Doch es ist nicht verkehrt ein bisschen eine Wissenschaft daraus zu machen, um das Prinzip zu verstehen.
Worum es letztendlich geht ist die KETTENLINIE. D.h. die Kette läuft optimal, wenn sie bolzgerade vom vorderen Kettenblatt zum hinteren Ritzel und wieder zurück läuft.
Bei Nabenschaltungsantrieben ist das tatschlich möglich, onwohl sich kaum ein Hersteller die Mühe macht über Feinarbeit eine wirklich perfekte Kettenlinie zu erreichen. "PASST SCHON" lautet die Devise.
Bei der Kettenschaltung weicht der Lauf der Kette immer wieder von der idealen Kettenlinie ab. Dass die Kette sich bei extremem Schräglauf nicht "wohl fühlt" kann man hören oder beim Rückwärtsdrehen spüren (hakt/springt).
Gehen wir aus von einer Shimano 3-fach Kurbel vorn. Der Hersteller gibt eine Kettenlinie an von 50mm, gemeint ist der Abstand Mitte Rahmen bis mittleres Kettenrad. Macht man sich die Mühe und misst hinten den Abstand von Rahmenmitte bis mittleres Ritzel, kommt man auf ziemlich genau 46mm.
Was stellen wir also fest: Es ist gar keine Kettenlinie, sondern eine "Kettenschräge".
Warum das? Ganz einfach: frühere 3fach Shimano MTB Kurbeln bis ca. 2003 hatten eine Kettenlinie von 47.5mm (ganz Billige auch heute noch). Hierbei konnte man annähernd von einer Kettenlinie sprechen. Nachdem aber die Mountainbike-Reifen und -Rahmen immer breiter wurden, wurden die Kurbeln 2.5mm weiter nach aussen gesetzt um Platz zu schaffen, ohne dass das hintere Ritzel weiter nach aussen gesetzt wurde. Daher das Ungleichgewicht.
Aber was tun mit der Information???
Für den Mountainbiker heisst das:
Links 3 kombinieren mit 9 8 7
Links 2 kombinieren mit 9 8 7 6 5 4 3 2
Links 1 kombinieren mit 4 3 2 1
Heisst im Klartext: Die Kette sollte einfach nicht so weit nach innen geschaltet werden. Kurzzeitig macht es natürlich gar nichts.
Warum Shimano eigentlich nicht die hintere Kettenlinie der Vordere angepasst?? Ganz einfach: Das hätte einen neuen Breiten-Standard für Rahmen und Naben/Laufräder erforderlich gemacht. Das hätte einen Aufschrei in der Branche gegeben, "Shimano ändert SCHON WIEDER alle Masse, reine Beutelschneiderei usw."
Wenn SRAM neue Masse einführt, schreit seltsamerweise niemand, jedenfalls wurde der sog. "Boost"-Standard ins Leben gerufen und siehe da, dieser ermöglichtevorne wie hinten 52mm Kettenlinie und weiter auseinanderstehende Speichenflansche.
Zum Abschluss als Vergleich: Shimano Rennrad 2-fach Kurbel Kettenlinie lt. Hersteller: 43.5mm (gemessen Rahmenmitte bis Mitte der beiden Kettenräder), Abstand Rahmenmitte 43.5mm.
P.S: Ich habe von Shimano Deutschland gehört dass bei Cross-Country-Rennen eben nicht nur Links 3 kombiniert wird mit 9 8 7 sondern viel weiter nach innen geschaltet wird, denn Schaltmanöver vorne kosten Zeit. Dieser Nachteil wiegt im Rennen schwerer als der stark erhöhte Verschleiss (Racer kriegen sowieso alles bezahlt).
Wenn jedoch ein Normalsterblicher Links 3 mit Rechts 9 8 7 6 5 viel nutzt, entsteht durch den grossen Kettenschräglauf eine charakteristische "Treppenstufe" seitlich an der Aussenseite der weichen Alu-Zähne des grossen Kettenblatts. Im Extremfall werden die Zähne dadurch messerscharf. Bei einer billigen Kurbel mit Stahl-Kettenblättern kein Problem, bei Shimano Deore XT ist der Austausch ein teurer Spass.
Für den Kettenschaltungs-Neuling ist aber eine andere Information wichtiger: Im Gegensatz zu früher sind Ketten, Ritzel, Kettenblätter auf maximale Schaltperformance statt auf Lebensdauer ausgelegt, egal wie gewissenhaft man sich an obiges Schaltschema hält, sie verschleissen im Zeitraffer. Man kann den Verschleiss durch regelmässiges Reinigen, Schmieren etc. etwas verzögern, aber nicht verhindern.
Das Grundübel liegt darin dass die Ritzelzähne sehr niedrig sind und bereits eine mässig verschlissene Kette auf den Zahnspitzen aufreitet und sie dabei irreversibel beschädigt.
Eine Möglichkeit besteht darin den kompletten Antrieb so lange zu fahren bis nichts mehr geht, z.B. ca. 8000-10.000 Km. Dann muss alles runter, Kette, Ritzel, Kettenblätter, Umlenkrädchen des Schaltwerks. Oftmals ist das die billigste Form des Fahrradfahrens, aber die Zunahme an Reibung im Antrieb ist beträchtlich.
Die zweite Möglichkeit ist, die Kette turnusgemäss zu tauschen, bevor sie die Ritzel und Kettenräder schädigt. Das geht nicht ohne Kettenprüfer:
https://www.rosebikes.de/birzman-kettenverschleisslehre-2666376
Man hält ihn in die Kettenzwischenräume und weiss sofort Bescheid ob die Kette reif für den Austausch ist. Ohne Kettenprüfer den Verschleiss zu schätzen oder nach Internet-Anweisung mit dem Messschieber zu messen gelingt nur unvollkommen. So überleben die Ritzel und Kettenräder in der Regel 3 Ketten. Billiger als die Totalaustausch-Methode fährt man damit nicht, aber bei jedem Kettenwechsel läuft der Antrieb wieder spürbar leichter.
Die dritte Methode ist etwas für fortgeschrittene Kettenjongleure. Man nimmt 3 Ketten, fährt die ersten beiden 1000 Km, die Dritte 2000 Km, dann die ersten Beiden wieder 1000 Km, usw., damit soll sich die Lebensdauer der Ritzel und Kettenblätter am Meisten strecken lassen. Interessant eher für Reiseradfahrer mit schlechter Unterwegs-Versorgung mit Fahrradteilen.