Darf in einem Gedicht eine lange betonte Silbe auf eine andere folgen?
Hallo an alle, ich Frage wegen der anstehenden Deutschklausur: Darf in einem Gedicht eine lange betonte Silbe auf eine andere lange betonte Silbe folgen. Wir hatten im Unterricht bloß Daktylus, Anapäst, Jambus und Trochäus.
4 Antworten
Ja. Ein Spondäus hat zwei betonte Silben (- - )nacheinander und kann einen Daktylus (- u u) oder Anapäst (u u -) ersetzen. Manchmal auch einen Jambus (u -) oder Trochäus (- u).
Die sechs Hebungen des Pentameters werden als 5 gezählt, weil zwei Hebungen nebeneinander liegen...
In den Voß´schen Homer-Übersetzungen gibt den Hexameter mit einem sogenannten "geschleiften" Spondäus. Dabei wird tatsächlich die zweite Silbe etwas kürzer betont. Voß wollte aber echte Spondäen haben, und versuchte, die betontere Silbe mit einem schwächeren Wort zu belegen, die unbetonte mit einem stärkeren. Manchmal ist das auch nahezu gelungen:
Dies Pechpflaster bedeckt noch mein linkes geblendetes Auge.
Das ist zumindest so gedacht, obwohl ich zugebe, dass man es auch anders lesen kann: — — / — v v / — v v / — v v / — v v / — v
Gerald Manley Hopkins hat im Englischen viel mit synkopierter Metrik experimentiert. Da gibt es einige Stellen, die man als Spondeen lesen könnte, wenn man denn wollte.
Cheer whom though? the hero whose heaven-handling flung me, fóot tród
Es ist mir klar, dass man darüber lange debattieren kann. Aber Metrik ist kein Gesetzbuch, eher eine Anleitung dafür, wie Texte Groove erhalten. Und da wird man ja wohl mal Spondeus sagen dürfen.
Eine metrische Analüse sollte aber nicht um ihrer selbst willen vorgenommen werden. Die von dir genannten Begriffe gehen auf die antiken Versmaße von Länge/Kürze zurück. Bis zur Romantik werden die gewählten Metren noch einen Sinn vermitteln, später (modern bei Brecht z. B.) haben sie kaum noch Bedeutung.
Bei klassischen Gedichten kann ein bewusster Wechsel im Metrum (-> Goethe, Auf dem See) die inneren Aussagen des Gedichtes treffend unterstützen.
Bei Gedichten, die rein aus diesen Versfüssen bestehen, ist es nie möglich, dass zwei betonte Silben aufeinander treffen. Zum Beispiel bei Choriamben ist es jedoch möglich. Konkrete Beispiele dazu kenne ich jedoch nur aus dem Latein, z.B. Horaz, carm. 1.1 (Maecenas, atavis edite regibus ...)
Und beim Pentameter geschieht es in der Mitte des Verses natürlich auch regelmässig.
ja, z.B. der Pentameter im Distichon:
http://de.wikipedia.org/wiki/Distichon
Ím Hexámeter stéigt des Spríngquells flǘssige Sáeule.
Ím Pentámeter dráuf fáellt sie melódisch heráb.
In der klassischen Metrik ist aber nicht jede lange Silbe betont, sondern eine lange Silbe kann auch unbetont sein. Der Spondeus hat dann eben eine lange, betonte Silbe, gefolgt von einer langen, aber unbetonten. (Schau Dir zum Beispiel an, was im Hexameter passiert...)