Bin gerade schwerstens verwirrt (Idealismus)

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Die Bemerkung auf dem Arbeitsblatt ist in ihrer Knappheit ungenau und irreführend. Wenn gemeint ist, Idealismus impliziere stets, Verfechter der Willensfreiheit zu sein, Ablehnung des Idealismus, Bestreiter der Willensfreiheit zu sein, ist sei falsch. Idealismus hat verschiedene Bedeutungen und die Standpunkte zum Thema Willensfreiheit sind sowohl bei idealistischer Philosophie als auch bei nicht-idealistischer Philosophie vielfältig.

Erst aus einer bestimmten Art eines philosophischen Idealismus kann hervorgehen, Verfechter der Willensfreiheit zu sein.

Ob ein philosophischer Idealismus vertreten wird oder nicht, bedingt nicht mit Notwendigkeit dem Standpunkt (Determinismus oder Indeterminismus) zu der Frage der Existenz von Willensfreiheit. Unter Philosophen, die als idealistisch eingestuft werden können, hat z. B. Descartes die Existenz menschlicher Willensfreiheit bejaht, Spinoza verneint. Unter materialistischen Philosophen hat z. B. Epikur die Existenz menschlicher Willensfreiheit bejaht, Paul Thiry d’Holbach verneint.

Willensfreiheit kann mit einem cartesianischen Dualismus von Geist und Körper begründet werden oder auf der Grundlage transzendentaler Freiheit eines Vernunftwesens, das  selbstbestimmt ein Sittengesetz aufstellt, wobei Sollen ein Können voraussetzt, verstanden werden (wie bei Kant)  oder mit einer Naturphilosophie im Sinnen des deutschen Idealismus verbunden werden. Willensfreiheit muß aber nicht unbedingt genau auf eine dieser Weisen begründet und verstanden werden.

Idealismus ist in der Philosophie eine Richtung, die Ideen eine wesentliche Bedeutung zuspricht. Er kann auf mehreren Gebieten und in Varianten auftreten.

a) Metaphysik: Wahres Sein hat nur die Idee/der Geist/das Geistige als Vernunft und/oder Wille. Das Wesen der Welt liegt darin. Ideen/das Geistige sind ein letzter Grund des Geschehens. Idealisten gehen davon aus, die wahrnehmbare Wirklichkeit sei ein Abbild von Ideen bzw. von Prinzipien (die auch Materie organisieren) durchwirkt (objektiver Idealismus) oder materielle Dinge/die sichtbare Welt seien erst durch Ideen/geistige Einflüsse entstanden und deren Erscheinungsformen, wobei das Bewußtsein das Sein bestimmt (subjektiver Idealismus).

Gegensatz zum Idealismus ist ein Materialismus.

b) Erkenntnistheorie: Die Außenwelt ist dem Subjekt nicht fertig vorgegeben, sondern sie wird erst über Ideen erkannt (das Denken kann diese als etwas Bestimmtes erfassen bzw. das Subjekt konstruiert die im Bewußtsein bestehende Welt, die von seinen Setzungen abhängt, an eine andere, von unserer Sichtweise völlig unabhängige Welt kommen wir nicht heran). Ein denkendes Ich, zugleich Sitz der Vernunft, ist das erste Prinzip bzw. Ausgangspunkt der Philosophie.

Gegensatz zum Idealismus ist Empirismus.

Besonders im Mittellalter gab es eine Auseinandersetzung über die Einstufung der Allgemeinbegriffe (Universalienstreit). Idealisten sahen in den Allgemeinbegriffen (Universalien lateinisch = universalia) etwas Wirkliches, das den Dingen vorausgeht. Die Überzeugung von einer solchen Wirklichkeit (Realität) der Ideen wurde Realismus (Ideenrealismus) genannt. In diesem Zusammenhang sind also die Realisten die Idealisten. Gegensatz zum Idealismus = Realismus war der Nominalismus. Die Nominalisten hielten die Einzeldinge für die wahre Wirklichkeit, die Allgemeinbegriffe für bloße Namen (Name lateinisch = nomen) und nicht außerhalb der Einzeldinge existierend außer in Gedanken von Subjekten.

c) Ethik und Ästhetik: der ethische Idealismus glaubt an die absolute Gültigkeit ethischer Werte (Ideale). Der ästhetische Idealismus sieht das Ziel der Kunst darin, Ideen darzustellen und Ideale zum Vorschein zu bringen.


Albrecht  01.04.2011, 00:42

Alois Halder, Philosophisches Wörterbuch. Mitbegründet von Max Müller. Völlig überarbeitete Neuausgabe. Freiburg ; Basel : Herder, 2000 (Herder Spektrum ; Band 4752), S. 151 – 152 gibt z. B. zu Idealismus an: seins- und erkenntnismäßiger Vorrang der maßgebenden Idee vor den unmittelbar wahrzunehmenden Dingen (Erscheinungen).

1) ontologischer Idealismus: Zwei Seinsbereiche werden unterschieden, der ideelle ist der grundlegende und die Ideen das wahrhaft Seiende, an dem die Einzeldinge teilhaben (z. B. Platon).

2) theologischer Idealismus: Ideen sind beständige Gedanken des göttlichen Geistes (z. B. Augustinus, Thomas von Aquin).

3) Idealismus als Philosophie der Subjektivität: Ideen sind Vorstellungen, durch welche die Dinge der Welt im menschlichen Bewußtsein repräsentiert werden (z. B. René Descartes, John Locke, David Hume).

4) transzendentaler Idealismus: Die Idee ist die apriorische (jeder Erfahrung vorausgehende) Bedingung der Möglichkeit von Bewußtsein. Die Geltungsgrundlagen jeder möglichen endlichen Erkenntnis liegen in der Struktur endlicher Subjektivität. Die ideelle Welt ist der Bereich der Bedingungen der Möglichkeit gegenständlicher Erfahrung und sich an sittliche Normen bindender Handlung. Die Idee stellt Vernunftbedingungen dar (z. B. Immanuel Kant).

5) absoluter (deutscher) Idealismus: Subjektivität entdeckt und begreift sich in ihrem Grund als das Absolute selbst. Sie kommt in ihrem Durchgang durch ihre Bewußtseinsformen nicht nur zu Vernunftidee als regulativen Bedingungen fortgehender Erkenntnis, sondern erfährt sich als die Idee, als denen einen absoluten und immanenten Einheitsgrund, aus dem alle Scheidungen (wie in das empirische Subjekt und Objekt, Geist und Natur, Natur und Geschichte) erst frei hervorgehen (z. B. Johann Gottlieb Fichte, Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Georg Wilhelm Friedrich Hegel).

 

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Albrecht  01.04.2011, 00:43

Eine deutliche Aussage in Büchners Drama ist: „Doktor: Die Natur! Hab ich nicht nachgewiesen, dass der Musculus constrictor vesciae dem Willen unterworfen ist? Die Natur! Woyzeck, der Mensch ist frei, in dem Menschen verklärt sich die Individualität zur Freiheit.“

Der Doktor versucht – gerichtet gegen Woyzecks Aussage, die Natur sei ihm gekommen - Willensfreiheit aus einem Nachweis abzuleiten, daß Körperfunktionen beherrschbar sind (tatsächlich in diesem Fall wohl nur bis zu einem gewissen Grad).

Die Willensfreiheit wird in Bezug eine ziemlich niedrige Ebene und in einen Bereich verfochten, wo unbegrenzte Beherrschbarkeit durch Willen/den Geist keine für einen Verfechter der Willensfreiheit nötige Annahme ist. Der Doktor macht Woyzeck als Subjekt für Selbstbeherrschung bei der Triebkontrolle/Bedürfnisunterdrückung verantwortlich und verlangt von ihm, sich als ganz einem wissenschaftlichen Experiment unterworfenes Objekt zu verhalten. Er verwendet Ausdrücke, die mit Gedanken Kants, Schillers, Fichtes, Schellings und Hegels verwandt zu sein scheinen (z. B. „Verhältnis des Subjekts zum Objekt“, „die organische Selbstaffirmation des Göttlichen“). Der Inhalt von Willensfreiheit ist aber stark mit einem cartesianischen Verständnis vermischt: Der Körper ist wie ein Automat/eine Maschine gedacht, der vom Geist zu Bewegungen veranlaßt wird. Woyzeck kann sich demnach beherrschen, weil dies als Möglichkeit rational (Erklärung der Funktionsweise eines Körperteils) nachgewiesen ist (nach Descartes besteht Willensfreiheit, indem Menschen die  Fähigkeit der Wahl haben und ihre Zustimmung in der Schwebe lassen sein können, bis sie nach etwas klar und deutlich Erkanntem handeln).

 

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Albrecht  01.04.2011, 00:43

Der Doktor handelt ziemlich menschenverachtend und wenig zu vielen Ansätzen einer idealistischen Moralphilosophie passend. Mit dem Experiment versucht er nachzuwiesen, wie eine bestimmte Nahrung einen bestimmten Geisteszustand herbeiführt, was sich mit einer idealistischen Philosophie eher schlecht verträgt, besonders wenn andererseits eine kaum begrenzte Beherrschung des Körpers durch Geist/Vernunft/Wille geltend gemacht wird.

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Albrecht  01.04.2011, 00:45

Georg Büchner hat zwar ein sinnleeres Kreisen bei einem Determinismus oder gar Fatalismus Unbehagen bereitet, wie eine Aussage in einem Schreiben an seine Braut Wilhelmine Jaegle im März 1834 zeigt: „Ich studierte die Geschichte der Revolution. Ich fühlte mich wie zernichtet unter dem gräßlichen Fatalismus der Geschichte. Ich finde in der Menschennatur eine entsetzliche Gleichheit, in den menschlichen Verhältnissen eine unabwendbare Gewalt, Allen und Keinem verliehen. Der Einzelne nur Schaum auf der Welle, die Größe ein bloßer Zufall, die Herrschaft des Genies ein Puppenspiel, ein lächerliches Ringen gegen ein ehernes Gesetz, es zu erkennen das Höchste, es zu beherrschen unmöglich.“

Seine Weltanschauung neigte aber zu einer materialistischen Determiniertheit (Bestimmtheit von Menschen durch die Umstände, darunter die gesellschaftlichen Bedingungen). In einem Brief an seine Familie schreibt er im Februar 1834: „Ich verachte Niemanden, am wenigsten wegen seines Verstandes oder seiner Bildung, weil es in Niemands Gewalt liegt, kein Dummkopf oder kein Verbrecher zu werden, - weil wir durch gleiche Umstände wohl Alle gleich würden, und weil die Umstände außer uns liegen.“

 

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Um es offen zu sagen, was da auf dem Arbeitsblatt steht ist Quatsch. Es gibt Determinismus (keine Freiheit) sowohl bei Materialisten wie bei Idealisten und es gibt Freiheit (Indeterminismus) ebenfalls bei beiden. Offensichtlich hat die Person, die da (idealistische Philosophie) hingeschrieben hat, eine sehr eingeengte Vorstellung davon gehabt und den deutschen Idealismus um die Zeit von Fichte, Hegel und Kant gemeint. Das käme hin, denn diese haben die Freiheit des Geistes und der Person proklamiert. Bei Hegel ist das allerdings mit Vorsicht zu genießen, da wir letztlich alle der großen Historie folgen. Wenn Du Zeit hast, kannst Du ja mal über den Deutschen Idealismus nachlesen:

http://de.wikipedia.org/wiki/Deutscher_Idealismus

Also die Vorstellung einer Ideenwelt innerhalb unserer Realität und der Glaube an Willensfreiheit sind doch eindeutig miteinander verbunden. Der Glaube, selbst zu entscheiden und nicht durch Schicksal bestimmt zu werden ist doch vergleichbar mit der Vorstellung, dass nicht alles so sein muss, wie es scheint.

Allen idealistischen Strömungen seit Plato ist gemeinsam, dass das eigentlich Wirkliche die Ideen sind. Alles, was  wir wahrnehmen, sind  nur Abbilder davon.

 

Der in der Ethik wie auch  im alltäglichen Sprachgebrauch übliche Begriff „Idealismus“ bezeichnet eine Lebenshaltung, bei der ein Mensch menschenfreundlichen Idealen folgt und nicht egoistisch nach materiellen Gütern strebt.  Dazu aber benötigt er einen freien Willen, da nicht alles ist, wie es scheint; denn wäre der Mensch determiniert durch ein Schicksal („Kismet“), durch  Vererbung oder  sonst wie, könnte er keine Ideen und Ideale haben, denen er zu folgen trachtet, sondern müsste wie eine Ameise im Ameisenstaat vorgeschriebenen Gesetzen automatisch folgen.

 

Und, da du unter den Wenigen bist, die sich hier in dankenswerter Weise deutscher Orthograpfie befleißigen, noch 3 ganz andere, aber anderweitig evtl. nützliche  Punkte:

im Voraus mit 1 R (< vor + aus)

...ein Arbeitsblatt, das ich... ("was" darf sich nicht auf ein sächl. Nomen, sondern muss sich auf einen Satzinhalt beziehen)

...jedoch Folgendes