Höhlengleichnis Platon pädagogisch, politisch interpretieren

2 Antworten

Das berühmte Höhlengleichnis, das Platon in seinem Werk „Politeia“ (514 a– 521 b und 539 d – 541 b) geschrieben hat, ist nach im Text selbst gegebenen Hinweisen (517 a – 521 b und 532 a– 535 a) im Zusammenhang mit dem Sonnengleichnis (508 a – 509 d) und dem Liniengleichnis (509 d – 511 e) zu deuten. Dies ist eine methodische Hilfestellung.

Eine Deutung unter pädagogischen Gesichtspunkten kann sich auf die Bedeutung von Lernen/Erziehung/Bildung beziehen. Die innere Ausrichtung ist nach Platon wichtig. Gegenüber einem unkritischen Verhaftetsein am Schein ist zur Befreiung eine Neuorientierung nötig. Das Entdecken der Welt ist eine Erfahrung und Denkleistung, die von den einzelnen Personen selbst zu vollziehen ist. Das Gewinnen von Erkenntnis, echter Einsicht, kann mühsam und schwierig sein. Hilfe durch andere kann weiterführen, erfordert aber Bereitschaft zum Einlassen auf andere Sichtweisen und zum Umdenken.

Für eine politische Deutung ist die Auffassung Platons über eine Philosophenherrschaft als einziger Weg, einen Staat größtmöglicher Gerechtigkeit zu verwirklichen, zu beachten. Der Aufstieg philosophisch Veranlagter zu den Ideen bis hin zur Idee des Guten (ἡ τοῦ ἀγαθοῦ ἰδέα Politeia 517 c) ist für Platon die Bedingung der Möglichkeit der Befreiung von Staaten als ganzer aus Übeln/einer schlechten Lage und einer Umsetzung des von ihm dargestellten gerechten Staates. Diese (nach Platons Annahme eine eher kleine Anzahl, eine Elite) sollen die Lenkung des Staates erhalten. Nach dem Aufstieg zum Licht der Sonne (steht für die Idee des Guten) sieht Platon nicht eine rein theoretische Lebensweise vor, sondern eine Hinabsteigen zurück in die Höhle zu den anderen, eine Hinwendung auch zur Praxis.

Das Gleichnis ist eine Erläuterung der Erziehung/Bildung (παιδεία [paideía]) der Philosophinnen/Philosophen. Das Höhlengleichnis verdeutlicht die Aufgabe, nach dem Aufstieg (der eigenen Befreiung und einer Umwendung der Seele (ψυχῆς ττεριαγωγή 521 c) zur erhellenden Erkenntnis) zu den noch in Unkenntnis befindlichen Menschen zurückzukehren.

Bei Platon ist das Höhlengleichnis mit einer großangelegten erklärenden Theorie verbunden, die dahinter steht. Mit der Anschaulichkeit eines Gleichnisses bezieht er sich auf:

a) die Beschaffenheit der Wirklichkeit/des Seienden (Ontologie), mit verschiedenen Seinsstufen

b) die Möglichkeit einer Erkenntnis der Wirklichkeit (Erkenntnistheorie)

c) ethische Gesichtspunkte, besonders auch pädagogische

Es gibt eine sichtbare Welt, eine Welt der Erscheinungen (wird durch Sinneswahrnehmung erfahren), und eine durch Denken zu erfassende Welt der Ideen (vgl. Platons Ideenlehre).

Es gibt folgende 4 Erkenntnisstufen (die 2 für die sichtbare Welt [ὅρατος γένος/τόπος] gehören zur Meinung [δόξα], die 2 für die denkbare Welt [νόητος γένος/τόπος)] zum Wissen [ἐπιστήμη] der Vernunft [νοῦς]):

1) Mutmaßung (εἰκασία)

2) Fürwahrhalten (πίστις)

3) hin- und herlaufendes (diskursives) Denken (διάνοια)

4) einsehendes Denken (νόησις)

Der philosophische Weg ist zunächst der Aufstieg in den Bereich des Denkbaren, in die Welt der Ideen, und das Gewinnen von Erkenntnis, dann die Rückkehr/der Abstieg in die Höhle zu den ehemaligen Mitgefangenen, die noch an den bloßen Anschein des Gesichtssinns gefesselt sind, und ihre Befreiung durch Vermittlung des Wissens. Dieser Versuch ist mit Schwierigkeiten verbunden (bis hin zu der Gefahr, getötet zu werden). Der Aufstieg philosophisch Veranlagter ist aber für Platon die Bedingung der Möglichkeit der Befreiung von Staaten als ganzer aus Übeln/einer schlechten Lage und einer Umsetzung des von ihm dargestellten gerechten Staates (vgl. das Zusammenkommen von Macht und Philosophie Politeia 473 c - e– Philosophen werden Könige oder Könige oder andere Machthaber befassen sich gründlich mit Philosophie - als größte von drei Fragen, die wie hereinbrechende Wogen sind).

Platon nimmt bei gewöhnlichen Menschen/den meisten keine Befreiung aus bloßer Eigeninitiative an. Einzelnen mit besonders großen Fähigkeiten kann eine Neuorientierung aus eigener Kraft gelingen. Die meisten Menschen sind nicht so begabt und bedürfen eines Anstoßes und einer Unterstützung von außen. Der Übergang erfordert in beide Richtungen Vorsicht und Behutsamkeit, weil die Menschen ohne richtige Erkenntnis sich an ihren Zustand gewöhnt haben und erst einmal kaum etwas verstehen (der Gewinn, den Philosophie bringen kann, ist für sie nicht offensichtlich) und die Umgewöhnung anstrengende und unangenehme Seiten haben kann, auch für die zu Einsichten Vorgedrungenen bei einer Rückkehr zu Verhältnissen ohne ausreichende Erkenntnis, die Welt des Scheins. Platon begründet diese Aufgabe und damit eine Hinwendung auch zur Praxis mit dem Glück der Gesamtheit, auf das es ankommt.

Es gibt nach platonischer Auffassung bestimmte Schwächen/Anfälligkeiten der Sinneswahrnehmung bzw. einer zu unkritischen Überbelastung mit Leistungen, für die sie angeblich alleine schon eine ausreichende Grundlage ist.


Albrecht  20.11.2011, 23:19

Philosophen vereinigen geistige und praktische Fähigkeiten (484 a – 485 a). Wer echte Erkenntnis des Guten hat, wirkliche Einsicht, handelt nach Platons Überzeugung auch gut. Für wahrhafte Philosophen ist Machtausübung kein Selbstzweck.

Die Erkenntnis der obersten Idee, der Idee des Guten, die nach der vor allem mündlich vorgetragener Prinzipienlehre Prinzip der Einheit/des Einen (ἕν) ist, kann nach Platon dazu befähigen, für Einheit und Ordnung in der Seele der Mitmenschen und im Staat zu sorgen und dadurch zu Glück und richtigem Handeln beizutragen (502 d – 506 b).

Platon hält eine Philosophenherrschaft für das Beste. Philosophen (bzw. Philosophinnen) haben erst mit 50 Jahren ihren Ausbildungsweg abgeschlossen. Bei der Philosophenherrschaft können eine einzelne Person oder mehrere Personen an der Spitze stehen (Politeia 540).

Dies hängt davon ab, ob mehrere eine etwa gleich große Vortrefflichkeit haben. Denkbar ist also sowohl eine Monarchie als auch eine Aristokratie. Die Weisheit der Herrschenden ist schriftlichen Gesetzen überlegen (sie können Gesetz erlassen, aber bei gewandelten Verhältnissen auch wieder Änderungen vornehmen).

Bei der Deutung helfen Bücher über Platon (jede Gesamtdarstellung geht auf das Höhlengleichnis ein) und speziell zu seinem Werk „Politeia“, z. B.:

Michael Erler, Platon (Beck`sche Reihe: bsr - Denker;573). Beck : München, 2006, S. 90 - 94

Michael Erler, Platon (Grundriss der Geschichte der Philosophie. Begründet von Friedrich Ueberweg. Völlig neu bearbeitete Ausgabe. Herausgegeben von Helmut Holzhey. Die Philosophie der Antike - Band 2/2). Schwabe : Basel ; Stuttgart, 2006, S. 401 - 402

Thomas Alexander Szlezák, Das Höhlengleichnis (Buch VII 514 – 521 b und 539 d – 541 b). In: Platon, Politeia. Herausgegeben von Otfried Höffe. 2., überarbeitete Auflage. Berlin : Akademie-Verlag, 2005 (Klassiker auslegen ; Band 7), S. 205 – 228

J. F. M. Arends, Die Einheit der Polis : eine Studie über Platons Staat. Leiden ; New York ; Köln : Brill (Mnemosyne, bibliotheca classica Batava. Supplementum ; 106), S. 286 - 307

0