Warum gilt die von Bismarck gekürzte Version der Emser Depesche als provokanter als das Original?

2 Antworten

Das ist auch nicht so einfach zu verstehen.

Frankreich wollte auf keinen Fall einen Hohenzollern auf dem spanischen Thron. Es gab rege diplomatische Aktivitäten, um den preußischen König zu bewegen, dem Prinzen Leopold zu befehlen, auf den spanischen Thron zu verzichten. Der französische Außenminister, der Herzog von Gramont, hielt eine Rede, die allenthalben als offene Drohung an Preußen zu verstehen war und in der französischen Kammer (Parlament des 2. Kaiserreichs) und in der französischen Öffentlichkeit große Zustimmung und Beifall fand.

Als der Erbprinz Leopold seinen Verzicht auf die Thronkandidatur erklärt hatte, schien Frankreich einen vollen diplomatischen Erfolg verbucht zu haben, zumal man auch in Süddeutschland und in Teilen des norddeutschen Bundes die Thronkandidatur des Preußenprinzen als Intrige Bismarcks erkannt hatte.

Derart ermutigt, getragen von einer französisch nationalistischen und antipreußischen Begeisterungswelle gegen die östlichen Emporkömmlinge, wollte die französische Regierung noch mehr, als nur die Verzichtserklärung auf die Thronkandidatur des Prinzen. Man wollte Preußen im nationalen Taumel demütigen und eine Lektion erteilen, notfalls mit einem Waffengang. Die französische Armee galt zu diesem Zeitpunkt als die stärkste Europas.

Der Französische Außenminister verlangte ein Schreiben des preußischen Königs an den französischen Kaiser, in dem sich König Wilhelm für die geheimen Unterhandlungen mit Madrid entschuldigen und gleichzeitig versichern sollte, nie die Absicht gehabt zu haben, den französischen Kaiser und Frankreich zu beleidigen. Diese Schreiben sollte dann offiziell der französischen Kammer mitgeteilt und dann veröffentlicht werden. Damit nicht genug, verlangte der französische Botschafter in Preußen, Benedetti, auf der Brunnenpromenade zu Ems vom preußischen König eine Garantie, nie wieder einer hohenzollerschen Thronkandidatur zuzustimmen. Diese Zumutung wurde vom König höflich abgelehnt.

Gramont schickte Benedetti erneut zu Wilhelm, um die Forderungen zu wiederholen. Wilhelm empfing Benedetti nicht, erklärte aber, den Rücktritt des Erbprinzen zu billigen. Damit wurden die Pläne Bismarcks, die Thronkandidatur des preußischen Prinzen zum Ausgangspunkt eines preußisch französischen Konflikts zu machen, durchkreuzt.

Das schlug Bismarck und Roon und Moltke gehörig auf den Magen. Diese waren gewillt, die für Preußen günstige außenpolitische und militärische Lage zu nutzen. Russland war an einer Niederlage Frankreichs interessiert und hielt Österreich in Schach, England verhielt sich neutral, eine Schwächung Frankreichs gerne in Kauf nehmend und Italien verhielt sich auch neutral, weil Frankreich noch immer Truppen in Rom hatte. Die Stimmung in Süddeutschland kippte angesichts der französischen Zumutungen ebenfalls wieder zugunsten Preußens.

So formulierte Bismarck die Depesche, über die Vorkommnisse in Ems neu und in einer Art und Weise, mit der er drei Dinge erreichte.

Der König erschien erstens als entschlossener Monarch, der sich nicht von einem Botschafter bedrängen ließ. Zweitens zeigte sich Preußen als Führungsmacht, die sich nicht erpressen ließ. Und drittens war die französische Regierung nun vor die Wahl gestellt, die Zurechtweisung durch die ungeliebten Preußen hinzunehmen und eine handfeste Regierungskrise zu riskieren oder den Krieg zu erklären, um den Sturz des napoleonischen Regimes zu vermeiden, dass sich innenpolitisch in einer äußerst schwierigen Situation befand.

Der Krieg wurde von beiden Seiten gewollt. Nur verstand es Bismarck besser, Paris den Schwarzen Peter zuzuschieben.

Weil man die verkürzte Version ("...der König hat dem französischen Gesandten nichts weiter mitzuteilen") als Brüskierung bzw. Ankündigung des Abbruchs diplomatischer Beziehungen deuten könnte - somit (nach damaligem Ehrverständnis) ein Kriegsgrund für Frankreich.

Für Bismarck war entscheidend, dass Frankreich die Feindseligkeiten eröffnete, um Preußen als den Angegriffenen darzustellen, dem wiederum die dt. Staaten in den (Verteidigungs)kampf folgen würden.