Auffüllen der Elektronen-Energieniveaus - wozu braucht man das und wie funktioniert es?

1 Antwort

Hi ashleyfreak,

leider hast du nicht mit angegeben, in welcher Klassenstufe du gerade bist, darum hoffe ich, dass du das Folgende verstehst. Es ist eigentlich gar nicht so schwer, obwohl die Antwort sehr lang ausfällt.

Vorbemerkung: Die Elektronenhülle eines Atoms besteht nicht wirklich aus Bahnen, auf denen Elektronen kreisen (so wie sich Rutherford oder Bohr das vorgestellt haben), sondern eine genauere Modellvorstellung ist, dass die Hülle aus verschiedenen Energiezuständen besteht. Weil das aber nicht sehr anschaulich ist, stell dir einfach vor, dass die Hülle aus verschiedenen Räumen besteht (die man "Orbitale" nennt), in denen sich Elektronen befinden können. Diesen Räumen kann man allen einen gewissen Energiewert, ein Energieniveau zuordnen. Dabei unterscheidet man zwischen dem Hauptenergieniveau (HEN; früher sagte man auch "Schale" dazu) und gewissen Unterniveaus ("Unterschalen"). Und in jedem dieser Energiestufen können sich maximal zwei Elektronen aufhalten, wobei sich das eine dann rechts herum um sich selbst drehen muss, das andere links herum. Diese Rotation um sich selbst bezeichnet man auch als "Spin".

Doch nun zu deiner eigentlichen Frage. Jedes Atom (egal von welchem Element) besitzt einen kugelförmigen Raum, der ganz dicht um den Atomkern herum liegt. Dieser Raum ist nicht weiter untergliedert. Er stellt das 1. HEN dar (die "K-Schale"). Weil er nicht weiter untergliedert ist, können in diesen Raum maximal zwei Elektronen hinein, du weißt schon, eines, das sich rechts herum dreht, und ein anderes, das sich links herum dreht. Das heißt, in das 1. HEN passen maximal zwei Elektronen. Das ist auch der Grund, warum die 1. Periode im Periodensystem der Elemente (PSE) nur aus den Elementen Wasserstoff (H) und Helium (He) besteht, denn bei H-Atomen befindet sich nur ein Elektron im 1. HEN, bei He-Atomen dagegen stets zwei mit verschiedenem Spin.

Klar soweit? Gut, dann weiter. Der nächste Hauptraum (das 2. HEN) ist noch weiter unterteilt. Hier findest du wieder einen kugelförmigen Raum um den Atomkern (alle kugelförmigen Räume um den Atomkern bezeichnet man als "s-Orbitale"). Aber zusätzlich gibt es noch drei weitere Unterräume mit einer hantelförmigen Gestalt (p-Orbitale). Es gibt also insgesamt vier Räume (ein kugeliges s-Orbital und drei hantelartige p-Orbitale), die jeweils maximal zwei Elektronen aufnehmen können. Das bedeutet, dass ins 2. HEN insgesamt maximal acht Elektronen passen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der kugelförmige Raum energetisch etwas günstiger (niedriger) liegt als die drei Hanteln, die untereinander allerdings energetisch gleichwertig sind.

Nun gibt es Regeln dafür, welche Energiestufen eines Atoms im Grundzustand in welcher Weise nacheinander mit Elektronen aufgefüllt werden müssen. Das erste Prinzip ist die Energieregel. Danach müssen energetisch günstigere Energiestufen zuerst mit Elektronen besetzt werden. Dabei sind die Energiestufen, die näher am Kern liegen günstiger als weiter entfernte. Das heißt für die Elemente der 2. Periode, dass zuerst das s-Orbital des 1. HENs doppelt mit Elektronen besetzt werden muss, dann das s-Orbital des 2.HEN doppelt und dann erst die drei p-Orbitale des 2. HENs.

Auch für die Besetzung der drei energetisch gleichwertigen p-Orbitale gibt es eine Regel, die auf einen Physiker namens F. Hund zurück geht. Nach der Hundschen Regel müssen energetisch gleichwertige Orbitale so besetzt werden, dass der Spin der Elektronen so lange wie möglich gleichsinnig sein kann. Das klingt zunächst kompliziert, ist es aber nicht wirklich. Damit ist folgendes gemeint: Du hast drei p-Orbitale (sie heißen px, py und pz). Nun musst du zuerst in jedes dieser Orbitale jeweils ein Elektron tun, also zuerst in px eines, dann in py und dann in pz. Denn nur so kannst du erreichen, dass sich alle nacheinander hinzukommenden Elektronen in die gleiche Richtung um sich selbst drehen (denselben Spin haben). Wenn du z.B. statt dessen erst ein Elektron in das px-Orbital füllst, das nächste dann in py und das nächste dann wieder in px, so müsste das letzte hinzukommende Elektron in px sich andersherum drehen, weil zwei Elektronen im selben Orbital nicht die gleiche Drehrichtung haben können (siehe oben).

Jetzt haben wir's bald geschafft. Gehen wir einmal ein paar Beispiele durch. Das erste Element im PSE ist Wasserstoff. Er hat ein Proton im Kern, also hat ein H-Atom ein Elektron in der Hülle. Nach der Energieregel muss dieses Elektron ins s-Orbital des 1. HENs. Das folgende Element Helium hat im Kern zwei Protonen, also haben He-Atome auch zwei Elektronen. Beide passen ins s-Orbital des 1. HENs, wobei sie unterschiedlichen Spin haben. Das nächste Element im PSE ist Lithium. Li-Atome haben drei Protonen im Kern, also müssen drei Elektronen in die Orbitale der Hülle verteilt werden. Nach der Energieregel kommen zwei Elektronen mit unterschiedlichem Spin in das s-Orbital des 1. HENs. Das dritte Elektron passt nun nicht mehr ins 1. HEN, weil dort nur ein Raum vorhanden ist und der nur maximal zwei Elektronen aufnehmen kann. Also mus das dritte Elektron in das nächste, das 2. HEN. Nach der Energieregel kommt es in das s-Orbital des 2. HENs, weil das energetisch günstiger ist als die drei p-Orbitale. Das nächste Element ist Beryllium. Es hat vier Protonen im Kern, also haben seine Atome auch vier zu verteilende Elektronen. Zwei gehören wieder ins s-Orbital des 1. HENs, das dritte ins s-Orbital des 2. HENs und das vierte ebenfalls ins s-Orbital des 2. HENs (Energieregel!). Denn dort ist noch Platz für ein Elektron, das dann einen anderen Spin haben muss als das schon vorhandene Elektron. Bei Bor-Atomen sind fünf Elektronen zu verteilen. Das erfolgt nach bekanntem Muster: Zwei Elektronen ins s-Orbital des 1. HENs, zwei Elektronen ins s-Orbital des 2. HENs und das fünfte Elektron ins px-Orbital des 2. HENs. Beim nächsten Element Kohlenstoff gibt es insgesamt sechs Elektronen zu verteilen. Und wieder: Zwei ins s-Orbital 1. HEN, zwei ins s-Orbital 2. HEN, eines ins px-Orbital 2. HEN, das letzte mit dem gleichen Spin wie das Elektron im px-Orbital ins py-Orbital des 2. HENs (nicht wieder ins px, wegen der Hundschen Regel). Für Stickstoff (insgesamt sieben Elektronen) gilt dann: Zwei ins s-Orbital 1. HEN, zwei ins s-Orbital 2. HEN, eins in px, eins in py und eins in pz (alle mit dem gleichen Spin; Hundsche Regel). Beim Sauerstoff muss das letzte zu verteilende achte Elektron dann mit einem entgegengesetzten Spin ins px-Orbital des 2. HENs, weil es sonst keine andere Möglichkeit gibt.

Du siehst, die Befüllung der Energieniveaus ist eigentlich ganz einfach, wenn man erst einmal ein paar Zusammenhänge und Regeln kennt. Übrigens sind Chemiker genau wie Mathematiker ziemlich faule Leute. Darum haben sie eine Schreibweise entwickelt, die schnell und übersichtlich die Besetzung der Energieniveaus in Atomen angibt. Chemiker beschreiben das nicht wie ich es gerade tat, sondern sie schreiben zum Beispiel für Kohlenstoff:

C: 1s^2, 2s^2 2p^2

Das bedeutet: das s-Orbital im 1. HEN ist mit zwei Elektronen besetzt (1s^2), das s-Orbital im 2. HEN ist mit zwei Elektronen besetzt (2s^2) und die p-Orbitale des 2. HENs sind mit zwei Elektronen besetzt (2p^2).

Was nun als letztes noch fehlt, sind folgende drei Erkenntnisse:

  1. Es gibt noch weitere Unterräume, die man d-Orbitale bzw. f-Orbitale nennt. Die d-Orbitale treten ab der 3. Periode auf, die f-Orbitale ab der 4. Periode. Von den d-Orbitalen gibt es stets fünf, von den f-Orbitalen sieben.

  2. Die Besetzung der Orbitale erfolgt nach energetisch günstigen (niedrigeren) Stufen (Energieregel). Dabei gilt für die Besetzung normalerweise folgende Reihenfolge:

1s < 2s < 2p < 3s < 3p < 4s < 3d < 4p < 5s < 4d < 5p < 6s < 4f < 5d < 6p < 7s < 5f < 6d < 7p

  1. Es gibt allerdings gewisse Unregelmäßigkeiten bei der Besetzung. Das hängt damit zusammen, dass voll besetzte oder halbbesetzte Unterniveaus energetisch günstiger sein können als die strikte Auffülung nach dem obigen Muster. So hat beispielsweise Vanadium (V) folgende Elektronenkonfiguration:

V: 1s^2, 2s^2 2p^6, 3s^2 3p^6, 4s^2, 3d^3, weil das 4s-Orbital energetisch minimal günstiger ist, als die 3d-Orbitale (vgl. oben). Aber das nächste Element Chrom (Cr) hat folgende Konfiguration:

Cr: 1s^2, 2s^2 2p^6, 3s^2 3p^6, 4s^1, 3d^5, das heißt, obwohl das s-Orbital des 4. HENs etwas günstiger liegt als die fünf d-Orbitale des 3. HENs, wird nicht das 4s-Orbital doppelt und die fünf 3d-Orbitale vierfach besetzt (wie es folgerichtig wäre), sondern es kommt ein Elektron aus dem 4s-Orbital in das fünfte 3d-Orbital. Dadurch sind nämlich sowohl das 4s-Orbital als auch die fünf 3d-Orbitale jeweils mit einem Elektron besetzt. Das ermöglicht einerseits eine Maximierung an gleichsinnigen Spins, aber vor allem sind sowohl das 4s-Orbital als auch die fünf 3d-Orbitale damit halb besetzt. Das ist energetisch offenbar günstiger als die folgerichtige Auffüllung.

So, ich hoffe, das Thema ist damit erschöpfend erörtert. LG von der Waterkant...