Gründe für die Kolonisation des antiken Griechenlands?
Guten Abend. Meine Frage bezieht sich vor allem auf die topografischen und klimatischen Bedingungen, die die Kolonisation vorangetrieben haben sollen. Ist dies begründbar mit unzureichend fruchtbarem Boden und heißen Sommermonaten (Dürre), was wiederum einen Nahrungsmittelnotstand herbeiführte und somit die Menschen regelrecht zwang sich woanders anzusiedeln?
2 Antworten
Die genannten Umstände können eine gewisse Rolle gespielt haben. Aber eine so weitgehende, allgemeine und durchgehende Bedeutung für die Kolonisation hatten sie nicht.
Es hat im antiken Griechenland fruchtbaren Boden gegeben, auch wenn in manchen Gegenden sein Umfang begrenzt war und es auch steiniges Gebirgsland gab. Die topographischen Bedingungen haben keine ständige Auswanderung erzwungen.
Die heißen Sommermonate in Griechenland hatten nicht die Wirkung, durch jährliche Dürre einen Nahrungsmittelnotstand als allgemeinen Dauerzustand herbeizuführen. Die gegründeten Kolonien lagen vor allem im Mittelmeerraum und heiße Sommermonate gab es auch dort. In Einzelfällen kann eine mehrjährige Dürre ein Auslöser gewesen sein.
Wenn bei Beginn der „Großen Kolonisation“ im 8. Jahrhundert v. Chr. eine Bevölkerungszunahme angenommen wird, bedeutet dies, gewöhnlich ausreichend Nahrungsmittel zum Überleben gehabt zu haben. Importe von Nahrungsmittel gab es damals zumindest nicht in großer Menge. Die griechische Landwirtschaft konnte anscheinend für eine ansteigende Anzahl produzieren, auch wenn das Leben der Kleinbauern karg und ihre wirtschaftliche Existenz mit ihrem kleinen Stück Land nicht sicher war.
Topographische und klimatische Bedingungen sind auf keinen Fall als alleinige Ursachen/Gründe, von denen die Kolonisation vorangetrieben wurde, gut begründbar. Andere Faktoren müssen berücksichtigt werden.
Wirtschaftliche Schwierigkeiten wie auf der Kyklakeninsel Thera, wo nach der Überlieferung Dürre (7 Jahre lang) und Mißernten ein Anstoß für die Gründung von Kyrene 631 v. Chr. waren, hervorragten (vgl. als antike Quelle dazu vor allem Herodot 4, 150 - 159), spielten nicht durchgehend eine entscheidende Rolle bei der Gründung von Kolonien.
In Erzählungen über die Gründung einer Kolonie nach Befragung eines Orakels (vor allem das von Delphi) sind oft Katastrophen wie Dürre, Mißernten und Seuchen Auslöser für die Befragung eines Orakels. Vor der Gründung von Rhegion (in Süditalien) wurde das Orakel von Delphi wegen einer Mißernte befragt (Strabon 6, 1, 6). Dürre und Seuche und eine Orakelbefragung aus diesem Grund gingen der Gründung von Syrakus (auf Sizilien) durch Siedler aus Korinth voraus (Plutarch, Erotikai Diegeseis ['Ερωτικαὶ διηγήσεις; Liebeserzählungen, lateinischer Titel: Amatoriae narrationes] 2 [Ethika (Ἠθικά)/Moralia 773 A – B). Der Hinweis auf Katastrophen ist in seiner Häufigkeit durch die Eigenart solcher Erzählungen mitbedingt.
Thukydides 1, 2, 6 und 1, 15, 1 und Isokrates, Panegyrikos 34 nennen Landnot/Mangel am Land als Hauptgrund.
Weitere oft vorkommende Faktoren sind politische Gründe verschiedener Art.
Kommerzielle Gründe, Handelsinteressen werden in literarischen Texten nicht als Ursachen angegeben. Dies kann mit dem geringen Ansehen der Händler, vor allem in stark aristokratisch geprägten Gesellschaften, erklärt werden.
Es gibt zur Kolonisation verschiedene Theorien und archäologische Befunde sind teilweise umstritten bzw. werden unterschiedlcih gedeutet.
Für die Koloniegründung werden in modernen Darstellungen mehrere Ursachen/Gründe angegeben und (mit nicht immer gleichen Meinungen) erörtert:
- Überbevölkerung (aufgrund von Bevölkerungszunahme) und Landmangel (z. B. reichte bei Erbteilung das Land des Einzelnen nicht mehr zur Existenzerhaltung)
- Suche nach neuen Chancen seitens daheim Unterlegener und Verlierer (z. B. bei Konzentration des Landes in den Händen weniger Adliger, Flucht der Bevölkerung von Städten [z. B. Phokaia] bei Bedrohung in kriegerischen Auseinandersetzungen)
- Unternehmungsgeist, Abenteuerlust, Ehrgeiz von Adligen (vor allem in Umbruch- und Krisenzeiten, Streitigkeiten und Spannungen, bei Einschränkungen durch Aufstieg neuer Schichten und bei Nötigung zur Einordnung)
- Handelsinteressen (Verbesserung und Sicherung von Handelswegen und –beziehungen, Suche nach neuen Rohstoffquellen)
- machtpolitisch-strategische Ziele (vor allem im 5. und 4. Jahrhundert v. Chr. wichtig; bei den Stadtgründungen in der Zeit des Hellenismus [Alexander der Große und seine in verschiedenen in aus seinem Reich hervorgegangenen Staaten herrschenden Nachfolger] war oft auch der Gedanke militärischer Sicherung einer erreichten Herrschaft in einem Gebiet von Bedeutung)
Informationen:
John Boardman, Kolonien und Handel der Griechen : vom späten 9. bis zum 6. Jahrhundert v. Chr. Übertragen aus dem Englischen von Karl-Eberhardt und Grete Felten. München : Beck, 1981. ISBN 3-406-08039-1
S. 192: „Die Annahme, daß die Griechen alle ihre Kolonien nur gegründet hätten, um mit Bevölkerungs- und Versorgungsschwierigkeiten in der Heimat fertigzuwerden, ist schwer aus der Welt zu schaffen. Die antiken Schriftsteller geben gewöhnlich nur diese Gründe an, aber die Archäologie, die Geographie und auch der geunde Menschenverstand legen die Vermutung nahe, daß der frühesten Kolonien die Handelsbeziehungen und nicht die Bodenbeschaffenheit bei der Wahl eines Platzes den Ausschlag gaben. Wenn man sich mit den überseeischen Handelsunternehmungen der Griechen befaßt, wäre es sinnlos, leugnen zu wollen, daß kaufmännische Überlegungen bei den Motiven für die Gründung mancher Kolonien mitspielen und bei einigen sogar überwogen. Fest steht, daß man Informationen über Plätze, die für die koloniale Entwicklung geeignet waren, nur aus den Berichten der Kaufleute gewonnen haben konnte, die bereits die Küsten des westlichen Mittelmeers ausgekundschaftet hatten. Beweise für ihre Betätigung liefern die in Etrurien (in Veii), Kampanien (in Capua und Pontecagnano) und Sizilien (Villasmundo) gefundenen Vasen aus vorkolonialer Zeit.“
Walter Eder, Kolonisation I. Allgemein. In: Der neue Pauly (DNP) : Enzyklopädie der Antike ; Altertum. Herausgegeben von Hubert Cancik und Helmuth Schneider. Band 6: Iul – Lee. Stuttgart ; Weimar : Metzler, 1999, Spalte 646 - 647
Walter Eder, Kolonisation IV. «Große» griechische Kolonisation. In: Der neue Pauly (DNP) : Enzyklopädie der Antike ; Altertum. Herausgegeben von Hubert Cancik und Helmuth Schneider. Band 6: Iul – Lee. Stuttgart ; Weimar : Metzler, 1999, Spalte 653 – 664
Paul Faure, Die griechische Welt im Zeitalter der Kolonisation. Stuttgart : Reclam, 1981. ISBN 3-15-010302-9
Linda-Marie Günther, Griechische Antike. 2., aktualisierte Auflage. Tübingen ; Basel : Francke, 2011 (UTB ; 3121. Studium Geschichte), S. 46 – 54
Wolfgang Leschhorn, „Gründer der Stadt" : Studien zu einem politisch-religiösen Phänomen der griechischen Geschichte. Stuttgart : Steiner, 1984 (Palingenesia ; Band 20). ISBN 3-515-04181-8
Theresa Miller, Die griechische Kolonisation im Spiegel literarischer Zeugnisse. Tübingen : Narr, 1997 (Classica Monacensia ; Band 14). ISBN 978-3-8233-4873-3
S. 33: „Es gibt eine Theorie, die McKesson Camp vertritt, nach der eine große Dürre in Zentralgriechenland die große Kolonisationswelle in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts v. Chr. verursacht hat. Der Autor stützt sich besonders auf die Tatsache, daß zahlreiche spätgeometrische Brunnen auf der athenischen Agora in dieser Zeit aufgegeben wurden. Tatsächlich mag dies eine Rolle bei der Gründung mancher Kolonien gespielt haben, so wie vielleicht auch im Fall Kyrenes, das Ende des 7. Jahrhundert gegründet wurde.“
S. 34: „Kolonisationserzählungen, bei denen dem Unternehmen eine große Dürre vorausging, gab es viele bei den Griechen. Sie sind uns fast alle von späteren Autoren, wie Strabon oder Pausanias, überliefert und werden von McKesson Camp zur Stützung seiner These einer großen Dürre aufgezählt. Doch bleibt dabei zu bedenken, daß in diesen Geschichten (wie auch in Herodots Bericht über Kyrene) oft Dürre und Mißernte der Grund für die Befragung des Orakels in Delphi sind. Dabei ist die tiefe Not und Verzweiflung der Menschen die Ausgangslage für ihre Wendung an Apoll, der durch seinen rettenden Rat und seinen Segen für die Kolonie das Unheil der Menschen zum Guten wendet. Für die Konzeption einer Orakelgeschichte eignet sich keine andere Notsituation so gut wie die der Dürre, in der die Menschen den Mächten der Natur völlig hilflos ausgeliefert sind. Der Wunsch, sich eine Gründungslegende zu schaffen, in der Apollon der Hauptakteur war, ist wohl die Ursache dafür, daß das Motiv der Dürre als wichtiges auslösendes Element der Erzählung so häufig in Anspruch genommen wurde.“
S. 308: „In Herodots Wiedergabe der theraischen Gründungsgeschichte Kyrenes ist eine jahrelange Dürre der Anlaß für die Befragung des delphischen Orakels, das dann als Abhilfe die Gründung einer Kolonie in Kyrene befiehlt. Hungersnot, Dürre u. ä. Katastrophen sind in Orakellegenden ein typischer Anlaß für die Befragung der Pythia, und der historische Wert solcher Geschichten ist deshalb in vielen Fällen äußerst fragwürdig. Im Geschichtswerk des Thukydides […] findet sich Mangel an Land als entscheidende Ursache der Kolonisationsbewegung. Auch Isokrates beurteilt das Phänomen in ähnlicher Weise […]. Doch geht es dem Redner nicht um eine objektive Betrachtung der geschichtlichen Entwicklung, sondern nur darum, die Leistung der Athener bei der Lösung sozialer Probleme in der frühgriechischen Geschichte zu preisen. Isokrates fügt seiner Darstellung ein neues Element hinzu, nämlich den Gegensatz zwischen Griechen (die auf engem Raum zusammenleben) und "Barbaren" (die Land im Überfluß besitzen, das man ihnen getrost wegnehmen darf). Auch in Platons "Gesetzen" erscheint Landnot als eines der wichtigsten Motive für die Gründung von Kolonien […]. In seiner Musterkolonie auf Kreta darf es keinen anderen Grund für die Anlage weiterer Pflanzstädte geben, da Kolonisation bei Platon zu einem staatlich organisierten Mittel der Bevölkerungskontrolle wird.
Kommerzielle Interessen […] werden in den literarischen Quellen nie als Anlaß für die Gründung von Kolonien genannt. Die Bedeutung des Handels für die griechische Kolonisation muß deshalb weitgehend aus archäologischen Zeugnissen aus der Nomenklatur vieler Kolonien als Emporia erschlossen werden. Die Vernachlässigung des Handels in der Literatur liegt vor allem an dem geringen Ansehen, das Händler bei den Griechen genossen. Trotzdem wird ihre rege Handelstätigkeit, wenn auch nur in Spuren, in der Odyssee reflektiert […]. Eine relative Ausnahme ist Herodots Bericht über die Anlage eines Emporions in Naukratis […]. Bei Thukydides kann man immerhin eine Sensibilität für die merkantilen Interessen der Griechen bei der Anlage von Städten erkennen […].Das geringe Ansehen, das Händler vor allem in den aristokratisch regierten Städten besaßen, spiegelt sich in den staatstheoretischen Schriften von Platon und Aristoteles, die beide den Handel in einer idealen Kolonie bzw. Polis so weit wie möglich einschränken möchten […].
Zu den beliebtesten Motiven, die in Kolonisationsgeschichten zur Auswanderung führen, gehören jedoch politische Gründe aller Schattierungen […].“
Oswyn Murray, Das frühe Griechenland. Autorisierte Übersetzung und Bearbeitung der englischen Ausgabe von Kai Brodersen. 6. Auflage. München : Deutscher Taschenbuch-Verlag, 1998 (dtv Geschichte der Antike ; 30139), S. 132 - 160
Wolfgang Schuller, Griechische Geschichte. 6., überarbeitete und erweiterte Auflage. München : Oldenbourg, 2002 (Oldenbourg Grundriss der Geschichte ; Band 1 A), S. 13 – 15
Michael Stahl, Gesellschaft und Staat bei den Griechen: Archaische Zeit. Paderborn ; München ; Wien ; Zürich : Schöningh, 2003 (UTB : Geschichte ; 2430), S. 155 – 163
Elke Stein-Hölkeskamp, Das archaische Griechenland : die Stadt und das Meer. Originalausgabe. München : Beck, 2015 (C.H. Beck Geschichte der Antike. Band 1. C.H. Beck Paperback ; 6151). ISBN 978-3-406-67378-8
S. 100 – 101: „Schon die Gründe, die in dieser Epoche so viele Griechen zur Auswanderung veranlaßten, sind in der Forschung neuerdings wieder Gegenstand einer lebhaften Diskussion. Die traditionelle (auf den literarischen Quellen beruhende) Deutung, daß die andauernden ökonomischen und politischen Krisen und Konflikte der Städte im Mutterland so viele Griechen zur Emigration veranlaßten, ist dabei weitgehend obsolet geworden. So bestreiten zumal Archäologen, die die Siedlungsstrukturen des 8., 7. und 6. Jahrhunderts im Mutterland und auf den Inseln der Ägäis erforschen, daß eine andauernde ökonomische Krise, die durch Übervölkerung und daraus resultierender Landnot verursacht wurde, plausibel als Hauptursache für die Kolonisationsbewegung angesehen werden kann. Zwar ist in der archaischen Zeit durchaus mit einem sukzessiven Anstieg der Bevölkerung zu rechnen. Das demographische Wachstum in Chalkis und Eretria, Korinth, Megara, Achaia und Sparta dürfte jedoch kaum solche Dimensionen angenommen haben, daß es eine Abwanderung größerer Gruppen tatsächlich erforderlich machte. So ist das Territorium von Korinth etwa 900 Quadratkilometer groß und weitaus fruchtbarer, als man lange angenommen hat. Es gibt keine archäologischen Belege für eine intensive intensive Besiedlung des Hinterlandes. Und doch gilt Korinth als die Mutterstadt zahlreicher Kolonien. Dagegen war in Athen – wo die Elegien Solons für die Zeit um 600 eine intensive soziale und ökonomische Krise bezeugen – die Aussendung von Kolonistenzügen offensichtlich keine Option. Siedlungen wie Athen und Sparta zeigen vielmehr, daß gegebenenfalls auch eine Binnenkolonisation die Probleme lösen konnte. Eine andere Lösung wählten die Bewohner der Insel Aigina, die erst 520 die erste Kolonie gründeten und bis dahin ihre schmalen Erträge durch Beutezüge und Piraterie aufbesserten – eine in dieser Epoche durchaus verbreitete Lösungsstrategie, bei der die «tüchtigsten Männer» sich engagierten, «um eigenen Gewinn zu erzielen und Nahrung für die Schwachen».
Die Emigration aus den Städten des Mutterlandes und von den Inseln der Ägäis wird daher in der neueren Forschung eher als Teil der einer Epoche angesehen, in der die Menschen bereits seit Generationen regelmäßig das Mittelmeer überquerten und dementsprechend bereits ein reicher Fundus von Kenntnissen über seine Küsten und ihre Bewohner existierte. Die Motive, die die einzelnen Emigranten dazu veranlaßten, ihr Glück an fremden Küsten zu suchen, mögen dabei durchaus unterschiedlich gewesen sein: Manche Gruppen werden ihre Heimat verlassen haben, weil dort stasis, also Bürgerkrieg, herrschte und die unterlegene Gruppe ins Exil gehen mußte. Andere werden sich der Initiative einzelner Aristokraten angeschlossen haben, die auf eigene Faust loszogen und hofften, sich bei solchen Unternehmungen jenseits der Enge und Begrenztheit ihrer Heimat neue Handlungsspielräume zu erschließen und Reichtum und Macht zu gewinnen. Wiederum andere mag die blanke Abenteuerlust getrieben haben.“
Unzureichend fruchtbarer Boden?
In Griechenland?
Welches noch heute einen Großteil seines exports aus der Landwirtschaft und den Fischfang bezieht ....