Nicht weinen können in der Therapie?
Hallo,
mich beschäftigt schon länger folgende Frage:
Ich habe nach dem Tod meiner Mama vor 2,5 Jahren eine Therapie angefangen. Mit meiner Therapeutin habe ich unglaubliches Glück, denn ich konnte von Anfang an ein sehr großes Vertrauen zu ihr aufbauen und habe mich immer angenommen und verstanden gefühlt.
In den 2,5 Jahren ist bei mir unfassbar viel passiert: Ich hatte vor dem Tod meiner Mama mit Selbstverletzung angefangen, wovon ich mit der Hilfe meiner Therapeutin wieder weggekommen bin (und seit 2 Jahren kein einziges Mal das Bedürfnis hatte). Ich bin in die Bulimie abgerutscht, habe mich da auch erfolgreich rausgekämpft. Dann ist mein jüngerer Bruder bei einem Autounfall ums Leben gekommen (ich war damals gerade 18, er 15 Jahre alt). Vor 6 Monaten hat sich mein Freund, mit dem ich 4 Jahre lang zusammen war, wegen Depressionen das Leben genommen.. Aktuell bin ich dabei, mich aus der Magersucht zu kämpfen und möchte zum Wintersemester mein Studium beginnen.
Nun endlich zu meiner Frage: Ich konnte in 2,5 Jahren Therapie nicht ein einziges Mal weinen! Ich war verzweifelt, niedergeschlagen usw.. aber habe trotzdem nie geweint, obwohl ich oft den Wunsch verspürt habe, genau das zu tun, damit sich dieser unglaubliche innere Druck abbaut. Ich habe also keine Angst davor zu weinen bzw. es wäre mir auch nicht peinlich, vor meiner Therapeutin zu weinen, weil ich sie sehr schätze und mich wirklich gut aufgehoben fühle. Ich war manchmal kurz davor, aber die Tränen sind nie gekommen..
Meine Therapeutin sagt, dass sie merkt, dass ich noch eine Maske aufhabe und mich damit schützen will. Und dass ich geduldig sein soll, das Weinen würde von alleine kommen (oder auch nicht). Aber so langsam wird der Druck in mir unerträglich..
Hat jemand von euch damit schon einmal seine Erfahrungen gemacht oder kann mir irgendetwas dazu sagen?
Liebe Grüße!
5 Antworten
Hallo Maren,
ich muss Deiner Therapeutin recht geben, hier darfst Du Dir viel Geduld gönnen.
Ich möchte auch nicht ausschließen, dass es im Moment bei Dir Schutzmechanismen gibt (die Maske, von der die Therapeutin sprach). Die mögen im Augenblick für Dich sehr nützlich sein.
Wenn da mal das Gefühl kommt, wegen irgendwas weinen zu müssen, ob in einer der therapeutischen Sessions oder sonst wie: nehme das Gefühl war und gehe mehr und mehr mal hinein. Besprich aber das wie und wann mit Deiner Therapeutin.
Schön ist es, wenn jemand dabei ist (die Therapeutin, gute Freunde oder Feundinnen), die Dich sofort trösten, die Dir sofort volle Liebe schenken. Und es wird die Zeit kommen, dass auch wieder Tränen fließen. In dem Moment, wo die Liebe die Gefühle zum Weinen auflösen möchte, kann sich das mit der Rührung aus der Liebe hearus multiplizieren.
Nachdem meine Ex mir einfach so weggelaufen war, hatte ich viel weinen müssen. Jetzt, viele Jahre später, kommen mir auch noch in manchen Situationen die Tränen - aber das Weinen ist auch nicht mehr so intensiv, das Gefühl dahinter wohl.
Viele Grüße EarthCitizen
Vielleicht verdrängt dein Gehirn diesen Schmerz immer, was nicht heißt, dass er nicht da ist. Dein Text ist gespickt an schlimmen Erfahrungen, trotzdem ist er relativ nüchtern und sachlich geschrieben.
Es ist aber schon erstaunlich, dass du nie geweint hast. Eigentlich müsste das alle paar Monate 1 oder 2 Tage lang aus dir "rausplatzen" und dann würde wieder eine "nüchternere" Phase der Verdrängung einsetzen.
Deshalb auch dieser Druck.
Danke für die Antwort! Genau das ist mein "Problem": Wenn ich über diese Schicksalsschläge spreche, bin ich wie "tot"- also kaum emotional.. Ich habe diese Fassade, damit sie mich schützt- weil ich in der Vergangenheit oft ganz schlimm verletzt wurde, als ich meine Gefühle offen gezeigt habe. Das ist natürlich auch ein Grund aber ich wünschte, ich könnte einfach mal alles rauslassen! Denn der Druck, der sich in mir anstaut, ist mittlerweile schon enorm..
Wie viel traumatisches Sie in so kurzer Zeit erlebt haben! Sie haben mein vollstes Mitgefühl! Und das sollten Sie sich selbst auch gönnen. Stellen Sie sich nicht unter irgendeinen Leistungsdruck, auch nicht unter den Druck, weinen können zu müssen. Haben Sie Geduld mit sich und seien sie möglichst liebevoll zu sich selbst. Unternehmen Sie Dinge, die Ihnen Freude und Zuversicht vermitteln. Ihre Seele hat so viele Schocks zu verarbeiten, das braucht Zeit und auch schöne Erlebnisse, die den Heilungsprozess unterstützen. Gut tut auch, mal täglich darauf zu achten, wofür man dankbar sein kann. So ist es ein unschätzbares Gut, dass Sie Vertrauen zu Ihrer Therapeutin haben können und diese Ihnen zur Mut zur Geduld macht. Ich wünsche Ihnen von Herzen alles Liebe und Gute.
Ja, so etwas kann Jahre später geschehen, da eine Therapie lange nachwirkt. Deswegen setzt dich nicht unter Druck, dadurch verhinderst du innerlich sich lösen können.
War aber auch ganz schön Viel. Deiner Therapeutin kann ich nur zustimmen. Zuerst muss die Anorexia nervosa zum Stillstand gebracht werden. Dann wird noch Zeit vergehen bevor Du weinen kannst.
Ich schreibe aus Erfahrung.