Irgendwo dazwischen, wer oder was bin ich?
Die Familie ist außer Haus und ich habe gleich Mittagsschicht. Wie gerne würde ich heute ein Sommerkleid anziehen... Als Frau liebe ich Kleider. Im Kleid zur Arbeit, sieht man bei uns nicht oft, da würden die Jungs auf der Arbeit gucken.
Aber das wird nicht passieren. Denn ich bin keine (biologische) Frau, sondern ein Mann. Das sogar sehr gerne, ich bin gerne Ehemann, Vater und Kumpel, rede über "Männerthemen". Bei den Frauen in unserem Freundeskreis bin ich der "Frauenversteher". Manchmal schaue ich statt Actionfilme mit meiner Frau "ihre Liebesschnulzen". Sie spottet dann immer liebevoll unwissend, dass ich gerade meine weibliche Seite zeige. Ja, manchmal bin ich weiblich (so wie jetzt) und manchmal männlich. Nicht, weil ich typisch weibliche oder männliche Dinge tue, sondern weil ich mich so fühle. Das ist schwer zu erklären, es ist so ein inneres tiefes Gefühl, dass eindeutig sagt: du bist eine Frau. Oder eben ein Mann. Tatsächlich öfter Mann als Frau.
Ich trage (heimlich) Damenkleidung, am liebsten ein Kleid, darunter einen BH und Slip in der gleichen Farbe. Ich trage eine lange Perücke und schminke mich. Ich habe gelesen, Männer wie mich nennt man Crossdresser. Manchmal trage ich gerne Jeans, T-Shirt und Sportschuhe und manchmal bevorzuge ich es geschminkt im Kleid und High Heels herum zu laufen. Zumindest bis vor kurzem war das so.
Ans Crossdressing bin ich durch Zufall gekommen, durch einen Spaß. Im Laufe der Zeit kamen immer mehr Sachen dazu. Auch draußen war ich so unterwegs, wo mich keiner kennt. Wenn es sehr ländlich war bin ich ein paar Schritte gegangen, alle paar Minuten kam ein Auto. Hat der Fahrer mich wahrgenommen? Ich möchte gerne als Frau wahrgenommen werden, denn das bin ich in dem Moment und nicht ein Mann in Frauenkleidern.
Ich glaube meine Frau ahnt was, die Spuren ließen sich nicht immer verwischen. Ich weiß, wie sie darüber denkt, sie hat Andeutungen gemacht. Und deshalb habe ich alle Kleidung, Makeup, Schmuck usw. weg geworfen. Ich brauche keine Kleidung, um mich weiblich zu fühlen, aber wie fühlt sich eine Frau, der man verbietet Frauenkleidung zu tragen?! Aber ich liebe meine Familie, sie ist für mich wichtiger als alles andere.
Männer in Frauenkleider... das ist pervers. Das denken viele. Dabei hat es zumindest bei mir überhaupt nichts mit Sexualität zu tun, es erregt mich nicht diese Kleidung zu tragen und ich stehe auch nicht "plötzlich" auf Männer.
Ich habe auch gelesen, dass für viele Crossdressing nur der Anfang ist und sie sich dann irgendwann zur Frau operieren lassen. Klar wäre es toll, wenn mein biologisches Geschlecht jederzeit zu meiner Empfindung passen würde. Aber ich bin eben keine Vollzeitfrau. Genauso wenig wie ein Vollzeitmann. Zwischen den biologischen Geschlechtern hin und her hüpfen - nette Idee.
Wer oder was bin ich? Wo sind die anderen, die so sind und wie geht ihr damit um? Wie erklärt man anderen, dass man nicht krank ist (zumindest fühle ich mich nicht so) und auch nicht böse oder gefährlich.
2 Antworten
Hallo,
Ich glaube der Begriff den du suchst ist genderfluid.
Bei dem Geschlecht muss man in verschiedene Dinge unterteilen:
- biologisches Geschlecht: Das wäre bei dir männlich, beruhend auf dem Körper und seinen Geschlechtsmerkmalen - also u.a. Chromosomen, Hormone und Organe. Hier gibt es die extreme männlich und weiblich und dazwischen intersex.
- Geschlechtsidentität: Das ist, als was du dich identifizierst - fühlt es sich richtig oder falsch an Mann/Frau/... genannt zu werden? Das hier ist das Gefühl, das du beschreibst; manchmal bist du weiblich. Es gibt hier ein riesiges Spektrum, in dem einzelne Geschlechter (oder Gender) nicht klar voneinander abzugrenzen sind.
- Geschlechtexpression: Wie du das Geschlecht nach außen hin zeigst, also zB. durch seine Kleidung. Das muss - wie beim Crossdressing - nicht mit biologischem Geschlecht oder Identität übereinstimmen.
Genderfluid bezieht sich auf deine Identität. Ich bin tatsächlich auch genderfluid, wobei ich einen biologisch weiblichen Körper habe. Das Wort beschreibt ziemlich genau das, was du in deiner Frage beschrieben hast, nämlich dass sich die Geschlechtsidentität ändert, zB. zwischen männlich und weiblich.
Wenn es dein Umfeld zulässt, leb dich aus. Zieh an was du willst und lass dich so nennen, wie du magst. Du bist vollkommen okay und richtig so wie du bist und ganz ehrlich, wer sich davon gestört fühlt wenn du ein Kleid trägst hat sowieso selbst Probleme. Teilweise hilft es, die Personen vorsichtig darüber aufzuklären, dass das ganze nichts schlimmes ist, denn in unserer Gesellschaft ist die Geschlechtsidentität (und freie Auslebung) leider viel zu oft noch Tabuthema. Wie du vermittelst ist deine Sache, das musst du lernen, aber ich fand dass du dich in deiner Frage schon gut ausdrücken konntest:)
Hallo,
vielen lieben Dank für deine ausführliche und auch hilfreiche Antwort. Obwohl ich dieses Gefühl eigentlich schon mein Leben habe, lerne ich es jetzt erst auch zuzulassen. Ich habe noch nie mit jemanden darüber geredet und es ist schön das mal losgeworden zu sein und jemanden mit Verständnis zu treffen. Ich habe nun einiges über den Begriff genderfluid gelesen und zusammen mit deinen Erklärungen macht das Sinn. Ich versuche mein Umfeld dafür zu sensibilisieren und vielleicht traue ich mich auch mit meiner Frau offen darüber zu reden, ob ich das schaffe - keine Ahnung.
Hallo Conny,
dein Prozess kann ich gut nachvollziehen, da meiner sehr ähnlich ist/war.
Die Ausführungen meiner Vorschreiber/-innen war schon sehr detailliert.
Ich glaube aber nicht, dass du krank bist. Hier sind Gefühle, Neigungen, Rollenbilder etc. ebenfalls ein Thema. Du musst es mit dir ausmachen, wem und was du erzählst?
Wenn du dich irgendwann traust und es willst, dann wird vieles auch einfacher. Damit möchte ich dich nicht zu irgendwas animieren, aber ich habe es meiner Frau irgendwann erzählt und so kann ich es auch öfter ausleben.
Wie ich aus anderen Foren weiß, reagieren Frau unterschiedlich und es könnte auch deine Ehe dadurch gefährdet sein. Sollte deine Frau es finden, wird es noch schwieriger für dich, denn sie könnte es als Vertrauensbruch sehen.
Wie gesagt, ich kann und möchte dich nicht zu irgendwas verleiten.
Ich fühle mich in Dw auch besser und habe es teilweise auch Privat an, meine Nachbarn und Bekannten haben mich auch schon so gesehen und es ist mir auch egal. Für viele vielleicht jetzt auch normal.
Frauen machen sich oftmals noch weniger Gedanken. Sie sind mutiger als die meisten Männer im Pinguindress ;-) Sie tragen Farbe, Heels, Kleider, Röcke u.s.w. wo sie Lust drauf haben.
Unterdrücken bringt aus meiner Sicht auch nicht so viel. Bei mir wurde es übrigens immer mehr und ich wollte immer mehr in der Damenwelt eintauchen. Ich kann aber auch Mann sein, ähnlich wie Irvin 82 etwas dazu schreibt.
Da du in der Antwort überlegt hast, evtl. mit deiner Frau mal zu sprechen, dann wünsche ich Dir in diesem Fall viel Glück. ;-)