Kennt jemand das musikalische Sonderzeichen?

6 Antworten

Vom Beitragsersteller als hilfreich ausgezeichnet

Meine Mutmaßung dazu: eine stilistisch frei interpretierte Variante des Alla Breve. Hervorgegangen aus dem Tempus imperfectum cum prolatione minori, das in der Bedeutung einer geraden, also in der göttlichen Auslegung imperfekten Taktteilung auf 2 normalerweise einen Punkt statt eines vertikalen Strichs aufweist.

Kommt ja immer darauf an, aus welchem Jahrzehnt es stammt. Auffällig auch, dass die Notenhälse falsch gestielt sind. Heutzutage müssen Noten, die oberhalb der Mittellinie liegen, den Notenhals von der linken Seite des Notenkopfs aus nach unten weisen, nicht wie hier von der rechten Seite.

Bis weit ins 18./19. Jahrhundert hat jeder Musiker seine Musik ein wenig anders notiert. Siehe Violinschlüssel von verschiedenen namhaften Komponisten. Und vielleicht hatte der Graveur auch einfach keine Ahnung von Musik, konnte vielleicht sogar gar nicht lesen und hat einfach gemacht, was er ästhetisch fand.


Sotoben 
Beitragsersteller
 10.09.2016, 19:05

Den ersten Absatz habe ich zwar nur so zur Hälfte verstanden, aber hört sich trotzdem durchaus plausibel an. Das mit der eigenen Notierung passt ganz gut, weil auf dem Glas die Taktstriche teils auch verschnörkelt und verziert waren. Vermutlich war es dann tatsächlich einfach nur eine Verschönerung des Alla Breve Zeichens.

Danke auf jeden Fall. ^^

jpPopgesang  11.09.2016, 10:10
@Sotoben

Im Mittelalter, in der Mensuralnotation, gab es zwei Zeiten in der Musik: das Tempus Perfektum (die perfekte Zeit) und das Tempus Imperfektum (die nicht perfekte Zeit).

Der Begriff Tempus bezieht sich auf das Verhältnis Brevis zu Semibrevis (2 Notenwerte, "entsprechen" der heutigen Halben Note und Viertelnote).

Ausgehend von der engen Verflechtung von Musik und Religion war das Tempus Perfektum eine Taktart mit 3 Schlägen pro Takt, also eine ternäre Teilung und stand symbolisch für die Dreieinigkeit im christlichen Glauben. Das Tempus Imperfektum, die binäre Teilung, hingegen hatte nur 2 Schläge pro Takt.

Daher:

  • Im Tempus Perfektem entspricht 1 Brevis 3 Semibreven. Es wird gekennzeichnet mit einem Kreis (ja, ein schlichter Kreis).
  • Im Tempus Imperfektum entspricht 1 Brevis lediglich 2 Semibreven. Es wird gekennzeichnet mit einem halben Kreis (wie die linke Seite einer halben Pizza, ähnlich dem großen C).

Das Tempus (perfektum sowie imperfektum) konnte durch die Prolatio, also das Verhältnis von Semibrevis zu Minima (vergleichbar mit der heutigen Viertel- und Achtelnote), unterschieden werden. Der Prolatio maiori lag eine Dreierteilung der Minima zugrund, der Prolatio minori eine Zweiterteilung. Die Prolatio minori wurde zusätzlich mit einem Punk in der Mitte des Kreises (Tempus Perfektum) oder Halbkreises (Tempus Imperfektum) gekennzeichnet.

Nimmt man beides zusammen, kommt raus:

  • Tempus Imperfektum (1 Brevis entspricht 2 Semibrevis) Cum (mit) Prolatio Maiori (einer Dreierteilung) = unser heutiger 6/8 Takt
  • Tempus Imperfektum Cum Prolatio Minori (eine Zweierteilung) = unser heutiger 2/4 Takt

Und zu den Zeichen, die damals Mensurzeichen hießen und heute Taktart genannt werden:

  • Das Tempus Imperfektum Cum Prolatio Maiori hatte als "Taktart-Zeichen" einfach nur den schlichten Halbkreis (die link Hälfte der halben Pizza). Ein "C-Takt" (erinnere dich: halbe Pizza sieht aus wie ein C) ist ja noch heute ein 4/4 Takt.
  • Das Tempus Imperfektum Cum Prolatio Minori hingegen hatte als "Taktart-Zeichen" den Halbkreis mit Punkt. Der Weg zum heutigen Alla Breve-Zeichen (da taucht die Brevis, die heutige halbe Note, als Notenwert sogar im Namen auf) mit vertikalem Strich ist von da aus nicht mehr weit.

Ich hoffe, das ist verständlicher, wenn auch nicht gerade kürzer ;-)

jpPopgesang  11.09.2016, 10:24
@jpPopgesang

Ach, eins noch: Die Verflechtung von Musik und Religion wird dann klarer, wenn du dir ins Gedächtnis rufst, wo Musik denn damals praktiziert und auch notiert wurde: in Klöstern. Die Art Musik, die hoch angesehen war, war die geistliche Musik. So wie das ganze Leben damals zum Wohle und Ruhme Gottes verbracht wurde. Logisch, dass eine Dreierteilung als Symbol der Heiligen Triade Gottvater, Gottsohn und Heiliger Geist "heiliger" und "perfekter" war eine die weltliche Zweierteilung.

Sotoben 
Beitragsersteller
 11.09.2016, 12:18
@jpPopgesang

Ok, dass habe ich sogar relativ gut verstanden, Dankeschön.

Leider passt die Verbindung zur Religion für dieses Stück wahrscheinlich nicht. Ein Teil des Textes den ich mittlerweile entziffert habe ist "...viva unsere Kompanie!". Deswegen vermute ich, dass es eher ein militärisches Lied aus der Zeit war. Ich werde mal nach dem Liedtext recherchieren, dann finden sich vielleicht mehr Information.

Vielen Dank für die Antwort.

jpPopgesang  14.09.2016, 14:39
@Sotoben

Bitte schön :)

Das der Text eher militärisch ist, muss nichts heißen. Selbst Bach hat viele Kompositionen wiederverwendet und einfach einen neuen Text drunter geschrieben. Und wenn die Zeit ungefähr stimmt, dann spielte die Religion immer noch eine ausreichend große Rolle, dass der Ursprung und der Trinitätsgedanke überdauert hat.

Nur weil es heute Autos gibt, heißt das nicht, dass man den Stellenwert der Lokomotive für die damalige Zeit nicht mehr anerkennt oder dass man nicht auch heute noch mit dem Zug fährt.

Hallo Sotoben!

Vielen Dank für die Zeichnung!

Ein Altschlüssel ist es definitiv nicht, auch wenn die Zeichen z.T. erheblich voneinander abweichen. Aber der Notentext, der folgt ist eindeutig Violinschlüssel, erkennbar an den Vorzeichen und den Halbtönen.

Ein Taktzeichen ist es auch nicht, die sehen anders aus, so wie jpPopgesang es beschrieben hat.

Das einzige, was ich mir noch vorstellen kann, ist ein Segno-Wiederholungszeichen. Das sieht zwar heutzutage so aus (siehe Bild), könnte aber gemeint sein. Dazu müsstest Du feststellten, ob es irgendwo später im Stück ein da capo (oft abgekürzt D.C.) gibt. Manchmal heißt es auch da capo dal segno oder D.C. dal segno.

Gruß Friedemann

Segno - (Musik, Noten, Barock)

Sotoben 
Beitragsersteller
 11.09.2016, 12:04

Hm, ich weiß leider nicht aus welchem Stück es direkt ist oder wie es weiter geht, nur dass es wohl mit dem Militär zu tun hatte (Text beinhaltet "viva unsere Kompanie"). Aber ich werde mal nach dem Lied recherchieren und dann mal sehen ob es da ein da capo gibt.

Vielen Dank für die Antwort.

Die Sache mit den Mensurzeichen klingt an sich schön, wird aber dann unwahrscheinlich, wenn das Glas tatsächlich aus dem 17./18. Jahrhundert stammt. Denn damals waren die alten Zeichen der Mensuralnotation schon längst überholt und unsere heutige Notation weitgehend im Gebrauch. Im 17. Jahrhundert konnten Mensurzeichen noch vorkommen (insbes. in der ersten Hälfte), im 18. Jahrhundert praktisch nicht mehr.

Wenn es aber in Glas graviert ist, bedeutet es, dass man das Stück von zwei Seiten lesen kann. Hier beginnt die Möglichkeit, das Zeichen tatsächlich als einen weiteren Schlüssel zu lesen, der, aus einer anderen Perspektive betrachtet, aus dem Notat eine andere Stimme macht. Dadurch würde das Stück im Glas z.B. zu einem zweistimmigen Krebskanon werden: Einer liest die Musik von vorne, der andere, gegenüber sitzend, liest die andere Stimme von innen im Altschlüssel und rückwärts, wenn die erste Person das Glas dreht.
Mit Sicherheit will ich das nicht sagen ohne ein Bild des ganzen Glases gesehen zu haben, aber es könnte eine plausible Spur sein...


Sotoben 
Beitragsersteller
 11.09.2016, 22:45

Das ist ja mal eine interessante Theorie. Ich werde das auf jeden Fall mal überprüfen. Vielen Dank.

baucolo  11.09.2016, 22:48
@Sotoben

Gerne. Bin schon neugierig, wie es weitergeht.

Hallo Sotoben!

Nach Deiner Beschreibung ist das ein C-Schlüssel, auch bekannt als Bratschen- oder Tenorschlüssel.

Bratschen- und Alt-Schlüssel sind nur andere Bezeichnungen für dasselbe, Alt- und Tenorschlüssel sind übrigens nicht dasselbe! Der Altschlüssel zeigt mit seinem Zentrum das c' auf der Mittellinie. Dagegen ist der Tenorschlüssel verschoben auf die 2. Linie von oben. In der Barockzeit wurde derselbe Schlüssel auch noch auf der 2. Linie von unten als Sopranschlüssel verwendet worden.

Gruß Friedemann

C-Schlüssel - (Musik, Noten, Barock)

Sotoben 
Beitragsersteller
 10.09.2016, 01:07

Ah ok, wieder was dazu gelernt. ^^

Aber dass ist die komplette Notenzeile abgeschrieben. Das Zeichen ist 1 zu 1 abgezeichnet und für mich sieht das halt überhaupt nicht nach Tenorschlüssel aus. Außerdem müsste der doch eigentlich an Stelle des Violinenschlüssels stehen, oder? :/

Sotoben 
Beitragsersteller
 10.09.2016, 01:12
@Sotoben

Moment, er will das Bild nicht laden.

Da der Schlüssel, nach Deiner Beschreibung, als Taktschlüssel steht sollte es der Alla Breve Schlüssel für 2/2 Takt sein. Siehe im Link:

https://de.wikipedia.org/wiki/Alla_breve


Sotoben 
Beitragsersteller
 10.09.2016, 11:22

Hier ist die Liedzeile mal abgeschrieben. Das Zeichen ist so 1 zu 1 abgezeichnet und ich bin mir echt nicht sicher, ob das wirklich ein alla breve darstellen soll. Es sieht halt schon merklich anders aus, es kann aber halt auch sein, dass man alla breve früher so geschrieben hat. Keine Ahnung.

https://www.dropbox.com/s/w3tqlb1em3owab6/20160909_122359_HDR.jpg?dl=0

Posaunist  10.09.2016, 14:54
@Sotoben

es kann aber halt auch sein, dass man alla breve früher so geschrieben hat.

Das vermute ich auch, da es außer dem großen Alla Breve (ohne senkrechten Strich) und dem kleinen Alla Breve (wie im Wikipedia-Artikel) keine weiteren Taktschlüssel gibt.