Emilia galotti tugend Aufklärung?

1 Antwort

Hallo,

Der erste Irrtum liegt darin, Aufklärung als einheitliche Epoche zu betrachten. Es gibt mehrere Realisationen dieses Begriffs.
Der zweite Irrtum wäre,eine Auffassung von der Tugend mit der Aufklärung überhaupt identifizieren zu wollen.

Tugend gehört sicher zur Aufklärung, weil Aufklärung primär so zu definieren ist, dass menschliche Vernunft zu Worte kommen soll und damit alles nur Transzendentale (kritisch) überprüft werden soll. Tugend ist in diesem Sinne

Das bedeutet allerdings nicht, dass die Aufklärung gottlos bzw. atheistisch wäre. Die meisten Aufklärer sind immer noch Christen (oder Juden wie Menselsohn), aber sie wollen die religiösen Dogmen mit der Vernunft versöhnen. Das führt im Endeffekt dazu, dass religiöse Dogmen sich auflösen müssen.

Vereinfachend formuliert:

Es gibt eine konservative Aufklärung, die bestrebt ist, eine bürgerliche Tugend mit der Religion verbindet. Sie ist nicht besonders kritisch (etwa Gellert, Gottsched).

Und es gibt eine kritische Aufklärung, für die Vernunft (dynamisch verstanden) viel wichtiger ist als Dogmen, die ja jede Reflexion
ausblenden.

Zu diesen Aufklärern hat Lessing gehört. Für ihn ist die Suche nach der Wahheit wichtiger als die Wahrheit selbst, und jede Zeit soll zu der ihr gemäßen Wahrheit finden (dynamische Auffassung von der Vernunft).

Es gehört daher zu Lessings Poetik, dass er in seinen Werken
(zu denen auch hochkarätige Fabeln gehören) nie ausspricht, wie der Text verstanden werden soll. Das Eigentliche, das, worauf es im Endeffekt ankommt, wird ausgespart. Der Leser/Zusdchauer soll reflektierend darauf kommen.

Deshald deine Probleme (und offenbar auch die deiner Lehrerin) mit Emilia Galotti.

Aus dem bisher Gesagten erhellt, dass der starre Tugendbegriff Odoardos überhaup keine Lösung und damit auch kein nachahmenswertes Beispiel sein kann – schliesslich tötet er die Tochter (ein getarnter Selbstmord, da Emilia es so will und den schwachen Vater dazu verleitet), weil auch er der Meinung ist, dass der Tod besser ist als moralische Schande.

Emilia selbst kann nur in ihr Verderben rennen, weil sie hin- und her gerissen ist zwischen den starren Vorstellungen des Vaters und dem sozialen Ehrgeiz der Mutter, die ihre Tochter in diesem Sinne instrumentalisiert hat.

Du hast also Recht, wenn du sagst, “dass Emilia durch eben diese Tugend vollkommen unmündig erzogen wird”, aber das spricht dann aber nicht gegen die Aufklärung überhaupt, sondern nur gegen einen Teil derselben, wie oben dargestellt.