"Alle Menschen sind in einem Königreichssaal der Zeugen Jehovas willkommen. Auch Menschen jeder sexuellen Orientierung. Solange diese vor der Tür bleibt oder spätestens mit dem Mantel an der Garderobe abgegeben wird. Ich habe nie einen homosexuellen Menschen bei den Zeugen Jehovas kennengelernt. Es gibt sie, denke ich. Rein statistisch gesehen muss es sie ja geben. Aber wer Zeuge Jehovas ist und homosexuell, wird es höchstens im kleinen Kreis zugeben. Man ist es vielleicht, redet aber nicht darüber.
In einem Fernsehbeitrag von Pro Sieben anlässlich des Tolerance Day wurde ein Familienvater der Zeugen Jehovas mit den Worten zitiert, dass er von Zeugen Jehovas wüsste, die schwul gewesen waren, die ganz hart an sich gearbeitet hatten, vielleicht sogar immer noch diese Neigung verspürten, die aber den Kampf dagegen führten und nicht aufgaben. Schließlich lehnt die Wachtturm-Gesellschaft nicht den homosexuellen Menschen ab, sondern seine Homosexualität. Im selben Beitrag räumt sein Sohn ein, dass Zeugen Jehovas Fundamentalisten seien.
Auf der Homepage der Zeugen Jehovas liest man: Auch wenn die Bibel homosexuelle Handlungen missbilligt, liefert sie keine Grundlage für Homophobie oder dafür, Homosexuellen mit Verachtung zu begegnen. Christen werden vielmehr dazu angehalten "Begegnet allen Menschen mit Respekt" (1.Petrus 2:17, Das Buch) - WTG.
Wie bei allen Unternehmen, die etwas zu verbergen haben, weicht auch bei der Wachturm-Gesellschaft die Außendarstellung von der internen Marschrichtung ab. Natürlich meist nur im Detail, damit niemand "Lüge, Lüge!" rufen kann. Aber dies ist häufig ein - was sage ich - das entscheidene Detail, das dein ganzes Leben auf den Kopf stellt. Kollateralschaden der "theokratischen Kriegsführung".
Es stimmt, aus der Bibel geht eindeutig hervor, dass homosexuelle Handlungen verkehrt sind. Doch Jehova, der Gott der Bibel, zieht die Schwächen der Menschen in Betracht. Er ist ein Gott der Liebe. Er verwirft daher niemand als einen völlig hoffnungslosen Falls, solange sich der Betreffende eifrig bemüht, sich nach Gottes Willen auszurichten. Die Bibel zeigt, dass sich ein Homosexueller ändern muss, um Gottes Gunst zu erlangen. […] In einigen Fällen ist es zufolge der Vergangenheit einer Person denkbar, dass die emotionalen, psychischen und sozialen Auswirkungen der Homosexualität viele Jahre hindurch nicht vollständig ausgelöscht werden können, ja vielleicht überhaupt nicht, solange das gegenwärtige System der Dinge besteht. Doch der Betreffende sollte den Kampf nicht aufgeben. Auch wenn sich Fortschritte manchmal nur langsam einzustellen scheinen, sollte er durchhalten und auf Jehovas Geist vertrauen, auf diese Weise wird er schließlich gute Ergebnisse erzielen. - WTG
Es gibt offiziell keine praktizierenden Homosexuellen bei den Zeugen Jehovas. Sollte man einen Zeugen Jehovas kennenlernen, der von sich aus zugibt, eine homosexuelle Neigung zu haben, so wird er einem sagen, dass er seiner Neigung nicht nachgeht. Mit Hilfe des Gebetes, des Bibelstudiums und seiner Glaubensgeschwister findet er die Kraft, nicht schwule Dinge treiben zu müssen, wie man auf der Homepage der WTG weiter liest:
Falsche Wünsche führen zu falschem Verhalten. Will man sich von ihnen lösen, ist es wichtig, seine Gedanken zu kontrollieren. Beschäftigt man sich dagegen mit viel Gedanken, die einen in die richtige Richtung lenken, dann wird es einem leichter fallen, falsche Wünsche zu verscheuchen (Philipper 4:8; Jakobus 1:14, 15). Das kann am Anfang noch ein großer Kampf sein, aber mit der Zeit wird er leichter werden. […] Den gleichen Kampf führen auch Millionen von Menschen, die heterosexuell sind und sich an biblische Maßstäbe halten möchten. Zum Beispiel Singles, die keinen Ehepartner finden, oder Verheiratete, deren Partner aus irgendeinem Grund nicht zum Geschlechtsverkehr in der Lage ist. Sie führen trotzdem ein glückliches Leben - und das ist auch Menschen mit homosexueller Neigung möglich, wenn sie Gott wirklich gefallen möchten (5.Mose 30:19). - WTG
Von dem Respekt ist allerdings nicht mehr viel zu sehen, wenn man die rosaroten offiziellen Pressetexte verlässt und in die Publikationen der WTG eintaucht.
Auch heute ist jeder herzlich willkommen, der sich aufrichtig bemüht, Gott zu gefallen - nicht indem er die Bibel neu auslegt, sondern indem er sein Leben mit ihr in Einklang bringt. - WTG
Und wie ist der WTG zufolge der biblische Standpunkt?
Warum bezeichnet die Bibel homosexuelle Handlungen als widernatürlich und unzüchtig? Weil sie vom Schöpfer nicht vorgesehen sind. Durch homosexuelle Handlungen können keine Nachkommen hervorgebracht werden. Vor der Sintflut hatten rebellische Engel (Dämonen) sexuelle Beziehungen mit Frauen. Die Bibel stellt diese Beziehungen auf die gleiche Stufe wie homosexuelle Handlungen (1. Mose 6:4; 19:4, 5; Judas 6,7). In Gottes Augen ist beides widernatürlich. - WTG
Ist es respektvoll, die Lebensmodelle anderer Menschen, als widernatürlich zu bezeichnen? Ich glaube nicht. Homophobie fängt nicht erst mit Beleidigungen oder körperlicher Gewalt an. Intoleranz beginnt bereits dann, wenn man die zwischenmenschlichen Beziehungen anderer Menschen in Frage stellt und abwertet.
In der Broschüre Jehovas Zeugen und die Schule liest man: Wir glauben auch, dass homosexuelles Verhalten in moralischer Hinsicht verkehrt ist. - WTG
Masturbation kann übrigens auch, das lernte man in dem Buch Mache deine Jugend zu einem Erfolg aus dem Jahr 1976, der Auslöser für homosexuelle Neigungen sein. Wörtlich hieß es in dem Buch: "Masturbation kann sogar zur Homosexualität hinführen." Die Nacht mit einer gleichgeschlechtlichen Person in derselben Wohnung zu verbringen, die bekannt homosexuell lebt, ist "dreistes, zügelloses Verhalten", was die Bildung eines Rechtskomitees erfordert und zum Ausschluss aus der Gemeinschaft führen kann. Kapitel 28 der Buches Fragen junger Leute - Praktische Antworten, Band 2 widmet unter dem Titel "Was wenn ich homosexuelle Gefühle habe?", ein ganzes Kapitel dem christlichen Kampf gegen diese Neigung. Und im Erwachet! vom 8.April 2005 schreibt die WTG:
Homosexuelle Praktiken werden von Gott in keiner Weise gebilligt und ihm misfallen auch Personen, die diesen Handlungen zustimmen (Römer 1:32). Homosexualität wird auch durch eine "Ehe" nicht ehrbarer. - WTG
Zuvor fallen im Zusammenhang mit der Homosexualität die üblichen verdächtigen Schlagwörter wie "unnatürlich", "verdorben", "Abscheulichkeit"; eindeutig homosexuelle Menschen werden in der Bibel als "Pöbelrotte" bezeichnet. Es gibt da keine zwei Meinungen: Ich bin in einem offenen homophoben Umfeld aufgewachsen. Das hat sich auf meine Kumpels und mich ausgewirkt; "schwul" war ein gängiges Schimpfwort. Die meisten von uns versuchten möglichst maskulin zu wirken. Hätte es einen Homosexuellen in unserem Freundeskreis gegeben, es wäre ihm nicht gut gegangen."
Quelle: Misha Anouk "Goodbye Jehova!"