Geistige Schau als größte Glück?

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Was als „geistige Schau“ wiedergegeben ist, heißt griechisch θεωρία (theroia).

Glück(seligkeit) ist nach der Auffassung von Aristoteles das höchste und letzte Ziel (Endziel) menschlichen Handelns. Alle streben nach Glück (griechisch: εὐδαιμονία [eudaimonia]). Dabei ist an etwas auch Dauerhaftes gedacht.

Aristoteles ist der Auffassung, ein so großes Gut wie das Glück könne nur durch eine Tätigkeit/ein Tätigsein erreicht werden, indem Fähigkeiten und angelegte Möglichkeiten entfaltet werden. Die Entfaltung ist etwas, das Freude bereitet und zu einem guten, erfüllten Leben beiträgt.

Verbindung von Glückseligkeit und Vernunft durch den Gedanken einer den Menschen wesentlich kennzeichnenden Funktion/Aufgabe: Als das einem Menschen eigentümliche Werk (das, wozu er speziell bestimmt ist) versteht Aristoteles die mit Vernunft verbundene Tätigkeit der Seele und ein entsprechendes Handeln. Das menschliche Gut ist nach ihm der Vortrefflichkeit/Tüchtigkeit/Tugend (griechisch: ἀρετή [arete]) gemäße Tätigkeit der Seele bzw. (wenn es mehrere Vortrefflichkeiten gibt) der besten und vollkommensten Vortrefflichkeit entsprechende Tätigkeit (Aristoteles, Nikomachische Ethik 1, 6).

Gründe, geistige Schau/die theoretische Lebensform (griechisch: βίος θεωρητικός [bios theoretikos]) als größtes Glück einzuschätzen

Die Tätigkeit besteht in theoretischer Betrachtung/Forschen/Denken. Sie ist ein Philosophisch Leben. Das Glück der theoretischen Lebensform ist nach Auffassung von Aristoteles das vollendete Glück.

Gründe enthält Aristoteles, Nikomachische Ethik 10, 7.

  • beste Qualität: Die Tätigkeit ist die beste, denn die Vernunft (griechisch: νοῦς [nous]) und die Erkenntnisgegenstände, worauf sie sich bezieht, sind am Menschen das Beste.
  • Dauerhaftigkeit: Die Tätigkeit der theoretischen Lebensform ist am dauerhaftesten, weil sie am leichtesten anhaltend ausgeübt werden kann.
  • besonders große Genüsse: Die Genüsse der theoretischen Lebensform sind von wunderbarer Reinheit und Beständigkeit.
  • Autarkie/Selbstgenügsamkeit): Bei theoretischem Betrachten/Denken ist die Autarkie (Selbstgenügsamkeit) am größten. Die theoretische Lebensform bedarf am wenigsten äußerer Güter und Umstände. Sie ist in hohem Ausmaß unabhängig.
  • Selbstzweck/in sich selbst erstrebenswert: Das theoretische Betrachten/Denken wird um seiner selbst willen geliebt.
  • Verbindung zu Muße: In der Tätigkeit der Vernunft kann Muße gefunden werden.
  • Nähe zum Göttlichen: Die Vernunft ist das, was bei Menschen am meisten etwas Göttliches ist, das Leitende, Vornehmste und Beste. Das theoretische Betrachten/Denken ist die göttliche Lebensform. Menschen sind aus Leib und Seele (mit Fähigkeit der Vernunft) zusammengesetzte Wesen, nicht ganz göttlich, aber sie sollen sich bemühen, möglichst stark dem Göttlichen in ihnen als dem wahren Selbst nachzuleben.