Begegnet euch Rassismus im Alltag?

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Heute nicht mehr, nein - ich habe jedoch in meiner Kindheit und Jugendzeit vor ca. 20-30 Jahren sowie vereinzelt noch als junger Erwachsener so um 2010-2013 herum einige sehr entwürdigende und unschöne Erfahrungen in der Hinsicht gemacht und es geschah einiges, das heute vermutlich als "Alltagsrassismus" laufen würde.. wobei ich den Begriff für mich ablehne. Aber entwürdigend war es dennoch und ich habe mir das alles gemerkt. Bin auch an einem Buchprojekt u.a. darüber dran - ich will schildern wie unangenehm und heftig es war, als "Ausländerkind" in den 90ern aufzuwachsen in einem "bürgerlichen guten soliden Umfeld", zumal es darüber kaum gute Literatur gibt.

Im Berufsleben habe ich in meiner Heimatstadt die Erfahrung gemacht, als "Ausländer" nicht überall gern gesehen zu sein, ich habe in meinen ersten fünf Berufsjahren immer noch Beleidigungen wegen meiner Herkunft einstecken müssen. Es gab damals sogar ein paar Vorfälle, wo man sich weigerte, mit mir zu sprechen und das auf meine Herkunft und Familie bezogen hat. So was meldete ich dann, einer wie der andere bekam dann wenigstens hinterher Ärger von meinem damaligen Chef. Er war einer der Ersten, die es jemals gut mit mir gemeint hatten, und nahm so was sehr ernst.

Ich kann ich mich bis heute auch gut dran erinnern, dass ich als Jugendlicher mit 13/14 Jahren von einer älteren Dame grob an der Hand gepackt und recht wüst zur Seite gestellt wurde, weil ich mich angeblich (es war nicht so; ich denke, die hatte es nur eilig und sah in mir ein erkennbar leichtes Opfer) im Postamt "vorgedrängelt" hätte und überdies ein "dreckiger Ausländerbub" gewesen sei, "die können sich ja alle nicht benehmen". Leider war ich damals noch nicht so weit, als dass ich was gesagt hätte, weil mich die Geste überfordert hat. Der Postbeamte hat hinterher zu mir gesagt, dass das nicht in Ordnung war und er die Dame drauf hinweise, wenn sie wieder käme. Ich kannte sie nicht persönlich, habe nur gesehen, wie sie in einen weinroten Audi 80 stieg, den ich aus dem damaligen Straßenbild kannte - aber das war sicher auch so jemand, der mich seit meinem beruflichen Aufstieg gelobt hätte und irgendwann gemeint hätte, wir könnten ruhig Du zueinander sagen. Das ist nur eine Anekdote von vielen, so was in der Art ist mir, aber auch meinem Cousin und diversen Freunden in der Schule und im Umfeld meiner Heimatstadt ständig passiert - und so was prägt einfach.

Ich bekam es oft zu spüren, weniger wert zu sein oder ungern gesehen zu sein aufgrund meiner Herkunft und Familie. Es war in gewisser Weise diffamierend und auch diskriminierend: Wir "Ausländer" und oft auch unsere Familien standen immer verstärkt unter Beobachtung, das fing schon im Kindergarten an. Der russlanddeutsche Alexander, der jugoslawische Viktor, der polnische Tomasz, der tschechische Miroslaw und der türkische Hakki standen immer mehr im Fokus wie Michael, Christoph, Torsten und Philipp aus deutschen, alteingesessenen Familien und wurden auch strenger bestraft oder eher rangenommen oder waren von vorne rein die Sündenböcke, wenn was war, obwohl man gar nicht wusste, ob "der Ausländer" schuld war. Einmal hatte ein so "guter deutscher Fußballbub" im Kindergarten moniert, dass ein Spielzeug fehle, da fiel der Verdacht der Erzieherin (die seine Tante war und gleichzeitig mit meiner Familie ein Problem hatte) automatisch auf ein russlanddeutsches Mädchen und mich. Wir mussten vor den Augen aller unsere Taschen entleeren, es wurde daheim angerufen, wir wurden ausgeschimpft und uns wurde ein "Kindergefängnis beim Polizist Herr G.", angedroht, den wir als "Stadtsheriff" kannten und das wäre ja alles Diebstahl und es wurde gemutmaßt, dass wir das Spielzeug genommen und versteckt hätten, bevor die Erzieherin uns kontrolliert hat. Am Ende kam der "gute deutsche Fußballbub" Tage später angetappt und hatte das vermisste Spielzeug im Auto seines Vaters gefunden, es hatte also nie den Weg in den Kindergarten gefunden. Es kam nie eine Entschuldigung weder bei uns noch bei den Eltern usw. an - ich habe der Erzieherin aber 20 Jahre später gesagt, wie ich mich damals gefühlt habe und merkte, dass ich sie damit sehr verletzt habe, weil ich das noch wusste und es so plastisch beschrieb. Aber dann reagiert man halt auch anders, wie sie es getan hat.

Und als es kurz nach der Jahrtausendwende um Lehrstellen ging, wurde man vom Arbeitsamt faktisch nicht ernst genommen oder ausgelacht selbst bei guten Noten, hieß man Viktor, Hakki, Miroslaw oder Tomasz und war die Muttersprache der Eltern eine andere als "Deutsch mit lokalem Dialekt". Alle diese aufgezählten Jungen gab es tatsächlich und einer von denen war ich.

Ansonsten habe ich noch ein typisches Beispiel für latenten Alltagsrassismus, der nicht direkt mich betraf, aber die meisten meiner Freunde (das waren meist Russlanddeutsche): Wenn in meiner Heimat was passierte, das im Polizeibericht der Zeitung erwähnt wurde machte der unschöne Spruch "ouh, des war bestimmt'n Russ'" schon die Runde, kaum dass die Tinte auf dem Papier trocken war... und gerade "die Russen" oder "die Russkis", wie sie manche auch gern nannten, fanden in der Gesellschaft nicht statt. Aber das war noch eine der harmloseren Episoden.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung

Selbstverständlich. Ich selbst erlebe nicht so mega oft Rassismus, mir sieht man nicht an, dass ich 1/4-Inder bin, aber eine gute Freundin von mir, wird gemobbt wegen ihrer Herkunft bzw. ihrem Aussehen (obwohl sie in Deutschland geboren ist). Auch andere Freunde mit Migrationshintergrund haben mir schon von Rassismuserfahrungen berichtet.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – Ich bin Antifaschist und politisch aktiv!

Fast täglich sehe ich Reaktionen, die rassistisch sind.

Shopping, Öffis, Straße, Veranstaltungen.......überall, wenn man genau hinguckt.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – 56 Jahre Bibelstudium und permanente Weiterbildung

Noch, nie Probleme damit gehabt.

Ich kann mir vorstellen, dass Menschen mit einer anderen Hautfarbe oder Männer, die denken Frauen zu sein oder ähnliches sich sowas entgegen stellen müssen.

Ja, er ist inzwischen überall bemerkbar.