Antigone: Bedeutung des 1. Epeisodions für den Rest der Tragödie

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Kreon hält vor dem Chor (alte thebanische Männer, von ihm als Versammlung durch Herold zusammengerufen) eine Art Thronrede (Sophokles, Antigone, Vers 161 – 210).

Nachdem Eteokles und Polyneikes, die Söhne des Oidipous (Ödipus), im Kampf gefallen sind, besitzt er, als engster überlebender Verwandter zur Erbfolge berechtigt, nun die Macht und hat den Thron bestiegen.

Kreon legt in seiner Rede ein allgemeines politisches Programm dar. Er stellt Grundsätze auf, die gelten sollen und an die er sich halten will, Wer als Leiter/Lenker einer Polis/eines Staates/einer Stadt nicht den besten Grundsätzen folge und wer aus Furcht feige schweige, sei äußerst schlecht. Die Liebe und Treue/Loyalität gegenüber der Polis (πόλις)/dem Staat/der Stadt ist Kreons Hauptmaßstab zur Beurteilung. Er stellt die Liebe und Treue/Loyalität zur Polis/zum Staat/zur Stadt über die Liebe und Treue/Loyalität zu einzelnen befreundeten Personen.

Kreon will niemals schweigen, wenn den Bürgern Unheil/Unglück/Verderben statt Glück/Wohlergehen droht, und niemals einen Feind des anderes zum Freund nehmen. Denn wie er erkenne, sei es das Land, das bewahre/schütze, und wenn es mit diesem richtig stehe, können Freundschaften geschlossen werden.

Kreon nennt ein von ihm aufgestelltes Gebot (Antigone hat davon schon gehört, Vers 21 -36), wie mir den Brüdern Eteokles und Polyneikes umgegangen werden soll. Eteokles soll ehrenvoll bestattet werden, Polyneikes dagegen als Landesverräter unbestatttet und ohne Totenklage bleiben, Vögeln und Hunden zum Fraß. Soweit es an ihm liege, sollen schlechte Menschen rechtlichen nichts Voraushabens, sondern wer der Polis (πόλις)/dem Staat/der Stadt gegenüber wohlgesonnen sein, den werde er ehren. Der Chor stellt fest, daß die Macht für die solches Gebot bei Kreon liegt, scheint aber – ohne direkt zu widersprechen – nicht besonders begeistert zu sein. Er nimmt an, daß wegen der angedrohten Bestrafung niemand wagen wird, dem Gebot zuwiderzuhandeln.

Ein Wächter berichtet dann aber von einer Bestattung und Totenklage entgegen dem Gebot. Kreon wiest die vom Chor in Erwägung gezogene Deutung zurück, dieses Geschehen sein göttliches Wirken. Es könne nicht sein, daß Gottheiten einen Frevler ehrten, der kam, um Tempel zu verbrennen und das Land und seine Gesetze zu zerstören. Kreon vermutet heimliche politische Gegner und unterstellt Bestechlichkeit (Habgier/Gewinnsucht als Motiv).

Das 1. Epeisodion (Vers 162 – 331) der Tragödie enthält das Gebot, das den Konflikt auslöst, und einen ersten Bericht von seiner Übertretung (noch ohne Kenntnis der ausführenden Person).

Bei Kreon, eine der beiden Hauptfiguren der Tragödie, werden durch seine verkündeten Grundsätze, Beschlüsse und Reaktionen wichtige Charaktereigenschaften und seine Denkweise erkennbar.

Abgesehen von der etwas einseitigen Beurteilung, bei Polyneikes nur frevlerischen Landesverrat zu unterstellen (der Mythos enthält zum Streit mit Eteokles Hintergründe, die auch eine andere Einstufung als nur eine nach dem Muster „guter Bruder“ gegen „schlechten Bruder“ zulassen; dabei kommt es auch darauf an, welche Fassung der Erzählung zugrundegelegt wird) entspricht ein Bestattungsverbot in heimischem Land für einen Landesverräter damaligen Rechtsdenken, nicht aber ein Bestattungsverbot ganz und gar (also auch außerhalb des Landes). Bestattung von Angehörigen war eine Pflicht. Das Stattfinden einer Bestattung gehörte zu den ungeschriebenen Gesetzen und galt als göttliches Recht.

Kreon, der ein Mitwirken von Gottheiten in der Welt annimmt und sich auch an einigen Stellen auf sie beruft und meint, im Einklang mit ihnen zu sein, handelt mit seinem Gebot überzogen. Wenn er annimmt, Gottheiten seien keinesfalls für eine Bestattung, trifft dies so nicht zu. Der Seher Teiresias verkündet später, auch aufgrund von Zeichen, das vollständige Bestattungsverbot für einen Fehler und von der göttlichen Ordnung abweichend. Kreon widerspricht zwar zunächst, erklärt aber schließlich, das Befolgen der bestehenden Gesetze sei das Beste und räumt damit eine Bestattung als göttliches Recht ein.

Die allgemeinen Grundsätze, die Kreon als seine guten Absichten angibt, sind an sich nicht unvernünftig, tyrannisch oder Ausdruck von Wahn und Verblendung. Bei der Umsetzung kommt es aber zu Verfehlungen.

Kreon nimmt bei der Bestrafung kaum Rücksicht auf private Beziehungen (Antigone, als seine Nichte mit ihm verwandt und durch Verlobung als zukünftige Schwiegertochter bestimmt; Haimon, Kreons Sohn, Antigones Verlobter). Was er diesen überordnet, ist aber nur das vermeintliche Wohl und Glück der Polis Theben. In Wirklichkeit ist sein Handeln für diese schädlich und unglückbringend. Kreon handelt also an seinem eigenen Maßstab gemessen (das Wohlergehen und Glück der Polis Theben fördern und mehren, Schaden abwenden) falsch.


Albrecht  24.06.2013, 02:47

Kreon scheint eine übertriebene Furcht zu haben, die Polis Theben könne erneut durch die Verfolgung rein privater Interessen Schaden nehmen. Er ist argwöhnisch, neigt zur Unterstellung niedriger Beweggründe (wenn jemand von seiner Meinung abweicht oder ihr zuwiderhandelt, äußert er schnell einen Verdacht auf Gewinnsucht).

Eine Anfälligkeit für Starrsinn, Überheblichkeit (Hybris [ὕβρις]) und Verblendung (Ate [ἄτη] deutet sich an.

eine einführende Darstellung ist z. B:

Hellmut Flashar, Sophokles : Dichter im demokratischen Athen. München : Beck, 2000, S. 61 - 76

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Conny145 
Beitragsersteller
 27.06.2013, 15:14
@Albrecht

vielen dank! :) hat mir sehr geholfen

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