Alltagsbewusstsein

3 Antworten

Wenn ich mir die Aufgabenstellung anschaue, die da heißt

"Wissen und Glauben, Alltagsbewusstsein und Transzendenz"

dann sieht es nach zwei Gegensatzpaaren aus, Wissen contra Glauben und Alltagsbewusstsein contra Transzendenz. Wenn mit Transzendenz das spekulative Übersteigen von empirischer Erfahrung in jenseits-empirische Begründungsfelder gemeint ist, dann wäre mit Alltagsbewusstsein als Gegenpol wohl der gesamte Bereich unseres bewussten Erlebens und darauf reflektierender Theorien gemeint, die gesamte auf täglicher Erfahrung gegründete Anschauung der Welt und das Handeln darin. Man findet das oft in Äußerungen wie "Das macht man so" oder "So machen es doch alle" oder "Man lügt nicht" oder "Man muss sich halt anpassen". Typisch in solchen Aussagen ist das "man". Das reflektiert auf eine Harmonisierung von individueller Erfahrungsdeutung mit allgemeinem Trend - "Heute trägt man rot". Alltagsbewusstsein ist im Praktischen verhaftet, im reibungslosen Miteinander. Als Gegensatz zur Transzendenz müsste es allerdings auch die gesamte empirische Wissenschaft einschließen. Das gibt das Wort allerdings nicht wirklich her, denn wissenschaftliche Forschung kann man nicht in die Rubrik "Alltags" stecken. Insoweit scheint es sich nicht um ein echtes, umfassendes Gegensatzpaar wie "Wissen und Glauben" zu handeln.


Herzsplitter 
Beitragsersteller
 19.01.2014, 01:12

Das stimmt, dass Transzendenz und Alltagsbewusstsein kein umfassendes Gegensatzpaar wie "Wissen und Glauben" ist... Ich habe mich bei der Aufgabenstellung unglücklich ausgedrückt... Das "Wissen und Glauben" sollten nur Hilfslinien sein, damit man weiß, in welchem Rahmen ich von dem Wort "Alltagsbewusstsein" Gebrauch gemacht habe...

0
berkersheim  19.01.2014, 11:13
@Herzsplitter

Nun wenn das so ist, dann ist Transzendenz auf jeden Fall ein Übersteigen des Alltagsbewusstseins, das an die praktischen, tagtäglich lebensbewältigenden Aspekte des Lebens gebunden ist. Meist ist der Begriff Alltagsbewusstsein sehr unpräzise im Detaill und nur - z.B. bei Marxisten - ein Konstrastbegriff zum "revolutionären Bewusstsein". Man kann es auch als Konstrastbegriff zu einem "philosophischen" oder "wissenschaftlichen" Bewusstsein nehmen, alles Bewusstseinsebenen, die sozusagen als "Gipfel" aus dem Alltagsnebel herausragen. Darum lassen sich diese auch besser abgrenzen, weil ihre Vielfalt nicht so breit ist. Ich habe mal das zu beschreiben versucht, was man als Alltagsbewusstsein auffassen könnte:

Wir leben immer in einem Zustand des "als ob". Das bereits Glauben zu nennen, halte ich für überzogen. In der Regel ist ein umrissener Glauben bereits eine systematische Verknüpfung vieler "als ob' s". Du setzt dich mit gutem Vertrauen auf einen Stuhl, "als ob" er inzwischen nicht aus dem Leim gegangen sein könnte. Du betätigst bei Dämmerung den Lichtschalter, "als ob" da nicht viele Verknüpfungen dazwischen wären. Erst wenn das Licht mal nicht angeht, beginnst Du mit der Suche, welches "als ob" da nicht funktioniert hat. Du besteigst ein Flugzeug, als ob da nicht zigtausend "als ob' s" mal nicht Deine Erwartung erfüllen würden. Wir könnten nicht leben, ohne die vielen "als ob". Hin und wieder erkennt man bei genauerem Hinsehen, dass z.B. bei der Einschätzung historischer Persönlichkeiten und ihres Werkes so getan wird, "als ob" die heute leben würden. Wir reden über Martin Luther und seine Glaubenssätze, "als ob" der nicht im 16. JH gelebt hätte, "als ob" für ihn Wasserstrudel keine physikalischen Phänomene sondern das Werk von Geistern gewesen wären, als ob der nicht fest daran geglaubt hätte, dass es vom Teufel besessene Hexen wirklich gäbe. Erst wenn man sich klar macht, welche der vielen kleinen "als ob' s" von heute es für Luther gar nicht gegeben hat, wird klar, wie viele "als ob's" wir heute gedankenlos voraussetzen: Als ob man mit einem Schalter Licht machen könnte, als ob man durch Drehen eines Hahns Wasser zum Laufen bringen könnte, als ob man Briefe nur in den Briefkasten werfen könnte, als ob morgen die Müllabfuhr kommt, als ob man mal eben jemanden in Amerika anruft, als ob, als ob, als ob. Und niemand bemerkt, wie sehr diese vielen "als ob" unser Selbst- und Weltverständnis prägen, "als ob" das Gottesverständnis Luthers nicht ein vollkommen anderes gewesen sein muss, als unser heutiges, weil es in ganz anderen vielen kleinen "als ob' s" eingebettet war. Manche glauben, nichts zu glauben, als ob es das gäbe.

1
Herzsplitter 
Beitragsersteller
 19.01.2014, 18:58
@berkersheim

Wäre das Alltagsbewusstsein dann somit das Bewusstsein im Alltagsmodus? Zum Beispiel, dass man Menschen moralisch nach ihrem Handeln beurteilt, ohne über das Urteil nocheinmal zu urteilen? Also etwas Selbstverständliches? Wie sie schon gesagt haben: "Wie viele 'als ob's' wir heute gedankenlos voraussetzen".. also ohne weitere Gedanken an unsere Handlungen zu verschwenden?

0
berkersheim  19.01.2014, 20:00
@Herzsplitter

Ja durchaus. Wir erarbeiten uns doch die Welt nicht in allen Teilen selbst. Wir werden in einem familiären, gesellschaftlichen Umfeld groß mit gelebten Werten, Gebräuchen, Umgangsformen, Einstellungen usw. des Alltags, die wir, soweit sie aus unserer Sicht gut funktionieren nicht selten unhinterfragt übernehmen. Erst Situationen, die ein Problematisieren auslösen, veranlassen uns, bewusst lange geübte Praxis zu hinterfragen.

0
Herzsplitter 
Beitragsersteller
 19.01.2014, 21:21
@berkersheim

Würde dann die Transzendenz in diesen Problemsituationen auftauchen? Dann müsste ja im Prinzip die Transzendenz das Alltagsbewusstsein hinterfragen... nicht ganz hinterfragen, aber dann wäre dies der nächste Schritt. Oder wie kann man diese beiden Dinge miteinander verknüpfen?

0
berkersheim  20.01.2014, 10:22
@Herzsplitter

Transzendenz entsteht z.B. nach Jaspers durch Grenzerfahrungen, die aus den Alltagserlebnissen herausragen, z.B. Tod und dann die Frage, was passiert danach. Wo kommen wir her, wo gehen wir hin, welche Realität haben Träume? Das sind Fragen, die zur Transzendenz, dem gedanklichen Übersteigen von Alltagserfahrungen anregen. Alle unerklärlichen Erfahrungen verführen zur Transzendenz, was mit zunehmender Wissenschaftlichkeit zurückgeht. Doch im Mittelalter z.B., als man noch keine Ahnung hatte von elektromagnetischen Kräften, von Mikroorganismen als Krankheitserreger usw., suchte man die Erklärungen für Krankheit und nicht erklärbare Erscheinungen im "Übernatürlichen" und es entstanden auf der Basis bereits vorhandener theologischer Erklärungen weitere spekulative Ideen. Aber die Alltagssituation prägt die Spielräume der Transzendenz. Nur noch wenige glauben heute an Hexen oder Unheil, wenn eine schwarze Katze kreuzt. Bei "Hexen"schuss schickt man heute zum Orthopäden und unterwirft nicht eine weibliche Person, die beim ersten Auftreten des Vorfalls in der Nähe war, der Folter, um herauszufinden, mit welchem Teufel sie im Bunde war. Wenn wir heute die religiösen Vorstellungen und Interpretationen Luthers lesen, müssen wir immer daran denken, dass Luther auch an Hexen glaubte und zugestimmt hätte, eine zufällig in nächster Nähe zum Vorfall befindliche Frau zu foltern. Wir müssen also sehr vorsichtig mit transzendenten Ideen Luthers umgehen, weil sie einem ganz anderen Weltbild von Alltagsinterpretationen entstammen. Das kann man nicht trennen.

1
Herzsplitter 
Beitragsersteller
 20.01.2014, 14:59
@berkersheim

Vielen lieben Dank für die ausführlichen Kommentare! Ich denke, dass ich zufrieden meine Arbeit abgeben kann und nochmals danke für die Antworten!

lg

0

Mit Alltagsbewusstsein ist das Bewusstsein gemeint, in dem wir uns als Menschen in der Regel befinden. Es ist geprägt von den Einflüssen der Kultur und dem Umfeld, in dem wir aufgewachsen sind. Dabei ist vor allem das Bild, das wir von uns selbst in unserem Bewusstsein haben, von besonderer Bedeutung.

http://www.neues-bewusstsein-leben.de/alltags_bewusstsein.html :)


Herzsplitter 
Beitragsersteller
 18.01.2014, 22:15

Vielen Dank für deine Hilfe! :)

1