Vergeht die Zeit unterschiedlich schnell auf der Erde?
Stark vereinfacht verläuft die Zeit meines Verständnis nach langsamer je schneller man sich in relation zu einem Objekt bewegt. Da ein sich ein Punkt am Äquator schneller in Relation zum Erdkern bewegt als ein Punkt auf and den Polen. Theoretisch müsste die Zeit am Äquator langsamer vergehen als and den Polen. Stimmt dies? und mit welcher Formel rechne ich den Unterschied aus?
Danke schonmal für die Antworten
1 Antwort
Hallo scammer157,
im Prinzip stimmt es, und der Faktor lautet für zwei Orte
(1) dτ₂/dτ₁ = √{1 – ω²r₂²sin²(θ₂)/c² – a/r₂}/√{1 – ω²r₁²sin²(θ₁)/c² – a/r₁},
wobei c die Lichtgeschwindigkeit (eigentlich ein Tempo) und ω die Winkelgeschwindigkeit der Erde ist, r₁ und r₂ verschiedene Kugelschalen um den Erdmittelpunkt, θ₁ und θ₂ unterschiedliche Polarwinkel (θ=0 und θ=π steht für 90° nördlicher und südlicher Breite, θ=½π für den Äquator) und
(2) a = 2GM/c²
der SCHWARZSCHILD-Radius der Erde ist, benannt nach dem Physiker, der als erster eine Lösung für EINSTEINs Feldgleichungen lieferte, ehe er leider kurz darauf im Ersten Weltkrieg 1916 ums Leben kam.
Nach ihm ist auch die Metrik benannt, aus der sich die obige Formel herleiten lässt. Dazu muss ich aber etwas ausholen:
Raumzeitdas Wort „vergeht“ ist unglücklich, ebenso wie umgekehrt die Vorstellung, „Raum in diesem Moment“ sei eine physikalische Realität. Das „Wann“ und das „Wo“ gehören untrennbar zusammen (sonst würde kein Date, keine Verabredung funktionieren), und angesichts von GALILEIs Relativitätsprinzip (RP) ist schon Interpretationssache, ob zwei zeitlich aufeinander folgende Ereignisse am selben Ort stattfinden oder nicht.
Und auch umgekehrt: Ob zwei räumlich getrennte Ereignisse gleichzeitig stattgefunden haben, ist ebenfalls Interpretationssache, d.h., es hängt davon ab, welche von zwei relativ zueinander bewegten Uhren U und U' wir als ortsfest ansehen.
Absolute AbständeKeine Interpretationssache ist hingegen der MINKOWSKI-Abstand
(3.1) dτ = √{dt² – ds²/c²} ≡ √{dt'² – ds'²/c²} für ds<cdt (zeitartig)
(3.2) dς = √{ds² – c²dt²} ≡√{ds'² – c²dt'²} für ds>cdt (raumartig)
zweier eng benachbarter Ereignisse, benannt nach EINSTEINs leider viel zu früh verstorbenen ehemaligen Mathematikprofessor. Dabei ist dt bzw. dt' der von U bzw. U' gemessene zeitliche Abstand und ds bzw. ds' der räumliche Abstand von einem Referenzpunkt aus, der sich relativ zu U bzw. U' nicht bewegt.
Falls dτ reell ist, ist es die Eigenzeit, gemessen von einer Uhr, für die beide Ereignisse am selben Ort stattfinden, falls dς reell ist, ist dies die Länge der Strecke aus der Sicht einer Uhr, für die beide Ereignisse gleichzeitig sind. Der Grenzfall cdτ=dς=0 steht für Ereignisse wie die Emission und Absorption desselben Lichtsignals. Die Lichtgeschwindigkeit verbindet und trennt Raum und Zeit also zugleich.
Räumliche Entfernung
Dabei kann man die räumliche Strecke jeweils als Diagonale eines gedachten Quaders dx×dy×dz bzw. dx'×dy'×dz' auffassen, sodass
(4.1) ds = √{dx² + dy² + dz²}
und entsprechend für ds'. Dies ist unabhängig von der Orientierung des jeweiligen Quaders und einfach der Satz des PYTHAGORAS. Es ist jedoch manchmal besser, sphärische Koordinaten zu benutzen und den Quader als dr×r·dθ×r·sin(θ)dφ zu beschreiben; hier erhält man
(4.2) ds = √{dr² + r²dθ² + r²sin²(θ)dφ²}.
Insgesamt wird die MINKOWSKI-Metrik also zu
(5.1) dτ = √{dt² – (dr² + r²dθ² + r²sin²(θ)dφ²)/c²}
(5.2) dς = √{dr² + r²dθ² + r²sin²(θ)dφ² – c²dt²}.
Denken wir uns um den Referenzpunkt herum kugelsymmetrisch eine Masse M verteilt, so verzerrt diese die Metrik der Rauzeit außerhalb der Massenverteilung zu
(6.1) dτ = √{dt²(1 – a/r) – (dr²/(1 – a/r) + r²dθ² + r²sin²(θ)dφ²)/c²}
(6.2) dς = √{dr²/(1 – a/r) + r²dθ² + r²sin²(θ)dφ² – c²dt²(1 – a/r)},
und genau das ist die SCHWARZSCHILD-Metrik. Der räumliche Abstand zum Mittelpunkt ist nicht mehr einfach r, sondern etwas größer, und wenn M im Mittelpunkt konzentriert sein sollte, könnte man überhaupt nicht mehr von einem räumlichen Abstand vom Mittelpunkt sprechen, da r für r<a zeitartig ist. Der Mittelpunkt wäre also kein räumlicher Punkt, sondern das Ende der Zeit.
Die Kugelschale r=a stellte dann in diesem Fall einen sogenannten Ereignishorizont dar. Lichtsignale, die dort nach außen starten, würden es gerade nicht mehr schaffen, größere r-Werte zu erreichen. Deshalb heißt der gesamte r≤a-Bereich ein Schwarzes Loch.
Davon ist die Erde natürlich weit entfernt. Sie dominiert nicht einmal in ihrer Nähe die Zeitverlangsamung durch Gravitation, der Einfluss der Sonne ist trotz ihrer weit größeren Entfernung viel größer.