Definitiv lässt sich Mill in gar keines dieser Modelle einordnen. Mill selbst bezeichnete sich nicht als Regel-/ Handlungsutilitarist o.ä. Diese Konzepte wurden später entwickelt und dienen vor allem der Fassbarkeit. In der Philosophie gibt es keine anerkannte allgemeine Theorien, die, welche als solches gehandelt werden, sind meist nur für den Unterricht wirklich gut. Liest man Beispielsweise Mill, wird man bald bemerken, dass sich sein Denken zwar in weiten Teilen mit solchen Theorien (seine eigenen mit eingeschlossen) deckt, aber sie keineswegs völlig kongruent sind. Ich empfinde es als wichtig, dies stets im Hinterkopf zu bewahren. Ansonsten taucht man nie wirklich in die Philosophie ein.
Mill spricht in seiner Schrift "Der Utilitarismus" explizit von Glück, welches durch Handlungen befördert werden soll. Was unter diesem Glück verstanden werden soll, ist allerdings unklar; die Menschen haben ziemlich unterschiedliche Vorstellungen davon, was dieses Glück beinhalten soll. Um die Theorie aufrecht erhalten zu können, müsste man sich aber über die Bestandteile des Glücks einig sein. Der Handlungsutilitarismus nimmt im 20. Jahrhundert diese Kritik auf und geht stattdessen von Interessen aus, die befriedigt werden sollen. Dies ist also bereits ein Versuch, die Schwächen von Mills Formulierung des Utilitarismus zu verbessern. Der Regelutilitarismus ebenso, dieser spricht auch von Interessen.
Wir können aber natürlich Fragen, ob für Mill eher Regeln oder Einzelhandlungen im Zentrum standen, was dich wahrscheinlich auch speziell interessiert. Beides: Zentral sind Handlungsregeln, die als blosse Faustregeln zu betrachten sind: konventionelle Normen. Allerdings kann es in der praktischen Umsetzung in Einzelfällen immer Gründe für die Annahme geben, dass diese konventionellen Normen doch nicht die Tendenz haben, Glück zu befördern. Dann setzt die zweite Ebene, die der kritischen Reflexion, ein, wo diese konventionellen Normen (welche eben nur Faustregeln sind) revidiert werden. Als solches kann Mill als Zweiebenen-Utilitarist bezeichnet werden.
Mill vermeidet also geschickt diverse Probleme, da Ausnahmen in Einzelfällen ermöglicht werden, was z.B. bei Kant nicht der Fall ist. Allerdings stellt sich die Frage, ob die Regeln im Lichte von Einzelhandlungen revidiert werden müssen, womit die Probleme, die ein Handlungsutilitarismus an sich hat, zum Tragen kämen, oder ob die Regeln durch andere Regeln ersetzt werden, womit die Kritik am Regelutilitarismus zum Tragen käme.
Zu Aristoteles: Den Schlüsselbegriff hast du bereits geliefert: eudaimonia. Alle Menschen streben laut Aristoteles das gute Leben (=eudaimonia), das Glück an. Für den Utilitarismus, wie ihn Bentham und Mill vertraten, ist das (grösste) Glück die Grundlage der Moral.
(Um noch auf einige Unterschiede hinzuweisen: Für Aristoteles sind es im wesentlichen die Tugenden, die das Glück konstituieren, im Fokus stehen gemeinschaftliche Akteure (in der Polis). Beim Utilitarismus steht hingegen die ganze Gesellschaft als Menge von Individuen im Fokus und das grösste Glück soll durch Handlungen realisiert werden, die die Tendenz haben, Glück zu befördern. Was moralisch richtig oder falsch ist bestimmt die Wirkung, die eine Handlung auf das Glück als Gesamtes hat.)