Hallo Nevoy,
zunächst einmal, damit wir nicht aneinander vorbeireden: Unter "Bestrafung" kann man mindestens zweierlei verstehen. 1. umgangssprachlich eine Handlung, mit der eine Person beabsichtigt, einer anderen Person wehzutun, weil diese einem Verhalten nachging, dem sie nicht nachgehen soll. 2. i. S. d. Psychologie kann man darunter verstehen, dass sich bei einer Person, in zeitlicher Nähe mit einem gegebenen Verhalten, durch einen Reiz oder einen Wegfall eines Reizes die Affektbilanz verschlechtert, d. h. dass es der Person schlechter geht.
Ein Unterschied ist, dass im ersten Fall nicht immer eine zeitliche Nähe zum Verhalten besteht. Ein weiterer Unterschied ist, dass im zweiten Fall überhaupt keine Person benötigt wird, die bestraft. Der aversive Reiz, wenn jemand auf eine heiße Herdplatte fasst, ist eine Bestrafung, ohne dass jemand denjenigen bestraft.
Eine Bestrafung² von Kindern ist Teil des Lebens. Ein Kind, das auf die heiße Herdplatte fasst, lernt dabei, Angst vor der heißen Herdplatte zu haben. Das ist gut, denn die heiße Herplatte ist tatsächlich gefährlich. In der Pädagogik bezeichnet man dies auch als die "Natürliche Konsequenz". Das Kind weiß, dass kein anderer außer es selbst den Schaden zu verantworten hat.
Eine Bestrafung¹ von Kindern ist niemals gut. Sie schädigt die Beziehung zwischen Kind und erwachsener Bindungsperson, führt zu Machtkämpfen, macht das Kind aggressiv, bewirkt Reaktanz und beeinträchtigt das Selbstwertgefühl des Kindes.
Zudem hat sie meist nicht die gewünschte Wirkung. Bestrafung¹ führt zum Overjustification Effect, das bedeutet, das Kind, das bestraft wird, wenn es anderen Kindern den Bauklotz-Turm umwirft, wird das Selbstbild entwickeln, dass es deshalb keine Bauklotz-Türme umwirft, weil es sonst bestraft wird. Hatte also ein Kind ursprünglich die Motivation, deshalb keine Türme anderer Kinder umzuwerfen, weil es die anderen Kinder nicht enttäuschen möchte, und hat vielleicht tatsächlich nur aus Versehen den Turm umgeschmissen, so ist diese prosoziale und intrinsische Motivation mit der Bestrafung¹ ziemlich schnell zerstört. Das Kind entwickelt sich so umso mehr zu einem Menschen, der sich immer dann brav verhält, wenn ein Erzieher, Lehrer, schließlich Polizist in der Nähe ist, der sein Verhalten beobachtet und bestrafen könnte. Denn im Gegensatz zur Bestrafung² folgt eine Bestrafung¹ immer nur darauf, dass ein bestimmtes Verhalten von einem Bestrafer beobachtet wurde. Durch Diskriminationslernen wird das Kind durch die Bestrafung¹ also dazu dressiert, sich bei antisozialem Verhalten nicht erwischen zu lassen, und nicht etwa dazu, das antisoziale Verhalten grundsätzlich abzulehnen.
Es ist durchaus legitim, in der Erziehung von Kindern eine Bestrafung² zuzulassen. Besonders, wenn die Konsequenz dem Kind zuzumuten ist. Das bedeutet, man muss nicht ums verrecken dafür sorgen, dass ein Kind rund um die Uhr beobachtet wird, um zu verhindern, dass es auf eine heiße Herdplatte fasst, beim Quatschmachen stolpert etc. Aber man sollte verhindern, soweit möglich, dass Kinder sich schwer verletzen. Hier sprechen wir wieder von der Natürlichen Konsequenz. Dann gibt es noch ein paar weitere Erziehungsmethoden, die von manchen Laien als Bestrafung¹ betrachtet wird, die aber eigentlich einen anderen Zweck haben und andere Dynamik haben. Bspw. die Logische Konsequenz. Haut ein Kind immer wieder andere Kinder absichtlich mit einem Bauklotz, so kann diesem zeitweise das Privileg weggenommen werden, Bauklötze zu haben. Das ärgert dieses Kind, und so ist es ein aversiver Reiz, also eine Bestrafung². Man erklärt dem Kind dann aber, dass man es nicht ärgern möchte, und warum man den Bauklotz weggenommen hat. Außerdem tröstet man das Kind, damit es merkt, dass es keine Bestrafung¹ ist. Dabei muss man das Kind nur soweit trösten, dass es nicht i. S. d. Behaviorismus belohnt wurde. Das hängt auch vom individuellen Bedürfnis nach Aufmerksamkeit ab und davon, ob das Kind den Ablauf der Logischen Konsequenz bereits kennt und weiß und versteht, dass es keine Bestrafung¹ ist. Zudem wird die unangenehme Logische Konsequenz verknüpft mit angenehmen Logischen Konsequenzen. Also zumindest, dass man dem Kind nahebringt, dass es wieder Bauklötze haben darf, wenn man sich darauf verlassen kann, dass den anderen Kindern nicht mit den Bauklötzen wehgetan wird.