Warum hat die Evolution es nicht so vorgesehen, dass Geschwister Geschlechtsverkehr haben?

9 Antworten

Weil Inzucht mitunter zu schweren körperlichen und / oder geistigen Einschränkungen führen kann und daher für den Arterhalt als kontraproduktiv anzusehen ist!

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung

Die Evolution besteht nicht nur aus Anpassung und Fitness sondern auch auf einen breitgestreuten Genpool.

In abgeschotteten Gebirgstälern konnte man damals deutlich feststellen, daß nahe Verwandte untereinander Geschlechtsverkehr gehabt haben.

Um das zu verhindern, wurden in den Zeiten der Clans, Mädchengruppen auf Wanderschaft geschickt, um die Inzucht zu verhindern.

Wenn es in einer Population zu einer hohen Inzuchtrate kommt, können sich genetische Defekte stark ausbreiten, es kommt zur so genannten Inzuchtdepression. Das kann sich negativ auf die Überlebensfähigkeit der Nachkommen auswirken. Welche Auswirkungen das haben kann, erkennt man am Beispiel der Florida-Panther. In den 1990er Jahren war die Population des Florida-Panthers, einer Population des Pumas (Puma concolor), auf nur noch 25 Tiere geschrumpft. Die Folge war, dass es immer wieder zur Inzucht in der Population kam und die Vitalität der Nachkommen stark abgenommen hatte. Viele der Nachkommen hatten einen Knickschwanz, männliche Tiere hatten eine schlechte Samenqualität und bei vielen kam es zu einem einseitigen Ausbleiben des Hodenabstiegs. Erst als man 1995 acht weibliche Pumas aus Texas auswilderte, verbesserte sich die Lage wieder. Mit den Tieren aus Texas kamen neue Genvarianten, Allele genannt, in den Genpool der Florida-Population und die Folgen der Inzuchtdepression konnten gemildert werden. Bis 2000 war die Population wieder auf 60 bis 70 Individuen angewachsen. Nur noch 7 % der Nachkommen hatten Knickschwänze, die Samenqualität verbesserte sich wieder und bei drei fünftel der Männchen war ein ordnungsgemäßer beidseitiger Hodenabstieg zu verzeichnen. Das Projekt der genetischen Rettung (genetic rescue) war ein voller Erfolg.

Warum kann Inzucht aber derart schädliche Folgen haben? Dazu muss man wissen, was auf genetischer Ebene eigentlich passiert, wenn nahe Verwandte, z. B. Vollgeschwister, miteinander Nachkommen zeugen.
Die Verwandtschaft zweier Individuen wird berechnet durch den Verwandtschaftskoeffizient r. Er definiert sich als die Wahrscheinlichkeit, mit der ein bestimmtes Allel in zwei Individuen aufgrund einer gemeinsamen Abstammung (d. h. Verwandtschaft) vorhanden ist. Je größer r ist, umso wahrscheinlicher ist es, dass ein Allel auf eine gemeinsame Abstammung zurückgeht. Beträgt r beispielsweise 0.5 (was bei Vollgeschwistern der Fall ist), dann liegt die Wahrscheinlichkeit, dass beide Geschwister ein bestimmtes Allel geerbt haben, bei 50 %. Man kann aus dem Verwandtschaftskoeffizient damit auch ablesen, wie viele Allele zwei Individuen durchschnittlich miteinander gemeinsam haben. Bei Vollgeschwistern kommen also im Durchschnitt 50 % der Allele eines Individuums auch in seinem Geschwister vor und sind damit identisch. Der Verwandtschaftskoeffizient r wird als relativer Wert angegeben und kann zwischen 0.0 (überhaupt keine Verwandtschaft) und 1.0 (vollständige Übereinstimmung aller Allele) liegen, wobei ein r = 1 nur zwischen einem Individuum mit sich selbst oder mit einem eineiigen Geschwister bestehen kann. Man berechnet r nach der Formel:



Die Zahl in Klammern gibt die allgemeine Wahrscheinlichkeit der Vererbung eines bestimmten Allels bei diploiden Organismen aufgrund der meiotischen Teilung der Gameten an. Da bei einem diplloiden Organismus ein bestimmtes Allel entweder auf einen Gameten aufgeteilt wird oder nicht, beträgt die Wahrscheinlichkeit 0.5. Der Exponent G steht für die Anzahl an Generationen zwischen beiden Individuen. Die Einzelwahrscheinlichkeiten muss man nun für jede mögliche verwandtschaftliche Verbindung, die zwischen den beiden Individuen besteht, aufsummieren. Bei Vollgeschwistern liegen 2 Generationen zwischen den Geschwistern (eine vom ersten Geschwister zurück zu den Eltern und dann wieder eine vor zum zweiten Geschwister). Weil es zwischen zwei Geschwistern zwei mögliche Verbindungen gibt (eine über den Vater und eine über die Mutter), ergibt das:



Je mehr Allele in zwei Individuen übereinstimmen, umso größer wird die Wahrscheinlichkeit, dass beide das selbe Allel auf ihre Nachkommen vererben. Wenn ein Nachkomme von beiden Eltern das gleiche Allel erbt, nennt man das Homozygotie. Inzucht führt daher dazu, dass in einer Population der Anteil homozygoter Individuen, der Homozygotiegrad, zunimmt.

Viele Erbkrankheiten werden rezessiv vererbt, d. h. sie treten nur auf, wenn ein Individuum homozygot ist und von beiden Eltern das rezessive Allel geerbt hat. Weil in einer von Inzucht geprägten Population der Homozygotiegrad zunimmt, erhöht sich damit also auch die Gefahr, dass Erbkrankheiten gehäuft auftreten. Die Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer Erbkrankheit bei einem inzestuösen Verhältnis lässt sich berechnen. Bei zwei Individuen, die nicht miteinander verwandt sind, beträgt sie zwischen 2 und 4 %. Bei miteinander verwandten entspricht sie dem Inzuchtkoeffizienten F, der wiederum dem halben Verwandtschaftskoeffizienten entspricht:



F gibt sozusagen an, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass ein Individuum an einem Locus von beiden Eltern ein identisches Allel geerbt hat, also an dieser Stelle homozygot ist.

Wenn nun zwei Geschwister beide (heterozygote) Träger des gleichen Gendefekts sind, vererbt jedes von ihnen diesen Defekt mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 % an seine Nachkommen. Erstellt man ein Kreuzungsschema entsprechend der Mendelschen Vererbungslehre, dann wird in 75 % aller Fälle der Nachwuchs mindestens eines der defekten Allele erben.
In einem von vier Fällen vererben beide Eltern das gesunde Allel und der Nachwuchs ist damit völlig gesund.
In zwei von vier Fällen erbt der Nachwuchs nur von einem Elternteil das defekte Gen und ist damit zwar gesund, aber selbst Träger des Defekts und kann diesen wiederum an seinen Nachwuchs vererben.
Und in einem von vier Fällen schließlich erbt der Nachkomme von beiden Eltern das defekte Gen und ist damit krank.
Die Wahrscheinlichkeit, dass zwei Vollgeschwister ein Kind mit einer Erbkrankheit zeugen, liegt somit bei 25 % - das entspricht also exakt 0.5*r, also einem F von 0.25. Die Wahrscheinlichkeit einer Vererbung einer Erbkrankheit ist bei Geschwistern theoretisch deutlich größer als bei nicht miteinander verwandten Eltern.

Das gilt aber nur für die Annahme, dass es im gesamten Genom nur einen defekten Locus gibt. In der Praxis wird es noch komplizierter als es eh schon ist.
Jeder Mensch besitzt durchschnittlich nicht nur einen, sondern sechs Loci mit einem fehlerhaften rezessiven Allel (und kann damit -theoretisch- sechs verschiedene Erbkrankheiten vererben). Da für jeden einzelnen dieser Loci die Wahrscheinlichkeit, dass beide das rezessive Allel tragen, bei 50 % liegt (d. h. r immer noch bei 0.5 liegt), haben zwei Geschwister im Durchschnitt an drei von diesen sechs Loci beide das rezessive Allel.
Beim Abschätzen des realen Risikos für die homozygote Vererbung irgendeiner der drei Erbkrankheiten muss das daher für alle Loci berücksichtigt werden.

Zur Erinnerung: in 75 % der Fälle ist bei einer Erbkrankheit nicht krank. Bei der Betrachtung von drei Loci ist die Wahrscheinlichkeit, an keinem der drei Loci homozygot und krank zu sein dann:



Die reale Wahrscheinlichkeit, keine Krankheit zu vererben, ist also in Wirklichkeit nicht 75 %, sondern nur bei etwa 42.19 %.

Und wie wahrscheinlich ist es, dass Geschwister eine der drei Erbkrankheiten vererben? Das Risiko berechnet sich dann so:



Womit das Risiko einer Vererbung eines genetischen Defekts in Wirklichkeit nicht bei 25 % liegt, sondern sehr viel höher bei 42.19 %.

Entsprechend lässt sich auch berechnen, wie wahrscheinlich es ist, zwei Gendefekte (14 %) oder gar drei (2 %) zu vererben oder auch Nachwuchs zu zeugen, der gesund und auch nicht Träger eines defekten Allels (2 %) ist.

Ein hoher Homozygotiegrad durch Inzucht kann aber noch auf andere Weise schädlich sein. Bei vielen Merkmalen sind heterozygote Träger gegenüber homozygoten im Vorteil. Man spricht dann vom Heterozygotenvorteil oder vom Heterosis-Effekt. Bekanntestes Beispiel ist die heterozygote Form der Sichelzellanämie, die in Afrika einen Schutz vor einer Malaria-Infektion bietet, während die homozygote Form tödlich verläuft und homozygot gesunde Menschen öfter an Malaria erkranken und sterben. Auch das Immunsystem kann viel flexibler und besser agieren, wenn möglichst viele Loci heterozygot sind. So lässt sich beispielsweise die eingangs beschriebene genetische Rettung des Pumas in Florida auf den Heterosis-Effekt zurückführen.

Allerdings muss Inzucht nicht immer zu einer schädlichen Inzuchtdepression führen. Durch so genanntes Purging können schädliche Allele durch Inzucht auch aus dem Genpool getilgt werden. Zur Erinnerung: Inzucht erhöht den Homozygotiegrad, was dazu führt, dass der homozygote rezessive Phänotyp häufiger ausgebildet wird. Gleichzeitig erfolgt aber auch durch die natürliche Selektion ein Selektionsdruck auf genau diesen Phänotyp. Wenn ein Allel so schädlich ist, dass es schon im Mutterleib zum Absterben des Embryos führt, werden dann nur Nachkommen geboren, die das Allel nicht aufweisen, das schädliche Allel wird so nach und nach ausselektiert. Allerdings kann das Purging nur letale Allele erfassen, aber nicht Allele, die sich nur gering auf die Fitness auswirken und auch superdominante Allele werden nicht erfasst. Insgesamt schätzen die meisten Biologinnen und Biologen das mit Inzucht verbundene Risiko höher ein als den Nutzen durch das Purging.

Trotz der möglichen genetischen Risiken muss man sich die gesellschaftliche Frage stellen, ob die Strafbarkeit von Inzest unter Geschwistern (§ 173 StGB) heute noch zeitgemäß ist. Immerhin gibt es heute die Möglichkeiten einer humangenetischen Beratung, um das Risiko einer Vererbung von Erbkrankheiten zu minimieren bzw. besser einschätzen zu können und zahlreiche Verfahren der Pränataldiagnostik. Außerdem hat jeder Mensch prinzipiell ein Recht auf sexuelle Selbstbestimmung - jede und jeder sollte selbst entscheiden dürfen, mit wem sie oder er intim werden will. Solange alles einvernehmlich geschieht, sehe ich persönlich daher keinen Anlass, warum man Liebe kriminalisieren sollte. Ähnlich sieht es der Deutsche Ethikrat, der 2014 empfahl, § 173 StGB zu streichen. Bislang hat sich im Bundestag für eine Abschaffung des Inzest-Paragraphen keine Mehrheit gefunden.

Es stellt sich die Frage, wer mit §173 StGB geschützt werden soll und ob das Schutzziel damit überhaupt erreicht wird. Soll die Gesellschaft geschützt werden? Jährlich kommt es in Deutschland zu etwa acht bis 12 Urteilssprüchen, die den Inzest-Paragraphen betreffen. Inzest ist also ein sehr seltener Einzelfall und dürfte kaum geeignet sein, die Gesellschaft ernsthaft zu gefährden. In etlichen Ländern (z. B. Spanien, Frankreich oder den Niederlanden) ist Inzest heute nicht mehr strafbar. Trotzdem gibt es dort kaum mehr Inzest-Fälle als in Deutschland. Eine Entkriminalisierung würde deshalb auch in Deutschland wohl eher nicht zu einem sprunghaften Anstieg inzestuöser Beziehungen führen und die Gesellschaft gefährden. Wodurch besteht eigentlich die Gefahr der Gesellschaft durch Inzest? Wem schadet den ein Geschwisterpaar, wenn es sich liebt? Eigentlich doch niemandem.
Befürworter des Inzest-Paragraphen betonen, dass er v. a. die Nachkommen vor den möglichen genetischen Risiken schützen soll. Folgt man dieser Argumentation, dann müsste es aber auch nicht verwandten Paaren, bei denen bekannt ist, dass einer der beiden Partner Träger eines genetischen Defekts ist, verboten sein, eine Familie zu gründen. Wer beispielsweise Träger des Chorea-Huntington-Gens ist (eine stets tödlich verlaufende Krankheit, die dominant vererbt wird, also auch bei heterozygoten Trägern ausbricht), vererbt mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 % den Defekt auf seine Kinder. Trotz des großen RIsikos verbietet der Gesetzgeber eine Familiengründung in diesem Fall nicht - jeder Träger muss und darf frei entscheiden, ob er das Risiko eingehen möchte oder nicht. Jeder würde sich mit Recht empören, wenn ein derart eugenisches Gesetz verabschiedet würde, das nichtverwandten Paaren in solchen Fällen die Familienplanung verbieten würde. Es drängt sich einem daher schon der Gedanke auf, dass §173 StGB ziemlich willkürlich und absolut unzeitgemäß ist.
Gleichzeitig verbietet der Inzest-Paragraph lediglich den Beischlaf, d. h. den vaginalen Geschlechtsverkehr. Damit machen sich also auch Paare strafbar, die verhüten und somit überhaupt niemanden zeugen, den es zu schützen gilt. Auch ist die Regelung kaum geeignet, um Nachkommen einer inzestuösen Beziehung wirklich zu verhindern. Theoretisch ist es einer Frau in Deutschland erlaubt, sich in einer Klinik mit dem Sperma ihres Bruders künstlich befruchten zu lassen. Die genetischen RIsiken werden durch die künstliche Befruchtung jedenfalls nicht kleiner, legal ist es trotzdem.

Insgesamt finde ich deshalb, dass Inzest heute nicht mehr bestraft werden sollte. Niemand sucht sich schließlich aus, in wen er oder sie sich verliebt und ich finde, dass wir als Gesellschaft nicht das Recht haben, uns in das Liebesleben anderer einzumischen, solange alles in gegenseitigem Einvernehmen geschieht.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Biologiestudium, Universität Leipzig

Eatabrick  28.01.2022, 22:22

wie lange hast du bitte für diese Nachricht gebraucht?

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Vllt gibt es deswegen keine Monarchien mehr, haben lauter Cousinen/Cousins geheiratet etc.

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Gendefekte - mangelnde Vielfalt - Geschwister - Inzucht - Krankheiten, Fehlbildungen, etc. - verflucht, Gott bestraft, Ächtung - Gesellschaftliche Normen, Regeln

Weil es auch die Natur nicht schafft, einen ausreichend gut durchmischten Genpool zu erzeugen, wenn Geschwister Kinder zeugen.