Hinrichtung Ludwig XVI. - Hilfe?

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Leitfrage: War die Hinrichtung Ludwigs XVI. gerechtfertigt?

Sachverhalt

Ludwig XVI. hatte aufgrund zunehmender Spannungen zur Nationalversammlung und der Bevölkerung von Paris und Einschränkungen seiner praktischen Bewegungsfreiheit am 21. Juni 1791 einen Fluchtversuch mit dem Ziel Montmédy nahe der Grenze zu den österreichischen Niederlanden (heutiges Belgien) unternommen, der aber in Varennes gestoppt wurde.

Ludwig XVI. setzte am 14. April die von der Nationalversammlung beschlossene Verfassung 3. September 1791 in Kraft.

Mit einer französischen Kriegserklärung vom 20. April 1792 nach sich verschärfenden Spannungen und Ultimaten kam es zu einem Krieges Frankreichs gegen Österreich und Preußen.

Am 25. Juli 1792 ließ der Herzog von Braunschweig, Oberbefehlshaber der österreichischen und preußischen Truppen in dem Krieg, ein Manifest veröffentlichen. Darin wurde eine Absicht genannt, König Ludwig XVI. Freiheit und Sicherheit wiederzugeben und ihn in die Lage zu versetzen, seine gesetzmäßige Gewalt auszuüben, und Unterwerfung unter den König verlangt. Die Drohungen bei einem Vorgehen gegen die Königsfamilie bewirkten in Paris Empörung und Verdacht. Die Absetzung des Königs wurde von 47 der 48 Sektionen von Paris gefordert und eine Menge stürmte den Tuilerienpalast. Die Königsfamilie floh zur Nationalversammlung.

Nach den Tuileriensturm am 10. August 1792 hat die Gesetzgebende Nationalversammlung (Assemblée nationale législative) Ludwig XVI. zunächst vom Amt des Königs der Franzosen suspendiert. Er und seine Familie wurden verhaftet und gefangengehalten.

Im August/September fanden (indirektes Wahlverfahren mit mehreren Stufen) Wahlen zu einem neuen Parlament statt, dem Nationalkonvent (Convention nationale). Der Nationalkonvent hatte Ludwig XVI. am 21. September 1792 für endgültig abgesetzt erklärt, das Königtum in Frankreich abgeschafft und die Republik ausgerufen

Zunächst wurde die Möglichkeit, einen Prozess gegen den König zu führen, geprüft. Dafür wurden Vorwürfe zusammengestellt. Dazu gehörte, seine entlassene und nach Koblenz emigrierte Leibwache weiterbezahlt zu haben. Am 20. November wurde in einem eingebauten „eisernen Schrank" (armoire de fer) in den Tuilerien Dokumente gefunden, die ihn zusätzlich belasteten. Ludwig XVI. hatte offenbar ein Doppelspiel betrieben, eine geheime Korrespondenz mit ausländischen Mächten und Emigranten geführt, geheime Verbindungen zu Personen gehabt, revolutionsfeindliche Presse finanziert.

Ohne eine Anklage war eine weitere Gefangenschaft des Königs auf Dauer schwierig zu begründen und eine Rücknahme der Absetzung hätte als Eingeständnis, unberechtigt oder falsch gehandelt zu haben, ausgelegt werden können.

Am 5. Dezember 1792 wurde Anklageerhebung beschlossen, am 11. Dezember begann der Prozess vor dem Nationalkonvent. Ludwig XVI. wurde Verschwörung gegen die öffentliche Freiheit und die allgemeine Sicherheit des Staates vorgeworfen. Seine Verteidiger waren zuerst Chrétien-Guillaume de Lamoignon de Malesherbes und François Denis Tronchet, die dann etwa später zusätzlich Raymond de Sèze für die Verteidigung hinzuzogen.

Nach Anhörungen und Prozessverhandlungen begannen am 14. Januar 1793 die Beratungen über das Urteil. Drei Fragen waren zur Abstimmung den Abgeordneten des Nationalkonvents nacheinander vorgelegt: 1) Ist Ludwig schuldig? 2) Soll das Volk über das Urteil abstimmen? 3) Welches Straße soll verhängt werden?

Am 15. Januar 1793 bejahten fast alle Abgeordneten die Schuld (691 Ja, 27 Enthaltungen, 31 abwesend). Eine Volksabstimmung wurde mit Mehrheit abgelehnt (424 Nein, 287 Ja, 12 Enthaltungen, 28 abwesend). Vom 16. bis 17. Januar 1793 wurde über die Strafe abgestimmt. Für sofortige Todesstrafe stimmten 366, für Todesstrafe mit Aufschub des Vollzugs 24, für eine Haft bis zum Ende des Krieges mit anschließender Verbannung 319, für eine Zuchthausstrafe 2 (28 abwesend) bzw. nach anderer Deutung und Zusammenfassung der Voten waren 387 für die Todesstrafe, 334 dagegen. Am 18. Januar 1793 wurde noch einmal über das Strafmaß abgestimmt, weil einige Abgeordnete mit der Wertung ihrer Voten nicht einverstanden waren. Für sofortige Todesstrafe stimmten 361, dagegen 360 (28 abwesend). Am 19. Januar 1793 wurde noch einmal über einen Strafaufschub abgestimmt: 380 bzw. 383 (die Angaben in Darstellungen sind abweichend), 310 für einen Strafaufschub.

Am 21. Januar 1793 wurde Ludwig XVI. in Paris öffentlich hingerichtet.

Vergleich

Maximilien de Robespierre befürwortet in einer Rede im Nationalkonvent am 3. Dezember 1792 eine Hinrichtung des Königs, ohne einen förmlichen Prozess zu führen. Einen normalen Prozess hält Robespierre für ausgeschlossen, Ludwig sei kein Angeklagter und die Abgeordneten keine Richter.

Seine Argumente für eine Hinrichtung sind in dem Redeausschnitt M 2:

  • Maßnahme zur Rettung des Staates, weil ein weiterlebender entthronter König Ruhe und Freiheit der neu gegründeten französischen Republik stört und eine Bedrohung ist
  • Durchführung eines förmlichen Prozesses bedeutet, die Revolution und die Republik in Frage zu stellen, weil ein Freispruch für Ludwig einer Verurteilung der Revolution und der Republik gleichkommt
  • Führen eines förmlichen Prozesses ist eine Gefahr, weil die Revolution und die Republik noch weit entfernt davon sind fest gesichert zu sein und ein entthronter König in Haft oder Verbannung eine ernsthafte Bedrohung für das öffentliche Wohlergehen ist
  • Tod ist notwendig, weil das Vaterland leben soll, der Tod eines Einzelnen ist besser als der einer großen Zahl tugendhafter Bürger

Der Rechtsanwalt Raymond de Sèze hielt als ein Verteidiger für Ludwig XVI. eine Verteidigungsrede mit Plädoyer.

Seine Argumente gegen eine Verurteilung sind in dem Redeausschnitt M 1:

  • Unverletzlichkeit des Königs, solange er König war (nach der Verfassung von 1791, Titel III, Kapitel II, Artikel 3 war die Person des Königs unverletzlich und heilig [„La personne du roi est inviolable et sacrée“]), gilt für diese Zeit und die Abschaffung des Königtums kann an dieser Rechtslage nichts ändern
  • Widersprüchlichkeit, Ludwig die Unverletzlichkeit des Königs wegzunehmen, ihm dann aber nicht die unveräußerlichen Rechte jedes Bürgers zu geben, die ihm zustehen und deren Schutz er beanspruchen kann
  • Verstoß gegen die in der Verfassung enthaltene Gewaltenteilung, wenn das Parlament als gesetzgebende Versammlung und damit für die Durchführung eine Gerichtsverfahrens nicht zuständige Institution auch als Gericht handelt und damit rechtsprechende Gewalt ausübt

Sachurteil

Die Meinungen zeitgenössischer Menschen darüber, ob die Hinrichtung Ludwigs XVI. gerechtfertigt war, gingen weit auseinander. Die Auffassungen waren von politischen Standpunkten beeinflusst. Auch im Nationalkonvent, dessen Abgeordnete Befürworter der Revolution waren, wurde zwar mit großer Mehrheit Ludwig XVI. für schuldig gehalten, über Bestrafung und Strafmaß gab es es aber in größerer Anzahl verschiedene Meinungen. Die Mehrheit stimmte schließlich für eine sofortige Todesstrafe, aber über dreihundert Abgeordnete stimmten für etwas anderes als eine Todesstrafe.

Robespierre

Maximilien de Robespierre, seinem Beruf nach Rechtsanwalt, ist Abgeordneter des Nationalkonvents und befürwortet in einer Rede im Nationalkonvent am 3. Dezember 1792 eine Hinrichtung des Königs, ohne einen förmlichen Prozess zu führen. Er hält die Hinrichtung Ludwigs XVI. für gerechtfertigt und für notwendig, damit die Revolution erfolgreich ist.

Seine Argumente sind nachvollziehbar, aber nicht alle inhaltlichen Standpunkte sind gleich gut begründet.

Seine Argumente sind hauptsächlich politisch (in dem Redeausschnitt M 2 ausschließlich). Juristisch (rechtlich) verwendet er nur den sehr anfechtbaren Gedanken, Ludwig XIV. stehe außerhalb jeder rechtlichen Gemeinschaft, weil der König als Tyrann den Gesellschaftsvertrag vernichtet hat und in Bezug auf ihn an die Stelle der Verfassung die Gesetze der Natur (Naturzustand), das Wohl des Volkes trete. Dann wäre aber gar kein rechtliches Urteil möglich. Menschenrechte gelten auch bezogen auf einen Naturzustand und sind verbindlich, dürfen daher nicht unter Berufung auf ein Wohl des Volkes für nicht geltend erklärt werden. Da Robespierre die Menschenrechte befürwortet, verwickelt er sich mit der Verneinung jeder rechtlichen Gemeinschaft in Widersprüche. Er hat vielleicht nach einem Gedanken gesucht, um eine Berufung auf die Verfassung von 1791 zu umgehen, die den Nationalkonvent in eine nach Robespierres Auffassung unannehmbare Lage bringen würde, weil nach der Verfassung von 1791 der König nur mit Absetzung bestraft werden konnte und dazu sofort ein Prozess hätte eingeleitet werden müssen, die Absetzung aber ohne Prozess geschehen ist und das Parlament etwas getan hat, was nach der Verfassung von 1791 verboten war.

Politisch wäre ein Freispruch nach geschehener Absetzung und Abschaffung der Monarchie ein Desaster gewesen, aber rein rechtlich ist es nicht in Ordnung, einen förmlichen Prozess wegen der Möglichkeit eines Freispruchs abzulehnen. Ein Urteil, bei dem die Verurteilung schon vorn vornherein feststeht, konnte als Rechtsverfahren nicht überzeugend sein. Daher hat sich Robespierres Vorschlag in dieser Hinsicht nicht durchgesetzt. Der Nationalkonvent hat sich für einen förmlichen Prozess entschieden.

Aufgrund des durch Schriftstücke nachgewiesenen verräterischen Doppelspiels des Königs ist Robespierre berechtigt, den König für schuldig zu halten. Er hat in einem anderen Redeausschnitt in politischer Färbung von einem Verbrechen geredet, einem Herbeirufen ausländischer Herrscher, um das französische Volk tyrannisch zu strafen.

Gefahren für die Revolution und die Republik bestanden tatsächlich. Unruhen und Empörung und Verschwörungen und Intrigen gegen die Republik und ein allgemeiner Angriff ausländischer Herrscher waren denkbar, aber eine Hinrichtung konnte dies mit einer Wut auf „Königsmörder“ sogar verschärfen. Ludwig XVI. hatte einen in Haft genommenen Sohn und ins Ausland geflohene Brüder. Auch nach einer Hinrichtung Ludwigs XVI. hatten Anhänger der Monarchie in Frankreich und im Ausland eine Person, die als König hätte eingesetzt werden können.

Übertrieben ist Robespierres Auffassung, nach der ein schuldiger Ludwig XVI. unbedingt hingerichtet werden müsse.

Robespierre bezieht sich auf politische Werte wie Freiheit, Allgemeinwohl, Treue zum Volk und Patriotismus. Er tritt dafür ein, Verbrechen zu bestrafen und Schaden von einer großen Anzahl guter Bürger abzuwenden.

Robespierre ist ein entschiedener Anhänger der Revolution und geschaffenen Republik. Er will sie bewahren und festigen.

Robespierre konnte seinen Standpunkt frei wählen. Politisch kam für ihn aufgrund seiner Überzeugungen und Ziele und der Lage nur ein Schuldspruch in Frage. Bei der einfachen Volksmenge in Paris gab es eine starke Strömung für eine Todesstrafe. Robespierre war eine Verbundenheit mit dem einfachen Volk wichtig und ein Wunsch, die Revolution mit einen unumkehrbaren Schritt zur Beseitigung des Königtums zu sichern, ist bei ihm naheliegend, auch wenn sachlich dafür nur ein Schuldspruch, nicht eine Hinrichtung erforderlich war. In seiner subjektiven Betrachtung ist es notwendig, Ludwig XVI. zu töten.

Die politischen Gesichtspunkte der Rede haben auch in dem förmlichen Prozess Einfluss gehabt.

Sèze

Raymond de Sèze, ein Rechtsanwalt aus Bourdeaux, plädiert in einer Verteidigungsrede im Nationalkonvent am 26. Dezember 1792 für einen Freispruch. Er hält eine Hinrichtung Ludwigs XVI. für nicht gerechtfertigt.

Die juristische (rechtliche) Begründung ist gut nachvollziehbar und in hohem Maß überzeugend. Schwächer war ein Teil der in dem Redeausschnitt M 1 nicht enthaltenen Argumentation zu politischen Sachverhalten, weil Schriftstücke nicht als echt anerkannt wurden, obwohl sie in der Handschrift Ludwigs XVI. geschrieben waren und seine Unterschrift trugen.

Es ist eine zutreffende Wiedergabe der Verfassungsbestimmungen von 1791, dass die Unverletzlichkeit des Königs, solange er König war (nach der Verfassung von 1791, Titel III, Kapitel II, Artikel 3 war die Person des Königs unverletzlich und heilig [„La personne du roi est inviolable et sacrée“]), für diese Zeit gilt. Die Aussage, die Abschaffung des Königtums könne an dieser Rechtslage nichts ändern, ist formalrechtlich richtig. Möglich waren dagegen nur rechtlich wackelige Argumentationsversuche mit außergewöhnlichen Umständen und einer Berufung auf irgendein Prinzip, das über das geschriebene Verfassungsrecht gestellt wurde.

Sèze hat auch Recht mit der Aussage (nicht in M 1 enthalten), mit der Absetzung habe schon eine Bestrafung stattgefunden und eine andere Bestrafung für die Zeit als König sei nach der Verfassung von 1791 nicht möglich. Titel III, Kapitel II, Artikel 5, 6 und 7 nennen Fälle, bei denen eine Abdankung des Königs angenommen wird. Gemäß Artikel 8 gehörte der König nach seiner ausdrücklichen oder gesetzlichen Abdankung zur Klasse der Bürger und konnte für Handlungen nach seiner Abdankung wie sie angeklagt und verurteilt werden. Für Handlungen vor seiner Abdankungen konnte er also, außer ihn abzusetzen, nach der Verfassung von 1791 nicht angeklagt und verurteilt werden. Darauf gestützt behauptet (nicht in M 1 enthalten) Sèze eine Unzulässigkeit des Verfahrens, denn wo es kein anwendbares Gesetz gegen Ludwig XVI. gibt, kann kein Richten stattfinden und daher ist auch keine Verurteilung möglich.

Sèze kann für Ludwig, wenn er nicht als König behandelt wird, die Rechte jede Bürgers beanspruchen. Es ist eine Widersprüchlichkeit, Ludwig die Unverletzlichkeit des Königs wegzunehmen, ihm dann aber nicht die unveräußerlichen Rechte jedes Bürgers zu geben, die ihm zustehen und deren Schutz er beanspruchen kann

Sèze bemängelt einen Verstoß gegen die in der Verfassung enthaltene Gewaltenteilung, wenn das Parlament als gesetzgebende Versammlung und damit für die Durchführung eine Gerichtsverfahrens nicht zuständige Institution auch als Gericht handelt und damit rechtsprechende Gewalt ausübt. Die Feststellung nicht eingehaltener Gewaltenteilung ist zutreffend. Es gab keine unabhängigen Geschworenen. Mit dem Nationalkonvent als Gericht gab es eine Doppelrolle der Abgeordneten als Ankläger und Richter.

Sèze stützt sich mit seiner Berufung auf Verfassung und Freiheitsrechte auf Verfassungsrecht (einschließlich des Grundsatzes der Gewaltenteilung) und die Menschen- und Bürgerrechte.

Er versucht als Verteidiger, einen Freispruch zu erreichen. Sein Spielraum ist begrenzt. In seiner Rolle als Verteidiger ist er von dem allgemeinen Kurs abhängig, den Ludwig XVI. für den Prozess einschlagen will. Er konnte ihn umsetzen oder den Auftrag niederlegen. Sèze liefert eine gute rechtliche Argumentation. In politischer Hinsicht sind seine Erfolgsaussichten eher schlecht gewesen.