Seit 1830 feiern die Männer auf Borkum Klaasohm, einem ziemlich ruppigen Volksfest, wo die Frauen verhauen werden. Ist das o.k., oder geht das zu weit?
Und hier ein Link zur ausführlichen Information:
6 Antworten
Ich höre davon zum ersten Mal. Grundsätzlich habe ich nichts gegen Volksfeste, bei denen es scherzhafte Schläge gibt, die nicht wehtun, wie es ja in dem Beitrag auch von dem Krampus-Beispiel in Österreich berichtet wird. Das ist zum Beispiel bei der Elzacher Fastnacht ja genauso.
Ein paar Dinge aber lassen mich aufhorchen:
- Was um alles in der Welt treibt die Borkumer an, neben scherzhaften Schlägen auch welche auszuteilen, die richtig wehtun? In was für einen Hass, was für eine Gewaltorgie muss man sich da steigern und in welcher Weise muss man die bei den allermeisten Menschen vorhandene Empathiefähigkeit ausschalten? Ich hoffe ja ernsthaft, dass die Borkumer Ärztinnen und Ärzte in den Tagen danach wenigstens großzügig krankschreiben und nicht auch wie in so einem Good-old-boys-Netzwerk die Frauen mit ihren Hämatomen wegschicken und sagen, dass sie das aushalten müssen.
- Das Schweigen. Eine Mauer des Schweigens und der Widerwille gegen Videoaufnahmen ist nie gut. Da fragt sich doch jeder sofort: Was gibt es da zu verbergen? Es gibt offenkundig Frauen, die das ganze nicht gut finden, aber sich nicht trauen, darüber zu reden, weil sie sonst als Spielverderberinnen gelten. Ich finde es schwierig, wenn eine Mauer des Schweigens zu solch einer Atmosphäre der Angst führt.
- Bizarr finde ich, dass man bei solch einem Brauch in der heutigen Zeit offenbar nicht willens ist, Änderungen zuzulassen, die sich eigentlich schon automatisch ergeben und zu mehr Augenhöhe führen. Wenn Jungs im Rahmen eines alten Brauchs ein Mädchen mit einem Kuhhorn verhauen, ist es doch sehr naheligend, dass dieses Mädchen dann wiederum den Jungs ein paar sehr kräftige Backpfeifen verpasst. Das ist eine ganz normale menschliche Reaktion. Warum aber rasten sie dann aus (wie in dem Beitrag berichtet), wenn das Mädchen ihnen ins Gesicht schlägt? Ich finde, wenn man sagt, das Derbe und Raue gehört zu dem Brauch dazu, dann sollte man, finde ich, es auch nach allen Seiten öffnen und die Frauen im Rahmen des Rituals ermutigen, ordentlich zuzuschlagen.Nach den Backpfeifen wäre man dann quitt und dann bekommt es was von Augenhöhe und es hätte ja auch etwas spielerisch-kompetitives, wenn, genau wie die Männer, auch mehrere Frauen sich strategisch zusammentäten und überlegten, wen sie sich von den Männern vornehmen. Und dass dann zuhause bleiben muss, wer nicht grün und blau geschlagen werden will, gälte dann gleichermaßen für Männer wie Frauen. Aber wer weiß, vielleicht verleiht ja auch irgendjemand auf Borkum spezielle Klamotten, aus Polizeikontexten oder so, durch die man die Schläge kaum spürt. Dann könnte es ja was witziges bekommen.
- Ich bin auf Borkum eigentlich nur supernetten, zuvorkommenden Leuten begegnet. Aber ob sich unter der Oberfläche auf einer solchen Insel, die doch ein bisschen weiter weg ist als andere, sich abgründigere Dinge besonders gut halten? Ich musste bei dem Beitrag unwillkürlich sofort an das Borkumlied und den Bäderantisemitismus denken. Schon lange, bevor in Berlin irgendwelche Nazis an der Macht waren, gab es in Badeorten einen frappierenden Antisemitismus. Es gab einige ganz wenige Badeorte, wie zum Beispiel Norderney, Wyk, Westerland, Heringsdorf, im Inland Kissingen, wo viele Jüd:innen und Juden Urlaub machten, während sie sich an den meisten anderen Orten kaum blicken lassen konnten, weil sie vor diskriminierenden Äußerngen und tätllichen Angriffen nicht sicher waren, vor denen auch die Polizei meist nicht gewillt war, sie zu schützen. Borkum warb ab 1897 sogar damit, judenfrei zu sein und das wurde im Borkumlied begeistert besungen.
Einfach entsetzlich. Ich habe früher schon einmal von diesem "Brauch" gehört, dachte aber, dass es da eher wie beim Krampus aus der Reportage zuginge.
Es gibt wohl auch in einigen osteuropäischen Ländern den Brauch, zu Ostern Frauen mit Ruten zu schlagen und ich habe das Ganze als "sexistisch, skurril, rückständig aber vergleichsweise harmlos" abgetan. Aber offenbar werden auf Borkum die Mädels grün und blau geschlagen. Damit hätte ich nicht gerechnet.
Auch dieser enorme psychische Druck, der aufgebaut wird, um diesen Miss"Brauch" geheimzuhalten, ist schockierend. Wenn ich mir vorstelle, wie es für die Borkumer Mädels sein muss, dass das Highlight des Jahres auf ihrer Insel ein Fest ist, bei dem sie von verkleideten Männern gejagt werden, dann öffentlich den Hintern versohlt bekommen (mit einem Kuhhorn!!!), während die Umstehenden lachen, grölen und applaudieren, anschließend tagelang nicht sitzen können, weil besagte verkleidete Männer ihre Hintern grün und blau geprügelt haben und sich dann auch nicht einmal kritisch dazu äußern zu können, ohne Probleme mit Familie/Nachbarschaft/Freundeskreis zu bekommen, wird mir richtig schlecht. Man muss sich auch vorstellen, dass den Mädels beigebracht wird, dass es toll, lustig, oder was auch immer ist, einmal im Jahr in der Öffentlichkeit von Männern den Hintern verdroschen zu bekommen. Umgekehrt lernen die Jungs, dass so ein Verhalten zumindest an einem Tag im Jahr in Ordnung wäre.
Ich finde, wenn man eine solche Tradition unbedingt fortführen möchte, dann bitte nur mit Leuten, die freiwillig mitmachen, mit Zurückhaltung und Maß, der Möglichkeit für alle Beteiligten, jederzeit abzubrechen und auszusteigen und geschulten Personen, die sich um Teilnehmer:innen kümmern, denen es nicht gut geht. Außerdem müsste es für alle die Möglichkeit geben, offen über diesen Brauch zu kommunizieren und kritische Fragen zugelassen werden.
Solange das nicht gegeben ist, steht das Bedürfnis der Leute, die Spaß an dieser "Tradition" haben, in keinem Verhältnis zu dem Leid und den Ängsten derjenigen, die nicht einverstanden sind.
Auch die Ursprünge des Brauchs (die heimkehrenden Walfänger versohlen die Frauen um sie auf ihren "Platz" zu verweisen und klarzumachen, dass sie wieder die Herrscher sind), müsste dringend kritisch hinterfragt und auch in der Schule beleuchtet werden.
Ich finde, das geht zu weit.
Traditionen sollten da aufhören, wo die Würde des Menschen anfängt.
Dass Sexismus und verkloppen in Deutschland noch als „Tradition“ angesehen wird, finde ich ekelhaft.
Ich finde es auch jedes Jahr wieder erschreckend, wie viele Männer Spaß an so etwas finden. Ich dachte, wir wären als Gesellschaft ein bisschen weiter.
Absolut nicht ok, auch wenn es angeblich nur ein Spaß sein soll. Frauen sollten auf jeden Fall nicht länger als bis zur Adoleszenz geschlagen werden, denn etwa in diese Richtung geht der Spaß dann doch ziemlich eindeutig.
und nicht nur bis zur Adoleszenz, sie sollen überhaupt nicht geschlagen werden.
Wieso sollte es bis zur Adoleszenz okay sein? Im deutschen Grundgesetz ist das Recht auf gewaltfreie Erziehung verankert. Auch für Mädchen.
Ich frag mich, wo die Polizei da ist. Die werden davon Bescheid wissen, aber unternehmen offenbar nichts. Die Stadt genausowenig. Unfassbar, dass das bis heute toleriert wird und da niemand gegen vorgeht.