nicht entstanden sein, weil nichts neben dem Seiendem entstehen könne. Ein Entstehen über das Seiende hinaus wäre mit den Merkmalen der Vollständigkeit, Abgeschlossenheit und Ganzheit des Seienden unvereinbar. Werden/Entstehen und Vergehen implizieren Nicht-Sein, Unbegrenztheit/Unbestimmtheit und Unvollkommenheit. Ein Seiendes, für das ein Entstehen angenommen wird, wäre nicht ganz und gar seiend, sondern nur mit Einschränkung seiend.

Aus einer Unmöglichkeit des Werdens/Entstehens und Vergehens folgt eine Unmöglichkeit von Veränderung, weil Werden/Entstehen und Vergehen die einzige für das Seiende als solche mögliche Form von Veränderung ist. Veränderung betrifft einen Übergang von Nicht-Sein zu Sein oder von Sein zu Nicht-Sein in Form eines Noch-nicht oder Nicht-mehr. Ein sich veränderndes Seiendes wäre nach der Veränderung anders und dies bedeutet nicht-seiend.

Parmenides versucht den Weg des »ist« von allen Vermengungen mit dem Weg des »ist nicht« freizuhalten.

Bei den grundlegenden Annahmen, zu denen Parmenides in seiner Philosophie gelangt ist, verstößt Veränderung gegen Denkgesetze.

Parmenides gibt zu einer Welt der Veränderung eine Darstellung eines Scheins, zu dem die Meinungen trügerisch sind und zu dem höchstens Wahrscheinlichkeit erreichbar ist.