Wo kommen die Nornen her?

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Vor der Entstehung des Riesen Ymir werden in den altnordischen Texten keine Nornen erwähnt und Ymir gilt auch als erstes Lebewesen (nach Snorri Sturlusson, Prosa-Edda, Gylfaginning Kapitel 6 entstand beim Auftauen des Eises zugleich auch noch die Kuh Auðhumbla, von deren Milch sich Ymir nährte). Davor existierend werden Naturkräfte (wie die von Süden her scheinende Sonne) und wohl ganz zu Anfang ein gähnender Urgrund (Völuspá/Vǫluspá Strophe 3) angenommen.

Zur Herkunft der Nornen sind erhaltene Texte nicht sehr ergiebig.

Die Nornen sind eine Personifikation des Schicksals.

Es gibt Ähnlichkeiten mit den in der Antike bei germanischen Völkern verehrten Göttinnen, die als „Matronen“ bezeichnet werden (in lateinischen Weiheinschriften als matrae, matrones, matres oder „dea genannt). Die Moiren (Μοῖραι [Moirai]) der griechischen und die Parzen (parcae) der römischen Mythologie bzw. Religion sind Parallelen zu den Nornen.

Fafnismál Strophe 12 gibt für verschiedene Nornen eine sehr unterschiedliche Herkunft an:

  • Abstammung von Asen (áskungar)

  • Abstammung von Alben (àlfkungar)

  • Töchter des Zwerges Dvalin (dætr Dvalins)

Ein goldenes Zeitalter der Asen auf dem Idafeld/ Iðawǫllr (Völuspá/Vǫluspá Strophe 3) geht zu Ende, als drei Riesenmädchen (þursa meyjar), mit großer Macht, aus Jötunheim (Jötunheimr/Jǫtunheim) dorthin kommen. Karl Simrock übersetzt mit „Thursentöchter“ und Die Edda : die ältere und jüngere ; nebst den mythischen Erzählungen der Skalda. Übersetzt und mit Erläuterungen begleitet von Karl Simrock. 6. verbesserte Auflage. Stuttgart : Verlag der J. G. Cotta’schen Buchhandlung, 1876, S. 355 und S. 368 deutet er sie als Nornen. Er zieht eine Verbindung mit Vafþrúðnismál Strophe 48 – 49, wo Möghtrasils Mädchen (meyja Mögþrasis), von ihm übersetzt als „Mögthrasils Töchter“, erwähnt werden, drei Mädchen, die vorwissend das Meer überfahren, den Menschen gegenüber wohlwollend/schützend, obwohl sie bei Riesen aufgezogen worden sind. Die Deutung ist ungesichert und nicht bekannt ist, wer Möghtrasil (Mögþrasir/Mǫgþrasir) ist (er wird an keiner anderen Stelle erwähnt).

Richard Wagner, Der Ring des Nibelungen hat in einer modernen Sagengestaltung die Nornen zu Töchtern der Erdmutter, der Göttin Eda, und des Gottes Wotan gemacht.

In den altnordischen Texten haben die Nornen als Schicksalsfrauen meistens keine individuellen Namen. Helgakviða Hundingsbana I Strophe 4 wird eine der Nornen »nipt Nera« („Verwandte Neris“) genannt. Um welche Person es sich bei Neri handelt, ist ziemlich unklar (Erörterung bei Klaus von See/Beatrice La Farge/Wolfgang Gerhold/Debora Dusse/Eve Picard/Katja Schulz, Kommentar zu den Liedern der Edda. Band 4: Heldenlieder : Helgakviða Hundingsbana I, Helgakviða Hio̜rvarðssonar, Helgakviða Hundingsbana II. Heidelberg : Winter, 2004, S. 182).

Die Nornen (altnordisch: nornir; Singular: norn) sind in der nordischen Mythologie Schicksalsfrauen, eine Gruppe weiblicher Figuren, die es öfteren im Ruf stehen, das Schicksal gestalten zu können.

Die ursprüngliche Bedeutung des Wortes Norn scheint »die Raunende« zu sein.

Zu einer Gruppe von drei Nornen gibt es eine räumliche Herkunft.

Snorri Sturlusson, Gylfaginning Kapitel 14 (bzw. nach anderer Zählung 15) erwähnt drei Quellen unter den drei Wurzeln des Weltenbaumes, der Esche Yggdrasil. Unter einer, der zum Himmel/zu den Asen gehenden, befindet sich die sehr heilige Urds Quelle/Urdsbrunnen (urðarbrunnr; schon bei Skalden des 10. [Kormáks sigurðardrápa] und 11. Jahrhunderts [Eilífr Goðrúnarson] erwähnt). Eine schöne Halle (salr) ist unter der Erde bei der Quelle. Aus dieser Halle kommen drei Mädchen (meyjar), Urd/Urðr, Verdandi/Verðandi, Skuls/Skuld. Diese bestimmen das Leben der Menschen.

Aber es gibt mehr Normen, die zu jedem Kind kommen, um sein Leben zu bestimmen und die sind göttlicher Abstammung, andere aber aus dem Geschlecht der Alben (deutsch auch Elben, Elfen oder Alfen genannt; altnordisch: álfar; Singular: álfr; altenglisch: ælfe; Singular: ælf), noch andere aus dem Geschlecht der Zwerge (Dvalins Töchter).

Es gibt gute Nornen und schlechte/böse Nornen. Gute Nornen und welche, die von guter Herkunft sind, schaffen Glück, während die Schlechten Nornen Unglück bringen.

Der Zwerg Andvari macht gegenüber Loki eine „üble Norn“ für sein Geschick verantwortlich (Regimsmál Strophe 2).

Der Gotenkönig Angantyr beklagt, daß er seinen Halbbruder töten mußte: „Übel ist der Spruch der Norn.“ (Hunnenschlachtlied (Hlöðskviða/Hlǫdskviða), Hervarar saga ok Heiðreks konungs Kapitel 29).


Albrecht  14.08.2013, 10:41

Bernhard Maier, Die Religion der Germanen : Götter, Mythen, Weltbild. München : Beck, 2003, S. 62 – 63:
„Daß die Götter in der Mythologie der Edda selbst dem Schicksal unterworfen sind, wurde in der Vergangenheit häufig als Beleg für einen germanischen Schicksalsglauben gewertet. Nähere Auskunft über die damit verbundenen Anschauungen geben jedoch nur vergleichsweise späte altenglische und altnordische Quellen, bei denen der Einfluß des Christentums und der klassischen Antike in Rechnung zu stellen ist. Schon im 18. Jahrhundert in Deutschland bekannt wurde die Vorstellung von den Schicksalsfrauen, für die sich im Anklang an die skandinavische Überlieferung die Bezeichnung Nornen (altnordisch nornir, Singular norn) eingebürgert hat. Hier erwähnt die Prosa-Edda einerseits eine unbekannte Vielheit guter und böser Nornen, die jedem Kind bei der Geburt sein Schicksal zuteilen, andererseits drei Nornen namens Urðr, Verdanði und Skuld, die im Schicksalsbrunnen (urðarbrunnr) wohnen. Da Verdanði (»werdend«) im Unterschied zu den beiden anderen Namen eine sprachlich junge Bildung darstellt, ist die eddische Vorstellung von drei Nornen als Personifikation der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft vermutlich erst spät und unter dem Einfluß der antiken Vorstellungen von drei moirai bzw. parcae aufgekommen. Der Name Urðr findet demgegenüber eine genaue Entsprechung in dem angelsächsischen Begriff wyrd, der als Bezeichnung eines unpersönlichen Schicksals jedoch den Einfluß der antiken fortuna-Vorstellung erkennen läßt und daher keine sicheren Rückschlüsse auf altgermanische Anschauungen zuläßt.“

Rudolf Simek, Lexikon der germanischen Mythologie. 3., völlig überarbeitete Auflage. Stuttgart : Kröner, 2006 (Kröners Taschenausgabe ; Band 368), S. 306 – 307 (Nornen)

Rudolf Simek, Religion und Mythologie der Germanen. Darmstadt : Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2003, S. 125 – 126, S. 171 – 172 und S. 182 - 183

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Albrecht  14.08.2013, 10:40

wichtige Quellentexte zu den Nornen:

Lieder-Edda:

Völuspá/Vǫluspá Strophe 19 – 20

Helgakviða Hundingsbana I Strophe 2- 4

Helgakviða Hundingsbana II Strophe 26

Reginsmál Strophe 2

Fáfnismál 11 – 13, 44

Sigrdrífumál Strophe 17

Sigurðarkviða Strophe 7

Guðrúnarkvia ǫnnor Strophe 38

Atlakviða Strophe 16

Hamðismál Strophe 29 - 30

Skaldenstrophen ab dem 9./10. Jahrhundert

Prosaliteratur:

Snorri Sturlusson, Prosa-Edda, Gylfaginning, Kapitel 14 – 15 bzw. (nach anderer Zählung) 15 – 16

Völsunga saga/Vo̜lsunga saga Kapitel 8 und 18

Norna-gests þáttr Kapitel 10

Baalrams saga ok Josaphars (13. Jahrhundert) schreibt den Nornen göttliche Herkunft zu (wenn er die neun Nornen als Töchter Thors bezeichnet, hat er dies wohl selbst erfunden)

Die in der norwegischen Stabkirche von Borgund eingeritzte Runeninschrift (12. - 13. Jahrhundert) erwähnt ausdrücklich Nornen.

Bæði gerðu nornir, vel ok illa; mikla mœði skopuðu þær mér

„Die Nornen bestimmen das Gute und Böse, mir haben sie großes Leid gebracht.“

Wie Snorri Sturlusson auch zugibt, versucht er zwei verschiedene Nornen-Konzepte zu verbinden: einerseits die Vielzahl an weisen Schicksalsfrauen, andererseits die Vorstellung der Völuspá/Vǫluspá Strophe 20 von drei namentlich genannten Nornen, die der Dichter im Zentrum des Kosmos am Baum Yggdrasill ansiedelt und die er Urd, Verdandi und Skuld (Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft) nennt.

Die Deutung der drei Nornen als Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft (»das Gewordene«, »das Werdende« und »das Werdensollende«, als Formen des Verbs verða; urðr zu urðum »wurden«, verdanði »werdend« und skuldzu skulu * »werden, wollen«), weise Frauen, die das Schicksal kennen und entscheiden, stammt möglicherweise erst vom Autor der Völuspá/Vǫluspá, denn Skuld ist anderswo auch als Walkürenname belegt und Verdanði eine sprachliche Neubildung. Nur Urðr scheint wirklich mit dem Begriff des Schicksals verbunden. Kormáks sigurðardrápa Strophe 4: komsk Urðr ór brunni („Es kam Urðr aus dem Brunnen.“).

Die Nornen sind nach altgermanischem Volksglauben Frauen, die in die Gebäude kommen, um das Schicksal für das Leben zu bestimmen, als solche in der mittelalterlichen Sagaliteratur belegt.

Der Held Fridelfus (Friedleif/Friðleifr) (Saxo Grammaticus, Gesta Danorum 6, 183) möchte das Schicksal seines Sohnes von drei in einem Tempel thronenden weisen Frauen erfahren.

Die Nornen kommen zu jedem neugeborenen Kind: Norna-gests þáttr Kapitel 10; Saxo Grammaticus, Gesta Danorum 6, 183 und 212; die Nornen werden in dem lateinischen Text als parcae bezeichnet).

Sólarljóð Strophe 51 erwähnt einen „Stuhl der Nornen“ (norna stóll), was das „Bett des Todes“ bezeichnet.

Reginsmál Strophe 9 werden die Schicksalsfrauen als Disen bezeichnet. Das Schicksal wird als ein von den Nornen verkündetes Urteil empfunden (Hamðismál Strophe Hamðismál Strophe 30, Fafnismál Strophe 11).

Die Nornen haben die Kraft, Gesetze zu geben und zu wählen (Völuspá/Vǫluspá Völuspá Strophe 20).

De von den Nornen ergehenden Urteil betreffen in erster Linie den Tod. Sie setzten dem Leben ein Ende.

Bei den weisen, das Schicksal des Einzelnen bestimmenden Frauen tritt das Motiv des Spinnens bzw. Verknüpfens von Fäden nur in Helgakviða Hundingsbana I Strophe 2 – 4 (kommen zum neugeborenen Helgi, befestigen Schicksalsfäden am Himmel im Osten, Westen und Norden) und in Reginsmál Strophe 13 (wo die Nornen den Lebensfaden drehen) auf.

Nach der wahrscheinlichsten Interpretation von Fafnismál Strophe 12 (von Völsunga saga/Vo̜lsunga saga Kapitel18 aufgegriffen) stehen bestimmte Nornen im Ruf, Gebärenden bei der Geburt hilfreich zur Seite zu stehen.


Informationen zu den Nornen, wobei zur Frage der Abstammung aber nur wenig zu finden ist, offenbar wegen nur sehr geringer Texthinweise:

François-Xavier Dillmann, Nornen. In: Reallexikon der germanischen Altertumskunde. Von Johannes Hoops. Band 21: Naualia - Østfol. 2., völlig neu bearbeitete und stark erweiterte Auflage. Herausgegeben von Heinrich Beck, Dieter Geuenich, Heiko Steuer. Berlin ; New York : de Gruyter, 2002, S. 388 - 394

Arnulf Krause, Reclams Lexikon der germanischen Mythologie und Heldensage. Stuttgart : Reclam, 2010, S. 201 (Nornen)

„Im Bild der N. als schicksalbestimmende weibliche Mächte des Überirdischen verbinden sich Vorstellungen der Matronen aus den röm. Provinzen sowie der Disen und Walküren (in Bezug auf das Schlachtenglück), die aus Skandinavien bekannt sind.“
N. = Nornen
röm. = römischen

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Die Nornen sind eine (vergessene) Andeutung auf die große Muttergöttin. Der Anfang alles Lebens.


Thursenblut 
Beitragsersteller
 10.08.2013, 21:41

Aber hat das Leben nicht mit Ymir begonnen der aus Feuer und Eis in der Urschlucht entstand?

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FlyingCarpet  10.08.2013, 23:18
@Thursenblut

Für die Männer schon - Frauen sehen das ganz anders. Leider sind viele dieser Schöpfungsgeschichten verlorengegangen oder wurden verboten. Ymir ist ein Zwitterwesen (Mann und Frau zugleich in einer Person). Eine vergleichbare Mythe enthält die Prosa-Edda, nach der die erste Kuh Auðhumla den Riesen Ymir nährte Kühe sind in vielen Mythologien ein mythisches Bild für die Erdmutter. Diese sucht sich in vielen Mythen einen "Befruchter", der meisten im Verlauf/Ende des Jahres sterben muss.

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Thursenblut 
Beitragsersteller
 11.08.2013, 01:07
@FlyingCarpet

Der Mythos der Kuh ist mir bekannt, sie nährt Ymir mit ihrer Milch und befreit Bur - den Vater Odins und seiner Brüder - aus dem Eis. Diese erschlagen schließlich Ymir, als er zu groß wird. Von der Kuh scheint in späteren Mythen keine Rede mehr zu sein. Für mich liegt nahe, dass sie zusammen mit den meisten Riesen in Ymirs Blut ertrinkt. Oder in anderer Gestalt in den Mythen weitergeführt wird (Frigg?)

Ich verstehe auch dass die Nornen und Auðhumla ein Symbol für eine überirdische Mutterfigur darstellen(auf die ein oder andere Weise)

Allerdings suche ich nach spezifischen Mythen über den Ursprung der Nornen, ob es eine Art Urnorne gibt etc.

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FlyingCarpet  11.08.2013, 10:55
@Thursenblut

Mit Frigg usw. hast Du recht. Da lebt "Mutter Erde" weiter. Die Nornen stellen in ihrer Dreiteilung (Vergangenheit/Gegenwart/Zukunft eine moderne Form der Hel dar. http://www.lokis-mythologie.de/hel.html Wobei eine Dreiteilung schon auf spätere Gedankenwelten (Vater/Mutter/Kind - männlich/weiblich/Funke(Illuminati) - Vater/Sohn/heiliger Geist - hinweist.

in o.g. Link ist eine Teilung/Entscheidungsgewalt der Gestalt (gut/böse) beschrieben, das ist bei Naturreligionen nicht der Fall. Gut und Böse/männlich/weiblich ist eine Gestalt (Mutter).

Man muss immer bedenken, dass schriftliche Aufzeichnungen zu diesem Thema erst in späteren Zeiten stattfanden, in denen die Symbolik teilweise nicht mehr verstanden wurde und/oder schon eine patriarchalische Gesellschaft vorherrschte.

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