Normales Hochdeutsch = norddeutsch?
Hallo,
ich hätte da mal eine Frage und würde gerne wissen, wie andere das auffassen, weil mich das mit der Zeit etwas erstaunt hatte.
Ich komme gebürtig aus NRW bzw. Westfalen und bin eigentlich mit keinen sprachlichen Besonderheiten aufgewachsen (damit meine ich jetzt dialektal). Meine Großeltern sprechen zwar noch "Plattdeutsch", aber das ist ja tatsächlich kein Dialekt im herkömmlichen Sinne, sondern gilt sogar als ganz eigenständige Sprache (dem Niederländischen sehr ähnlich). Geboren wurde in Münster.
Immer wenn ich mal in anderen Teilen der Bundesrepublik war (z.B. Ba-Wü, Hessen, Sachsen) und mit Leuten dort etwas ins Gespräch kam, wurde ich ständig auf mein ziemlich "reines" Hochdeutsch angesprochen, dass keinen großartigen mundartlichen Einschlag aufzuweisen schien. Und ich wurde fast immer gleich für einen Norddeutschen gehalten ("kommst du aus Hamburg, Schleswig-Holstein, Mecklenburg?" - usw.). Und dann waren die immer etwas erstaunt, dass ich doch aus einer Region stamme, die eher im Westen und weniger im Norden liegt - sie hätten bei mir erst einmal eine Herkunft irgendwo aus dem norddeutschen Raum vermutet. Bei vielen von denen hörte man natürlich stets diese gewissen dialektale "Färbung" (Schwäbisch, Hessisch, Sächsisch, Pfälzisch etc.) heraus, das konnten die halt nicht verstecken bzw. unterdrücken - was ja auch überhaupt nicht schlimm ist; ich habe da kein Problem mit, bitte nicht falsch verstehen!!
Was ich mich aber nun vor diesem Hintergrund schon wiederholt gefragt hatte, ist folgendes: In Film und Fernsehen sprechen die doch auch ganz normales Standard-Deutsch ohne irgendwelche dialektalen Besonderheiten. Also die ganzen Schauspieler oder Synchronsprecher, die Trickfilme und ausländischen Produktionen ins Deutsche vertonen. Nach den Aussagen der Leute in Mittel-, Ost- und Süddeutschland müssten die dann ja auch tatsächlich dort nach "norddeutscher Manier" sprechen. Ist das wirklich so, dass das allgemeine Hochdeutsch, dass auch in Film und Fernsehen praktiziert wird, als norddeutsche Sprachweise anzusehen ist?
Außerdem schauen die Leute in den anderen Teilen Deutschlands doch das gleiche Fernsehprogramm etc. Da habe ich mich auch schon mal gefragt, ob denen (z.b. einem aus Bayern oder Sachsen) das nicht auffällt, wie sehr ihre alltägliche (dialektale) Sprachweise eigentlich von dem Deutsch im Fernsehen oder in Filmen abweicht. Oder machen die sich darüber vielleicht einfach keine weiteren Gedanken bzw. trennen das mental irgendwie voneinander - so nach dem Motto: in Film und Fernsehen ist das so, aber die Realität sieht halt anders aus.
Bin mal neugierig, was ihr zu dieser These/diesem Thema so meint bzw. was eure Ansichten dazu sind.
2 Antworten
Wie Du schreibst, bist Du aus Münster, das liegt relativ weit im Norden, kurz vor Osnabrück (Niedersachsen) und kurz vor Holland (Enschede). Von Münster bis zur Nordsee (Wilhelmshafen) ist es auch nicht mehr weit. Für jemanden aus Hessen, Köln, Bayern oder Baden-Württemberg ist das gefühlt Norddeutschland.
Sachsen liegt auch etwas südlicher im Osten.
In NRW (Köln) ist es so, daß man wahlweise Kölsch oder Hochdeutsch spricht, meistens hört man es aber raus, daß sie Rheinländer:Innen sind.
Wahrscheinlich ist es in Münster ähnlich wie in Hannover und in Celle. Das ursprüngliche Niederdeutsch/Plattdeutsch, das auch in der Region Hannover Ähnlichkeiten mit dem Holländischen und übrigen Niederdeutschen Dialekten hatte (wie Hamburger/Schleswig-Holsteiner Platt) wurde früher hier gesprochen.
In der Region Hannover und in Celle wurde seit dem Mittelalter das Niederdeutsche (auch durch Martin Luther's Bibel-Übersetzung aus dem Latein) vom Hochdeutsch verdrängt.
Ich kann nicht mitreden, welchen Bezug die Münsteraner:Innen zu Ihrem Dialekt haben. Da Münster nahe der Holländischen Grenze liegt, ist die Ähnlichkeit mit dem Holländischen logisch.
Zum Fernsehen: In Gebieten mit starkem Dialekt (Köln, Rheinland, Eifel, Pfalz, Schwaben, Bayern, Schleswig-Holstein, Hamburg, Berlin) ist es meist so, daß man das Hochdeutsch für förmliche Anlässe gebraucht, (Schule, Behörde) aber privat tun die Leute eben Schnacken, Schwätze, Babbele, Schwaate, also im Dialekt reden. (Sowie Jugendliche unter sich, Jugendliche reden mit Alten Leuten auch anders). Das heißt, man hat eine gewisse Distanz zum Tagesschau-Hochdeutsch in Dialekt-Gebieten, Hochdeutsch wird mit spießig oder Beamtendeutsch gleichgesetzt. Dialekt ist dagegen Heimat und persönlich. Wenn man Amerikanische Filme (synchronisiert) sehen will, dafür nutzt man halt Hochdeutsch, das wird hingenommen, da Amerika ja eh eine andere Region ist.
Hochdeutsch ist übrigens nicht Norddeutsch. Schaut Euch Werner-Filme an, dann hört ihr Norddeutsches Plattdeutsch oder den Akzent. In Hamburg und in Ostfriesland (Emden/Niedersachsen) spricht man ähnlich wie in Schleswig-Holstein. Friesisch ist dem Norddeutschen Platt auch ähnlich. In Berlin wird berlinert, im Ruhrpott gibt's auch Platt/Dialekt. In Norddeutschland wird hauptsächlich Dialekt gesprochen. (Und, z. B. in Husum, Schleswig-Holstein wird Friesisch und Niederdeutsch/Plattdeutsch sogar neben Hochdeutsch als Schriftsprache verwendet, offiziell. )
Hochdeutsch kommt aus Meißen, Sachsen und Thüringen und Teilen von Hessen und Franken. Auch Bayrisch und Schwäbisch ist näher am Hochdeutsch dran, als jeder Norddeutsche Dialekt. Man versteht ja auch als Ortsfremde:r bei Schwaben und Bayern jedes Wort.
Du wirst es vielleicht nicht für möglich halten, aber die meisten Menschen sind sich sehr wohl der sprachlichen Unterschiede bewusst und dass sie vielleicht selber einen Dialekt sprechen obwohl sie auch Deutsch verstehen.
Interessanterweise gibt es auch genug, die glauben, dass sie Hochdeutsch sprechen obwohl sie es nicht tun. Im Norden hört man eigentlich kaum Hochdeutsch und bei meinen Verwandten dort merke ich sehr gut, dass sie eingefärbt reden.