An die jüngere Generation (geb. 1990 - 2000) wurdet ihr noch von euren Eltern geschlagen?
40 Stimmen
21 Antworten
Meine Erziehung (Geburtsjahr 1997) war absolut gewaltfrei. Es gehört sich nicht, Kinder zu schlagen. Auch ein "Klaps" auf den Po gehört sich nicht, denn das ist nur eine Verniedlichung und Runterspielen der Schläge. Wer seine eigenen Kinder schlägt, muss mit der Erziehung überfordert sein.
In Deutschland haben wir das Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung (BGBl. I S. 1479) aus dem auch § 1631 Abs. 2 BGB hervorgeht, in dem es heißt:
Kinder haben das Recht auf eine gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen [...] sind unzulässig.
Nebenbei ist das Recht auf körperliche Unversehrtheit auch in Art. 2 Abs. 2 GG verankert, welches für jeden Menschen in egal welchem Alter gilt, und in dieses nur auf Grundlage eines Gesetzes eingegriffen werden darf.
Gewalt gegen die eigenen Kinder erfüllt den Straftatbestand der Misshandlung von Schutzbefohlenen, welcher nach § 225 StGB unter Strafe steht.
Hätten meine Eltern Gewalt in meiner Erziehung angewendet, hätten sie neben der Freiheitsstrafe auch ihre beruflichen Laufbahnen als Beamte riskiert. Ich habe schon früh gelernt, was erlaubt ist und was nicht, und ich hätte auch keine Hemmung gehabt, Anzeige zu erstatten.
Zuhause wurde ich nie geschlagen (bin Jahrgang 1990) und ich war auch allgemein recht ruhig. Verschiedentliche Probleme wurden ausdiskutiert und es rutschte nie eine Hand aus, es gab auch keinen Klaps auf den Po und die Maxime "leichtes Schlagen auf den Hinterkopf erhöht das Denkvermögen" war mehr ein Kalauer ... ich war da auch im Vorteil gegenüber vielen Gleichaltrigen, die von ihren Eltern geschlagen wurden und wo körperliche Gewalt ein probates Mittel der Erziehung war. Aus meiner ehemaligen Klasse fallen mir einige ein von denen ich weiß, die wurden von beiden Elternteilen ständig geschlagen und auch anderweitig körperlich drangsaliert, teilweise mit Riemen und Peitsche verdroschen, wir reden hier wohlgemerkt von Jahren nach dem "Millennium", aber von einem tristen und ungebildeten Arbeitermilieu, wo eher die Hand ausrutschte und es völlig normal war, dass der Papa erst besoffen war oder besoffen von der Arbeit kam, erst mal das Essen mit Teller warf, weil es ihm nicht schmeckte und dann geprügelt hat und auch die Mama und den alten Opa verdroschen hat, ehe er sonntags mit einer Art Kommunionanzug in die Kirche ging und beim Vaterunser zu weinen begann - ich habe solchen Szenen als Kind etwa in der Nachbarschaft miterlebt, so was vergisst man nie. Wir waren eine intellektuell orientierte, humanistisch geprägte Familie mit hohem Bildungsstandard, hohen ethischen Werten und einer ganz anderen Prägung. Erst als junger Erwachsener war mir klar, wie viel mir das erspart hat und wie gut es mir ging - obwohl die Spießigkeit meiner Familie oft auch anstrengend sein konnte.
Dafür gab es in der Schule noch einen Lehrer bzw. Konrektor, der bis weit nach der 2000 noch geschlagen hat (mich auch, aber das war ein abgekartetes Spiel; das war so ein Dorflehrer, der mit meiner Familie ein Problem hatte und meiner Oma wehtun wollte, indem er meinen Cousin und mich sowie 20 Jahre eher meinen Onkel mehrere Male geschlagen hat und dann jeweils die Oma anrief, von wegen, es sei mal wieder soweit gewesen, weil wir ja auch "nicht brav" gewesen seien) und bezeichnenderweise einen Spitznamen hatte, der mit "Watsche" zu tun hatte.
Zur selben Zeit gab es auch einige ältere Lehrer, die zwar selber nicht mehr schlugen, es so Anfang der 2000er in der Realschule offen bedauert hatten, nicht mehr zuschlagen zu dürfen - "Pädagogen", die die Kinder dafür an den Ohren gezogen oder die Mädchen an den Haaren gezogen haben und wo auch klar war, dass in der Schule erst in der Schule der Lehrer oder der Pfarrer bei "unverträglichen Subjekten" (O-Ton eines meiner Lehrer im Jahr 2002) ordentlich zuschlägt und der Vater daheim nochmals feste drauf haut, bis das Blut spritzt. Und damals gab's bei uns auch noch Väter, die den Lehrern am Elternabend sagten, man könne dem Kleinen ruhig eine links und eine rechts reinhauen, das macht dem nix aus. Ein Vater wollte einem Lehrer einen "Freibrief" fürs Schlagen des kleinen Sohnes erteilen (was der Lehrer ablehnte) und leichte Schläge auf den Hinterkopf erhöhen bekanntlich das Denkvermögen. Ja klar. Leider hat der damalige Rektor nichts unternommen und der Konrektor war ja auch einer dieser "Schläger-Lehrer". Die wurden mehr oder weniger geduldet trotz zahlloser Elternbeschwerden, weil klar war, die gehen bald in Pension; der Konrektor stolperte dann über eine andere Affäre, wo es um sexuelle Übergriffe ging und dann war das Grauen sowieso vorbei. Kaum dass er weg war, hatte sich auch meine Haltung zur Schule erheblich gebessert.
In der Grundschule (1997-2001) gab es sogar ein in den 1930ern geborenes Lehrer-Ehepaar, wo zumindest die Frau "unfolgsamen" Kindern gern noch die eine oder andere Backpfeife verpasst hat - das habe ich sogar gesehen, das fiel auch bei uns in der Klasse vor. Der Mann war etwas nachsichtiger. Es waren bezeichnenderweise zwei Leute, die immer in die Kirche gingen und selbst unfreiwillig kinderlos geblieben waren.
Eine Religions-Lehrerin, Schönstattschwester, heute in einer Art Schönstattzentrum mit Ordenstracht und Ordensnamen ansässig, ach so fromm und lieb; so fromm, dass sie beim Vaterunser und "Gegrüßet seist du Maria" weinte, hat Köpfe der Kinder aus nichtigen Gründen mit voller Wucht auf die Bank gedrückt, den Mädchen die Zöpfe lang gezogen und einem Kind aus der Parallelklasse Ende 2001 bei einer solchen archaischen Tischdrückaktion das Nasenbein gebrochen. Der Vater von dem Kind kam damals während dem Religionsunterricht ins Klassenzimmer (ich kannte den, später war er ein Kunde von mir und erklärte mir das) und sagte zu ihr vor der ganzen Klasse, wenn er ihr jetzt so richtig eine in die Fr... haut, kostet ihn das vielleicht 1000 D-Mark (er hatte sich informiert) als Strafe und es wäre ihm das Geld wert, aber das Niveau sei ihm zu niedrig. Gab einen Riesen-Eklat damals, ich kann mich noch gut erinnern. Der Rektor wusste alles, aber er sagte damals, die wird 2002 pensioniert, das kriegt man auch noch rum. Wir saßen die Frau schlussendlich einfach aus, nahmen sie irgendwann nicht mehr ernst und waren im Juli 2002 alle froh, als sie verabschiedet wurde.
XXX
Soweit aus meiner Warte. Auf dem Land oder im sozialen schwachen (Arbeiter-)Milieu habe ich solche Tendenzen vor wenigen Jahren aber noch festgestellt und da wurde Gewalt gegen Kinder als völlig normales Erziehungsmerkmal angesehen oder mitunter auch als "Strafe Gottes". Die Leute sind dort viel roher, teilweise rückständiger, man schlägt eher zu und schreit eher rum, diskutiert Probleme nicht aus, sondern löst das mit den Fäusten. Teilweise gibt man auch das weiter, was man selbst erlebt und gelernt hat - die Jungen machen's oft nur den Alten nach. In wenig gebildeten Kreisen, wo Probleme aller Art auch unter Erwachsenen noch heute durchaus mit körperlicher Gewalt gelöst werden und die Lautstärke beim "sich in Rage pöbeln" einen Indikator für Männlichkeit darstellt - einer dieser Typen sagte mir mal "Gewalt ist IMMER eine Lösung" und meinte das ernst! - ist das heute noch gang und gebe ... und wo kein Kläger, da kein Richter. Mit Gewalt aufgezogene Kinder neigen jedoch eher dazu, als Erwachsene das Gleiche weiter zu geben und behalten sich das Gesehene ggf. ein Leben lang (!) im Gedächtnis. Oder sie werden depressiv bzw. bekommen psychische Probleme und benötigen in irgendeiner Form Hilfe.
Psychische Gewalt wird aber nach wie vor gegen Kinder ausgeübt und ist oft nicht mal das frontale Ziel der Eltern, aber eine Folge enormer Hilflosigkeit, großer Überforderung und vielleicht zugegeben (ohne die Kiddies jetzt als schuldige darzustellen) auch frecher Kinder, bei denen man in der Erziehung einfach versagt hat. So etwas findet man auch in gebildeteren Kreisen. Das ist zwar genauso dramatisch und unschön, hinterlässt auch traurige Spuren - aber viele Erwachsene denken, es seien "ja nur Kinder", die das vergessen würden, ähnlich wie Tiere, die sich so was aber auch ein Leben lang behalten. Ich habe auch das schon gehört, man soll es eigentlich nicht für möglich halten.
Es war in meiner Heimat auch noch lang geläufig, Familienzwistigkeiten bzw. Streitigkeiten zwischen Erwachsenen auf dem Rücken der Kinder auszutragen, weil sie sich nicht wehren konnten. Der schon erwähnte Konrektor hat es noch Anfang der 2000er fertig gebracht, uralte Streitereien vor allem zwischen rivalisierenden sudetendeutschen Clans (er war selbst Sudetendeutscher), aber auch mit anderen Leuten 30-40 Jahre später auf Kindern und Enkeln derer auszutragen, mit denen er mal Probleme gehabt hat oder wo er dachte, dass er damals zu kurz gekommen sei. Das ist mindestens genauso schlimm - er hat in dem Zusammenhang auch Kinder "abgeschmiert", nur um ihnen eins auszuwischen und fadenscheinige Gründe gesucht. Einmal nahm er auch mich mit in sein Zimmer, das war im Sommer 2002, um mir eine Ohrfeige zu geben und mich dann zu verhöhnen. Der Grund war, dass ich angeblich die Schönstatt-Lehrerin geärgert habe, mit der er dick befreundet war; es war ein abgekartetes Spiel - die Wahrheit war, dass er sich 30 Jahre eher über meinen Großonkel und meine Oma geärgert hat und meinte, man habe ihn benachteiligt. Nach außen hin gab er den freundlichen CDU'ler, Kommunionhelfer, Lektor, Pfarrgemeinderat und sonstiges.
Ja, Hinternvoll und Ohrfeigen waren ein fester Bestandteil meiner Erziehung. Meine Eltern waren sehr konservativ und haben nach dem Leitsatz "Wer nicht hören will muss fühlen" erzogen. Die Gesetzesänderung hat sie nicht davon abgehalten, ihre Erziehung konsequent fortzusetzen. Meine Oma hat das befürwortet und meinen Eltern auch geraten "strengere Saiten" aufzuziehen, als die flache Hand beim Po versohlen nicht mehr ausreichend Wirkung zeigte. Sie hat zum guten alten Kochlöffel geraten
Zwei Fälle vielleicht nicht gerechtfertigt, aber bei einem Fall schon. War nichts extremes, nur was lockeres und schmerzloses. Die zwei nicht gerechtfertigten waren schon mit bisschen mehr Kraft und schmerzhafter, aber auch nur leicht schmerzhaft.
Nein, meine Eltern waren da grundsätzlich dagegen. War aber nicht selbstverständlich, ich weiß, dass mein Nachbar von seinen Eltern gehauen wurde. 🙁