Philosophie : Anaxagoras

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Er erklärte die Wirklichkeit aus einer vom Nus, dem Weltgeist, verursachten Wirbelbewegung unendlich vieler Urteilchen (Homöomerien), die sich qualitativ voneinander unterscheiden.

Er ging von dem Grundsatz aus, dass "nichts aus nichts entstehen kann" und dass es eine unendliche Vielfalt von Stoffqualitäten in kleinen Einheiten gibt. Heute würde man das Selbstorganisation der Materie nennen. Er unterschied zum mythisch magischen Denken seiner Zeit z.B. in den Gestirnen keine göttlichen Wesen, sondern Himmelskörper ähnlich der Erde, womit die Naturphilosophie erweiterte Dimensionen bekam.

Anaxagoras war Lehrer des Archelaos und Archelaos war der Lehrer des Sokrates. D.h. Anaxagoras war zwei Generationen vor Sokrates und dieser hat dessen Lehre mit Sicherheit gekannt. Wenn Du in Wikipedia liest, erfährst Du, dass Anaxagoras den Perikles beraten hat und ihm den Rücken gestärkt hat, auch eine gute Rhetorik beigebracht hat. Perikles ist der bekannteste Herrscher der Athenischen Klassik.

Anaxagoras ist wie Archelaos und wie Sokrates und dann später auch Aristoteles der Gottlosigkeit angeklagt worden. Daran sieht man, dass sich die Philosophen und der religiöse Klerus nie grün waren. Bei Wikipedia heißt es:

"Nach Aristoteles (384-322 v. Chr.) soll Anaxagoras die Auffassung vertreten haben, dass die Menschen die klügsten Lebewesen seien, weil sie Hände haben."

Das bedeutet, dass Anaxagoras der Meinung war, dass für die Entwicklung der Menschen die Beherrschung des Feuers und das Fertigen von Werkzeugen ein entscheidender Schritt waren, wie es die heutige Forschung auch sieht. Man sieht also, dass er bereits diesseitig und in gewissem Maße evolutionär gedacht hat. Er zählt zu den "materialistischen" Naturphilosophen. Das setzt sich dann später bei Epikur fort, der ihn wie Archelaos verehrte.

Anaxagoras war Naturforscher und Philosoph, wobei dies nicht stark abgetrennt voneinander war.

Von Anaxagoras gibt es kein vollständiges erhaltenes Werk, sondern nur eine nicht sehr große Anzahl an Fragmenten (Bruchstücken). Gründe für seine Gedanken sind daher nicht immer leicht zu ermitteln.

Texte sind in Sammlungen der Fragmente der Vorsokratiker enthalten.

Ein zu berücksichtigender Umstand ist die Entwicklung philosophischen Denkens, die bis zu seiner Lebenszeit stattgefunden hatte. Anaxagoras geht anscheinend ähnlichen Fragestellungen nach wie die ionische Naturphilosophie (Thales, Anaximander und Anaximenes). Diese gaben Antworten auf Fragen nach dem Anfang/Ursprung (ἀρχή [arche]) und dem Woraus der Dinge der Natur und sucht nach einer Art Urstoff. Anaximander (Anaximandros) hat außerdem als Ursubstanz, Ursprung und Prinzip des Seienden eine unbegrenzte Natur, das Unbegrenzte (τò ἄπειρον [to apeiron]) angenommen, den sichtbaren Stoffen vorgeordnet. Zugleich mit diesem Ausgehen von einem naturphilosophischen Denkansatz hat offenbar Anaxagoras einen Grundgedanken der eleatischen Philosophie (Parmenides und seine Schüler) einzubeziehen versucht: Seiendes ist unentstanden/ungeworden, unvergänglich, ganz, unbeweglich, ohne Ende/unteilbar, ohne zeitlichen Anfang/Vergangenheit und Ende/Zukunft (das heißt: zeitlos), Eines (eine Einheit)/einheitlich), kontinuierlich und einer wohlgerundeten Kugel gleich. Nur Seiendes ist nach dieser Lehre des Parmenides, allein Seiendes ist denkbar und wahr.

Mit dem Thema des Werdens hat sich z. B. Heraklit [Herakleitos] beschäftigt. Dieser hat offenbar eine Lehre von der Einheit der Dinge und dem Zusammenfallen der Gegensätze vertreten. Der in und zwischen Gegensätzen verlaufende Prozeß ist nach Heraklits Auffassung zugleich Teil einer umfassenden Herrschaft des Logos (λόγος). Der Logos bei Heraklit ist teils Weltprinzip in Form eines vernunftbegabten, feuerähnlichen (bzw. wie ein Glutwind/Äther), unveränderlich mit sich identischen Urstoffes, teils mächtiges allgemeines Weltgesetz, teils alles durchwaltende Weltvernunft bzw. Weltseele. Anaxagoras hat anscheinend versucht, eine Erklärung des Werdens zu geben, die eine Realität der Veränderung annimmt (die Erfahrung der Sinneswahrnehmung ist), aber auch gleichbleibendes Seiendes, das nicht entsteht oder vergeht.

Anaxagoras hat die Dinge der Natur weitgehend mit einem materialistischen Ansatz erklärt, daneben aber einen Geist/eine Weltvernunft (νοῦς [nous]) eine wichtige Rolle zugesprochen. Der Geist/die Weltvernunft ist offenbar in gewisser Weise als unabhängig von der Materie gedacht. Aus den vorhandenen Texten ist nicht ganz deutlich, ob Anaxagoras den Geist/die Weltvernunft letztlich materiell gedacht hat oder ob es bei ihm keine scharfe begriffliche Trennung zwischen materiell und immateriell gibt.

Anaxagoras hat Erfahrung für eine nötige Grundlage für Wissen/Erkenntnis über die Dinge der Natur gehalten, aber nicht allein für hinreichend, sondern noch zu durchdenken, auch da ein Schein täuschen kann. Ein Ausgehen von der Empirie war für ihn wichtig, er hat aber keinen reinen Empirismus vertreten.

Anaxagoras hat Thesen zu vielen Naturerscheinungen vertreten. Außerdem hat er die Menschen als weniger stark und schnell als andere Lebewesen beurteilt, aber überlegen durch Erfahrung, Gedächtnis, Klugheit/Weisheit (σοφία [sophia]) und Technik. Im Zusammenhang mit diesem Gedanken zur Anthropologie steht wahrscheinlich seine Aussage, die Menschen seien die intelligentesten Lebewesen, weil sie Hände hätten (gedacht werden kann bei dieser These des Anaxagoras an aufrechten Gang, Freistellung der Hände und Geschicklichkeit aufgrund der Beweglichkeit, z. B. des Daumens, und ihre Rolle in der Entwicklung des Menschen).

philosophische Lehren

erhaltene Hauptaussagen

1) kein Entstehen aus dem Nichts, aber Veränderung

VS DK (= Fragmente der Vorsokratiker, Hermann Diels/Walther Kranz) 59 B 17: τὸ δὲ γίνεσθαι καὶ ἀπόλλυσθαι οὐκ ὀρθῶς νομίζουσιν οἱ Ἕλληνες • οὐδεν γάρ χρῆμα γίνεται οὐδὲ ἀπόλλυται, ἀλλ’ ἀπὸ ἐόντων χρημάτων συμμίσγεται τε καὶ διακρίνεται. καὶ οὕτως ἂν ὀρθῶς λαοῖεν τό τε γίνεσθαι συμμίσγεσθαι καὶ τὸ ἀπόλλυσθαι διακρίνεται.

„Vom Entstehen und Vergehen aber haben die Hellenen [Griechen] keine richtige Meinung. Denn kein Ding entsteht oder vergeht, sondern aus seienden Dingen mischt es sich und scheidet sich. So würden sie demnach richtig das Entstehen Mischung und das Vergehen Scheidung nennen.“

Es gibt wahrhaft wirkliche Dinge, ungewordenes und unvergängliches Seiendes. Das Werden im Bereich der Erfahrung ist deren Mischung/Verbindung und Trennung/Scheidung.

Nichts entsteht aus etwas, was nicht ist.


Albrecht  28.09.2013, 06:12

Informationen zu Anaxagoras und Darstellungen seiner Lehren :

Christof Rapp, Vorsokratiker. Originalausgabe. 2., überarbeitete Auflage. München : Beck, 2007 (Beck'sche Reihe : Denker ; 539), S. 173 - 187

Wolfgang Röd, Die Philosophie der Antike 1 : von Thales bis Demokrit. 3., überarbeitete und erweiterte Auflage. München : Beck, 2009 (Geschichte der Philosophie. Herausgegeben von Wolfgang Röd ; Band 1), S.174 – 192

André Laks, Anaxagoras von Klazomenai. In: Großes Werklexikon der Philosophie. Herausgegeben von Franco Volpi. Stuttgart : Kröner, 1999. Band 1: A – K, S. 37 – 38

André Laks, Anaxagoras. Aus dem Französischen von Konrad Honsel. In: Das Wissen der Griechen : eine Enzyklopädie. Herausgegeben von Jacques Brunschwig und Geoffrey Lloyd. Unter Mitarbeit von Pierre Pellegrin. München : Fink, 2000, S. 483 - 491

Christian Pietzsch, Anaxagoras [2]. In: Der neue Pauly (DNP) : Enzyklopädie der Antike ; Altertum. Herausgegeben von Hubert Cancik und Helmuth Schneider. Band 1: A - Ari. Stuttgart ; Weimar : Metzler, 1996, Spalte 667 - 668

Georg Rechenauer, Anaxagoras. In: Frühgriechische Philosophie. Halbband 2. Herausgegeben von Dieter Bremer, Hellmut Flashar und Georg Rechenauer (Grundriss der Geschichte der Philosophie. Begründet von Friedrich Ueberweg. Völlig neu bearbeitete Ausgabe. Herausgegeben von Helmut Holzhey. Die Philosophie der Antike - Band 1/2). Basel ; Stuttgart : Schwabe, 2013, S. 740 – 796

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Albrecht  28.09.2013, 06:06

2) Mischung gleichteiliger Grundstoffe: in allem gibt es einen Anteil von allem

Anaxagoras führt durch qualitative Eigenschaften bestimmte Dinge nicht auf Elemente zurück, die diese qualitativen Bestimmungen nicht haben. Es gibt nach seiner Auffassung immer dem ursprünglichen Ganzen gleichartige Teile/Grundstoffe. Kein Ding ist eine reine Substanz aus einem einzigen Grundstoffe, sondern alles ist aus verschiedenartigen Teilen/Grundstoffen zusammengesetzt, aus Teilen/Grundstoffen aller vorhandenen Arten, so daß alles in allem ist. Es gibt eine unendliche Mannigfaltigkeit der Substanzen und eine universelle Mischung aller empirischen Stoffe. Bei einem Ding gibt es jeweils einen bestimmten Grundstoff überwiegend (am meisten und am deutlichsten bemerkbar) aber eine kleine Beimischung aller anderen Grundstoffe.

Vielleicht ist ein Ausgangspunkt ein Phänomen der Ernährung gewesen, bei der Nahrung in verschiedene Körperbestandteile (wie Haare, Blut, Knochen) umgewandelt wird, indem geschlossen wurde, das Entstandene müsse in der Nahrung enthalten gewesen sein.

3) unendliche Teilbarkeit der Materie

Es gibt keinen kleinsten Teil von irgendetwas, bei dem die Teilbarkeit endet.

4) Vermischung aller Dinge miteinander in einem Urzustand, dessen Entwicklung dann vom einem Geist/einer Weltvernunft in Gang gesetzt worden ist

Kosmogonie (Weltentstehung): Im Urzustand waren in einem Urgemisch (ursprünglichen Gemisch) Grundstoffe homogen (gleichartig, gleichmäßig, einheitlich) verteilt. Alle aus dem Urzustand hervorgegangenen Dinge (Grundstoffe) waren in dem Urgemisch schon enthalten. Die Weltentstehung (Entstehung des Kosmos) hat mit einem vom Geist/von der Weltvernunft ausgehenden Anstoß begonnen, der im Urgemisch aller Dinge eine sich immer weiter ausbreitenden Wirbelbewegung hervorruft.

Infolge der kreisförmigen Bewegung (Rotation) sonderten sich die Luft (als das Dichte und Kalte) und der Äther (als das Dünne und Warme) ab. Bei dieser ersten Sonderung, tendierte die Luft als das Dichtere zum Zentrum des Wiebels, während der Äther als das Dünnere zur Peripherie gedrängt wurde. Im Mittelpunkt des kosmischen Wirbels bildete sich durch Konzentration und Kondensation von Materie die Erde.

Die Sonne und überhaupt alle Himmelskörper sind glühende Gesteinsmassen, die von der Rotation erfaßt worden sind.

Für Veränderung ist etwas erforderlich, das in Bewegung setzt. Bei den Grundstoffen hat Anaxagoras anscheinend Masse angenommen, aber keine eigene Bewegungskraft. Anaxagoras legt ein erstes bewegendes Prinzip als Ursache der Bewegung zugrunde, das er als ein zweckvoll handelndes, auf ein Ziel gerichtetes intelligentes Wesen, ein Wesen mit verständiger Kraft und größter Macht darstellt. Dies ist der Geist/die Weltvernunft (νοῦς). Der Geist denkt umfassend und kann alles ordnen. Er ist einfach (nicht vermischt), hat Bewußtsein und Fähigkeit zu Planung.

Der Geist/die Weltvernunft setzt eine Entwicklung in Gang, die Notwendigkeit aufweist. Der Geist/die Weltvernunft ist nach dem Eindruck der erhaltenen Texte aber auf die Initiierung beschränkt (mit der zu Anfang in Gang gesetzten Rotationsbewegung beginnt die Entwicklung des Kosmos). Einzelne Tatsachen/Sachverhalte des Kosmos werden nicht aus ihren Zwecken erklärt.

Der Geist/die Weltvernunft ist ein von der Materie unabhängiges, wenngleich nicht unkörperliches Prinzip. Der Geist/die Weltvernunft ist nach der Lehre des Anaxagoras als einziger nicht mit anderen Dingen vermischt, existiert nur für sich selbst, ist unbegrenzt/ unendlich und herrscht selbständig, ist das feinste und reinste von allen Dingen, hat von allem Kenntnis und besitzt die größte Kraft, ist Ursache der Rotationsbewegung, hat alles geplant und geordnet, ist homogen und sich selbst gleich, ist da, wo auch alles andere ist (vgl. vor allem VS DK 59 B 12).

weitere erhaltene philosophische Lehren

Relativität aller Größenbestimmungen

Dinge sind nicht an sich große oder klein, sondern abhängig von einem Vergleich/einem herangetragenen Maßstab (vgl. VS DK 59 B 3).

Wahrnehmungslehre: Wahrnehmung ist abhängig von unterschiedlicher Zusammensetzung der Dinge

Wahrgenommen wird nach einer Aussage des Anaxagoras etwas nur, wenn es sich in seiner materiellen Zusammensetzung vom Wahrnehmenden unterscheidet, so daß der ausgehende Reiz eine Veränderung im Sinnesorgan hervorruft. Nach seiner Auffassung findet bei der Sinneswahrnehmung nicht Einwirkung von Gleichem auf Gleiches statt, sondern von Entgegengesetzten (Kontrast).

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