Titration mehrprotonige Säuren?

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Ein Äquivalenzpunkt ist dadurch definiert, daß die Lösung nominal nur aus einer einzigen Spezies besteht. Also z.B. bei der Titration von H₃PO₄ mit NaOH hast Du vier Äquivalenzpunkte: Den ersten bei Null Verbrauch (reine H₃PO₄), aber den zählt man meistens nicht mit. Den zweiten beim Stoffmengenverhältnis 1:1, da liegt nominal reines NaH₂PO₄ vor und den zweiten beim Stoffmengenverhältnis 1:2 (Na₂HPO₄) und den dritten beim Stoffmengenverhältnis 1:3 (Na₃PO₄). Die Punkte 1:1 und 1:2 sind in diesem Fall in der Titrations­kurve sichtbar, der 1:3-Punkt aber nicht.

In der folgenden Graphik (20 ml einer 0.1 mol/l H₃PO₄ mit 0.1 mol/l NaOH) sind die Äqui­valenz­punkte durch schwarze Vollkreise gekennzeichnet. Die Hintergrund­farben geben die Zusammensetzung der Lösung an, von H₃PO₄ (rot) bis PO₄³⁻ (blau). Die pKₐ-Werte sind -2.148, 7.198 und 12.319.

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Wichtig ist dabei das Wort „nominal“. Am 1:1-Punkt (20 ml Verbrauch) liegt nominal reines NaH₂PO₄ vor, in dem Sinn daß die Lösung exakt dieselbe ist wie wenn man die ent­sprechen­de Menge reines NaH₂PO₄ in Wasser löst. Welche Ionen wirklich im Gleichgewicht vor­liegen, ist natürlich eine andere Sache und hängt von den Gleich­gewichts­konstan­ten und (weniger stark) der Konzentration ab. Da es sich um die Lösung eines reinen Salzes handelt, kannst Du den pH-Wert genauso wie immer sonst bei Salzlösungen berechnen. In diesem Fall funktioniert sogar die einfachste Nähe­rungs­formel pH=½(pK₁+pK₂). Wenn Du die Gleich­gewich­te alle ausrechnest, dann stellst Du fest, daß tatsächlich der allermeiste Phosphor als H₂PO₄⁻ in der Lösung vor­kommt. Genau deshalb sieht man auch den ÄP in der Titrationskurve.

Beim 1:2-Punkt (40 ml Verbrauch) ist es genauso, aber der 1:3-Punkt (60 ml) ist anders. Nominal besteht an diesem Punkt die ganze Lösung aus Natrium­phosphat Na₃PO₄, aber dieses Salz hydrolysiert so stark, daß per Gleichgewicht weniger als die Hälfte des Phosphors echt PO₄³⁻ ist, der größere Teil ist immer noch HPO₄²⁻. Daher sieht man auch keinen Sprung im pH. Den pH an diesem Punkt ann man ausrechnen, indem man die Formeln für hydrolysierende Salze verwendet (in dem Fall braucht man eine quadratische Gleichung dafür).

Bei anderen dreibasigen Säuren kann das wesentlich anders aussehen. Zitronen­säure hat z.B. die pKₐ-Werte 3.09, 4.75 und 5.41. Die sind einander so ähnlich, daß nominal reine Lösungen von Dihydrogencitrat und Hydrogencitrat per Gleich­gewicht komplizierte Zusammensetzung haben, weil durch Protolyse immer mehrere Spezies in meßbaren Mengen nebeneinander vorliegen. Nur am 1:3-Punkt ist die Lösung einheitlich zusammengesetzt (Citrat³⁻), und man sieht den Äquivalenz­punkt. Den pH berechnest Du mit der üblichen Formel für hydro­lysierende Salze, aber für die mittleren ÄP gibt es leider keine Näherungs­formel, da mußt Du das Gleichungssystem numerisch ausnudeln.

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Ein lustigerer Fall ist das Dipeptid Lysylalanin (als Hydrochlorid). Hier sieht man wirklich all Äquivaenzpunkte, weil die pKₐ-Werte (3.22, 7.62, 10.70) zufälligerweise so günstig liegen.

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Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Chemiestudium mit Diss über Quanten­chemie und Thermodynamik
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