Warum sind psychische Erkrankungen immer noch tabuisiert und wie können wir das ändern?

3 Antworten

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Hey, hier ist eine Liste mit Gründen, die mir spontan einfallen:

1) Psychische Krankheiten sieht man nicht sofort, dh. es muss zwischen zwei Personen erst ein gewisses Vertrauen herrschen, damit die betroffene Person erzählt.

2) Körper und Psyche werden ja in der Medizin oft getrennt "behandelt", obwohl sie öfters zusammenhängen, als man glaubt.

3) Nr. 2 führt auch oft dazu, dass Menschen selbst die Schuld gegeben wird für ihre Krankheit, hab das vor allem bei Depressionen oft erlebt. Dadurch verkriechen sich die betroffenen Menschen dann noch mehr.

4) Es fällt Menschen schwer, zwischen dem Menschen und der Krankheit zu unterscheiden, weil die Persönlichkeit und die Krankheit beide im Kopf "stattfinden".

Und Möglichkeiten, wie wir das Tabuthema entstigmatisieren könnten:

  • offener über Therapie sprechen und es auch selbst in Betracht ziehen - das hat nämlich nicht zwingend was mit psychischen Krankheiten zu tun.
  • empathischer sein
  • keine Andrew Tate Videos über Depressionen Liken ;)
Woher ich das weiß:Hobby – interessiert an Gesellschaft/Politik

Es ist immer noch ein Tabuthema, weil zu wenig Aufklärung betrieben wird.

Bestes Beispiel ist mein Vater. Er meinte mal, er hätte keine Depression, weil er sich ja nicht umbringen möchte.

Diese Aussage zeugt von einem klaren Fehlverständnis über diese Erkrankung.

Aber ich mache meinem Vater da auch keinen Vorwurf. Woher soll er auch anders wissen, wenn es ihm niemand erklärt? Von alleine kommt er nicht auf die Idee, sich darüber zu informieren.

Wie können wir das lösen? Durch Aufklärung. Wir müssen über psychische Erkrankungen sprechen, so wie wir über einen Schnupfen sprechen. Wir müssen darüber reden, dass sie als normale Erkrankungen gesellschaftlich anerkannt werden.

Das ist schwer aber es ist notwendig.

Ich glaube nicht, dass sie wirklich noch ein Taboothema sind. Psychische Krankheiten bzw. Begriffe daraus werden, zumindest hier, sehr inflationär benutzt.

Gegen ein Taboo geht man am Besten vor, in dem man darüber spricht.


PixelManuel  06.04.2024, 23:37

Beim zweiten Teil stimme ich dir zu.

Beim ersten leider nicht, da ich es aus eigener Erfahrung kenne, wie über Menschen mit psychischen Problemen gesprochen wurde. „Es gibt kein Burnout. Die Leute sind nur zu faul zum arbeiten!“

Dennoch müssen wir darüber sprechen und aufklären, damit solche Denkweisen verschwinden.

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Noeru  06.04.2024, 23:39
@PixelManuel

Es wird immer Menschen geben, die dieser Meinung sind. Häufig hört man das noch von älteren Menschen, in deren Zeit psychische Krankheiten wirklich noch Tabus waren.

Aber heute? Ich finde, diese Stigmatisierung hat glücklicherweise abgenommen. Natürlich ist noch einiges zu tun.

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luibrand  06.04.2024, 23:44
@PixelManuel

Und dennoch wird darüber gesprochen, geforscht und therapiert. Wo soll denn angeblich ein Taboo sein ?

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PixelManuel  06.04.2024, 23:45
@Noeru

Meine eigene Diagnose „Depression“ habe ich auch mit den meisten Leuten geteilt. Sogar mit meinem Chef, der mir das bis heute hoch anrechnet, wie ich damit umgegangen bin. Von ihm habe ich auch sämtliche Unterstützung angeboten bekommen.

Bei einigen meiner Kollegen habe ich es aber nicht angesprochen, da dort Leute dabei sind, denen ich es zutrauen würde, dass sie das Wissen darüber gegen mich einsetzen würden. Daher wissen das nur ein paar Kollegen, denen ich da vertraue.

Aber sämtliche Personen, mit denen ich gesprochen habe, haben mir ihre Unterstützung ausgesprochen. Und es ist erstaunlich, wie viele Leute sich dann plötzlich öffnen und von den eigenen Diagnosen berichten. Wenn man darüber redet, merkt man schnell, dass man nicht alleine mit dem Mist ist. Und das tut ziemlich gut.

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eishoernchen  06.04.2024, 23:47
@Noeru

Und erzählst du das deinen Arbeitskollegen, deinen Nachbarn oder deinem Vermieter? Ich meine natürlich nicht einfach so, sondern wenn du z.B. deswegen auf Reha fährst.

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luibrand  06.04.2024, 23:48
@Noeru

Und selbst eine Stigmatisierung in vergangenen Tagen kann ich nicht erkennen. Es wurde und wird mit viel Ernst an der Sache darüber geforscht und therapiert, um psychische Defekte in den Griff zu bekommen bzw. diese in einem humanen Ansatz aufzulösen.

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Noeru  06.04.2024, 23:48
@eishoernchen

Meine engen Arbeitskollegen wissen davon, falls Du darauf hinaus möchtest.

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PixelManuel  06.04.2024, 23:49
@luibrand

Ich habe leider nicht das Gefühl, dass ich mit jedem offen darüber sprechen kann. Auch als Betroffener habe ich noch ein Tabudenken. Und dieses Gefühl kenne ich auch von Berichten anderer Betroffener.

Ja, auch als Betroffener kann man Teil des Tabus sein. Ich lerne noch, offener damit umzugehen.

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luibrand  06.04.2024, 23:52
@PixelManuel

Das ist ein ganz natürlicher Umstand, dass Du nicht mit jeder Person darüber sprechen kannst. Dies deswegen gleich als Tabuisierung zu brandmarken, ist der falsche Gesprächsansatz.

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PixelManuel  06.04.2024, 23:55
@luibrand

Es hat sich in den letzten 10 Jahren zum Glück sehr viel getan.

Als ich meine ersten Probleme hatte, hat noch niemand so wirklich von psychischen Erkrankungen gesprochen.

Ich hätte sicherlich viel früher eine Therapie gebrauchen können. Das Thema war zu dem Zeitpunkt leider nicht so präsent wie heute.

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luibrand  07.04.2024, 00:01
@PixelManuel

Die Menschheit ist lernfähig und es wird weltweit an der Gesamtthematik geforscht. Es braucht seine Zeit, um den Erkenntnisstand der Forschung in eine Therapieform zu integrieren und eine Akzeptanz in weiten Bevölkerungsgruppen zu erlangen.

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eishoernchen  07.04.2024, 00:06
@Noeru

Ich bin neu in meiner Firma (4 Wochen), kenne also noch niemanden gut. Seit ich da bin, wurde in meinem Beisein schon über die Rückenprobleme des einen und die Herzrhythmusstörungen der anderen Kollegin gesprochen. Da ist nix mit "eng", darüber kann man mit jedem einfach reden. Bei psychischen Krankheiten ist das nicht so.

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Noeru  07.04.2024, 00:06
@eishoernchen

Ich verweise auf die Antwort von luibrand.

Das ist ein ganz natürlicher Umstand, dass Du nicht mit jeder Person darüber sprechen kannst. Dies deswegen gleich als Tabuisierung zu brandmarken, ist der falsche Gesprächsansatz.
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Noeru  07.04.2024, 00:13
@eishoernchen

Diese Menschen kennen sich höchstwahrscheinlich schon Jahre. Da ist es normal, dass man nicht nur über Arbeit spricht, sondern sich zu einem gewissen Grad auch über persönliches unterhält. Jeder Mensch entscheidet dabei aber, wie viel er von sich teilt. Manche Menschen wollen auch einfach nicht über psychische Krankheiten sprechen oder von anderen davon hören.

Ersteres kann daran liegen, dass man sich schämt oder glaubt, andere verstehen einen eh nicht. So zu denken ist ja nicht unüblich bei Betroffenen von psychischen Krankheiten.

Zweiteres kann daran liegen, dass manche Menschen einfach nicht so empathisch sind. Sie können sich nicht in andere hinein versetzen.

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eishoernchen  07.04.2024, 10:18
@Noeru
Diese Menschen kennen sich höchstwahrscheinlich schon Jahre

Richtig, mich kannten sie aber 3 Wochen und ich saß daneben und habe es genauso gehört.

Ersteres kann daran liegen, dass man sich schämt oder glaubt, andere verstehen einen eh nicht. 

Und genau das ist (internalisiertes) Stigma, dieser Gedanke kommt ja nicht von ungefähr.

Das ist ein ganz natürlicher Umstand, dass Du nicht mit jeder Person darüber sprechen kannst. Dies deswegen gleich als Tabuisierung zu brandmarken, ist der falsche Gesprächsansatz.

Das sehe ich eben anders. Wenn es kein Tabu gäbe, könnte man mit jedem drüber sprechen. Das trifft auf andere Themen genauso zu.

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