Wie war das mit dem Lesen und Schreiben im alten Rom?

2 Antworten

Keine soziale Schicht oder Berufsgruppe beherrschte im antiken Rom ganz allgemein, durchgehend in allen Personen, das Lesen und Schreiben nicht. Es gab kein Verbot. Über den Grad der Verbreitung der Fähigkeiten des Lesens und Schreibens gibt es keine genauen Zahlenangaben. Die antike römische Geschichte umfaßt außerdem einen langen Zeitraum, in dem die Verhältnisse nicht immer gleich waren. Über die römische Frühgeschichte ist verhältnismäßig wenig durch Quellen bekannt.

Das Ausmaß, in dem Leute aus bestimmten Gruppen lesen und schreiben konnten, war unterschiedlich. In der römischen Gesellschaft gab es Gruppen, bei denen diese Fähigkeiten geringer und weniger verbreitet waren als bei der politischen Führungsschicht, die Reichen und Gebildeten. Am geringsten verbreitet waren sie wahrscheinlich bei der ländlichen Unterschicht.

Lohnschreiber (Leute, die das Schreiben als Beruf ausübten und dafür Lohn erhielten/bezahlt wurden) hat es im antiken Rom gegeben.

1) Lese- und Schreibfähigkeit

Lesen und schreiben konnten die politisch Führenden, Wohlhabenden und Gebildeten, verbreitet auch Handwerker und Händler, Soldaten mit höherem Dienstgrad. Die städtische Bevölkerung beherrschte das Schreiben insgesamt mehr als die ländliche.

Wer in der Regierung, in der Verwaltung oder auf einem höheren Posten im Militär tätig war, benötigte zum guten Erfüllen der Aufgaben Kenntnisse im Schreiben und Lesen bzw. Hilfspersonal mit guten Fähigkeiten darin. Die der Herstellung und Verbreitung von Büchern dienende Werkstatt des Titus Pomponius Atticius auf dem Quirinal in Rom beschäftigte Abschreiber/Kopisten (librarii) und Nachbesserer (anagnostae). Bibliotheken hatten üblicherweise eine eigene Schreibstube (scriptorium) zum Abschreiben von Texten.

Ein Erlaß des Kaisers Valerius im Jahr 372 sah vor, daß die kaiserliche Bibliothek in Konstantinopel griechische und römische Schreiber einstellte.

Für Handwerker und Händler waren Aufzeichnungen und Buchhaltung nützlich.

Schriftsteller haben geschrieben bzw. Schreibern diktiert.

Im Haushalt der römischen Oberschicht gab es Sklaven, die als Schreiber/Sekretäre tätig waren.

Lehrer an Elementarschulen und beim fortgeschrittenen Grammatikunterricht und beim Rhetorikunterricht mußten lesen und schreiben können.

Eine Schulpflicht gab es nicht. Eine Anzahl reicher Leute setzte Hauslehrer ein. Es gab öffentlich zugängliche, von den Eltern privat zu finanzierende Schulen. 234 v. Chr. betrieb Spurius Carvilius, ein Freigelassener, eine Elementarschule. Livius legt das Vorhandensein solcher Schulen auch schon im 5. und 4. Jahrhundert v. Chr. zugrunde, was allerdings als unsicher gilt. Ein eher kleiner Anteil der Kinder besuchte danach eine höhere/weiterführende Schule (Grammatikschule). Männliche Jugendliche die eine Laufbahn mit öffentlichen Ämtern anstrebten, gingen anschließend auch noch auf eine hochschulähnliche Schule (Rhetorenschule).

Marcus Porcius Cato (234 – 159 v. Chr.) übernahm einen großen Teil der Erziehung seines Sohnes selbst, was damals schon eher unüblich war. Er hatte aber auch einen Sklaven Chilon, der als Elementarlehrer zahlreiche Kinder des unfreien Hauspersonals im Lesen und Schreiben ausbildete.

Zu dem Grad der Alphabetisierung im römischen Reich kann mangels vollständiger und lückenloser aussagekräftiger Quellen nichts Genaues mit Sicherheit angegeben werden. Angaben moderner Schätzungen weichen beträchtlich voneinander ab, von etwas unter 15 % bis zu 80 %.

William Vernon Harris, Ancient literacy. 1. Harvard University Press paperback edition. Cambridge, Massachusetts ; London : Harvard University Press, 1991, S. 147 – 322 ist in der Deutung der Quellen als Beleg für Alphabetisierung sehr zurückhaltend und kommt zu niedrigen quantitativen Angabe, die als gut durch Anzeichen abgestützte Mindestanzahl innerhalb einer vertretbaren Bandbreite von Angaben des Anteils betrachtet werden können.


Albrecht  28.07.2013, 01:05

Annette Dortmund, Römisches Buchwesen um die Zeitenwende : war T. Pomponius Atticus (110 - 32 v. Chr.) Verleger? Mit einem Geleitwort von Stephan Füssel. Wiesbaden : Harrassowitz, 2001 (Buchwissenschaftliche Beiträge aus dem Deutschen Bucharchiv München ; Band 66), S. 58 - 60:
„Den Alphabetisierungsgrad der römischen Bevölkerung zu bestimmen gestaltet sich außerordentlich schwierig. Es gibt hierzu, wie in so vielen Bereichen der sozialhistorischen Forschungen kaum aussagefähige Quellen, erst recht nicht statistisch auswertbare für das gesamte Gebiet des Römischen Imperiums auch nur zu einem Zeitpunkt der Entwicklung.

Dennoch war ein Teil der althistorischen Forschung lange überzeugt, daß Griechen und Römer durchgängig alphabetisiert gewesen sein müßten. So neigte man z. B. dazu, die öffentliche Verwendung von Schriftlichkeit, etwa auf Grabsteinen, als Beleg für eine beachtliche Lesefähigkeit des angesprochenen Publikums zu sehen und unterschätzte dabei z. B. den hohen Symbol- und Prestigewert von Schriftlichkeit. Zeitgenössisch häufiger verwendete, genannte oder gewöhnlich dargestellte Fähigkeiten wurden weitgehend vorbehaltlos als ‚massenhaft’ oder doch ‚allgemein verbreitet‘ gedeutet; der argumentative Schluß vom Einzelnen auf das Allgemeine wurde nur selten durch Zweifel und Vorbehalte relativiert, die die Quellenlage methodisch nahelegt.“

S. 66: „Eine Schulpflicht gab es nicht; es blieb stets in das Ermessen des Familienvaters gestellt, welche Ausbildung er seinen Kindern ermöglichte. Der Elementarunterricht konnte privat durch den Vater, durch einen Hauslehrer oder - in den Städten - in Schulen erteilt werden, auf die vor allem die Unterschichten weitgehend angewiesen waren. Elementarschulen, in denen Lesen, Schreiben und einfaches Rechnen gelehrt wurde, sind in der Regel nicht als Gebäude, sondern als kleine Läden zu denken, die durch einen Vorhang gegen die Straße abgeschlossen waren. Viele Lehrer unterrichteten auch auf der Straße unter freiem Himmel. So war die Elementarschule für alle mit Ausnahme der Ärmsten erschwinglich und ermöglichte der städtischen Bevölkerung, schreiben und lesen zu lernen, soweit ihr daran lag. Die Qualität dieser Schulen war allerdings vergleichsweise gering, die meisten Schüler dürfte über ein zähes Buchstabieren nicht hinausgekommen sein.“

S. 68: „In den meisten westlichen Provinzen läßt sich eine erste Alphabetisierung erst unter römischen Einfluß erkennen. Im Osten, vor allem im griechischen Bereich, war die Kenntnis des Lesens und Schreibens schon deutlich verbreiteter: In hellenistischer Zeit waren dort vielleicht sogar 30 bis 40 % der freigeborenen Männer in den Städten literat. Die Masse der Bevölkerung des Römischen Reiches muß noch in der hohen Kaiserzeit des Schreibens und Lesens gleich welcher Sprache unkundig gewesen sein. In Zahlen ausgedrückt dürfte der Alphabetisierungsgrad der römischen Bevölkerung bis 100 v. Chr. nach Harris nicht weit über 10 % und in Italien im Jahrhundert darauf unter 15 % gelegen haben, wobei Frauen seltener alphabetisiert waren als Männer. Im vormals illiteraten Westen entstand mit der fortschreitenden Romanisierung ein Netz von Schulen aller Art, vornehmlich in städtischen Zentren. Hier lag die Alphabetisierungsquote am Ende der Republik und zu Beginn der Kaiserzeit nach Harris unter 5 bis 10 % und damit noch immer deutlich höher als vorher; dabei liegen die Werte für die Städte erheblich über denen für das Umland."

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Albrecht  28.07.2013, 01:06

S. 69: „Anders als die große Mehrheit der Bevölkerung bedienten sich die Kultur- und Führungseliten, einschließlich vieler Frauen, selbstverständlich der Schriftlichkeit, für Tätigkeiten im Großhandel, oder in der Verwaltung war dies ohnehin unabdingbar. Auch viele Handwerker und Kleinhändler beherrschten die Kunst des Schreibens und Lesens, die ihrer erfolgreichen beruflichen Tätigkeit erheblich nutzte. Unter Soldaten dürfte die Zahl der Alphabetisierten im Verlauf der Zeit und mit dem Dienstgrad tendenziell gestiegen sein. Vor allem in der Stadt erleichterte die Beherrschung der Schriftlichkeit auch dem einfachen Bewohner das Leben. Sklaven waren sicher nicht durchgehend alphabeistiert; Sklaven aus dem Osten brachten aber oft eine beachtliche Bildung mit, und Schreibsklaven wurden überall gebraucht. Ihr Einsatz, privat und gewerblich, ermöglichte schließlich die geringe Sorge vieler einfacher Leute um ihre eigene Schreibfähigkeit.

Zusammenfassend läßt sich also festhalten, daß die Bevölkerung des Römischen Reiches in großer Mehrheit nicht oder nur unzureichend lesen und schreiben konnte, die Elite und auch eine ganze Reihe Handwerker und Händler aber selbstverständlich über Schriftlichkeit verfügen, vor allem in den Städten deutlich mehr Menschen auch aus der Unterschicht literarisiert waren, staatliches und wirtschaftliches Leben ohne Schriftlichkeit nicht mehr denkbar waren und daß auch die illiterate Mehrheit der Bevölkerung sich in der Regel der Schriftlichkeit ihrer Umwelt bewußt war, von ihr beeinflußt wurde und sie häufig für ihre Zwecke zu nutzen suchte, indem sie sich notfalls vorlesen ließ und wichtige Schriftstücke in Auftrag gab.“

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Albrecht  28.07.2013, 01:07

2) Schreiber

Schreiber (lateinisch: scribae; Singular: scriba) waren professionelle Schreibkundige mit hoher Qualifikation.

Schreiber gab es in der städtischen und staatlichen Verwaltung (anfangs häufig als private Hilfskräfte der Beamten/Amtsträger/Amtsinhaber/Magistrate) und im Privatbereich.

Sie fertigten Abschriften an, schrieben Aufzeichnungen, lasen Aktenstücke vor, übernahmen Aufgaben in Buchführung, Ablage und Geschäftsverkehr. Bei den Schreibern im öffentlichen Bereich gab es Abstufungen im Rang. Die Staatsschreiber, Hilfspersonal (apparitores) römischer Magistrate, waren überwiegend Freigeborene.

Gnaeus Flavius war nach der Überlieferung ein Schreiber, dem zuerst eine senatorische Laufbahn gelang (vgl. Livius 9, 46; Gellius 7, 9; Plinius, Naturalis historia 33, 6). 304 v. Chr. wurde er zum kurulischen Aedilen (aedilis curulis) gewählt. Damit seine Wahl in das hohe Amt anerkannt wurde, mußte er den Beruf des Schreibers ablegen.

Es gab Schreiber der Bezirke (tribus), von Vereinen/Kollegien (collegiae), in der Flotte und im Heer (dort nur als Abschreiber [librarii] belegt.

Marcus Tullius Ciceros hatte einen Slaven Marcus Tullius Tiro, den er später freiließ. Dieser diente ihm als Sekretär. Unter anderem hat er ein stenograpisches System (Kurzschrift) erfunden.

Gaius Iulius Caesar hatte in Gallien Gnaeus Pompeius Trogus aus dem Stamm der Vocontier als eine Art Kanzleichef (Iustinus 43, 5, 11 – 12).

Gaius Iulius Caesar und Origines beschäftigten mehrere Stenographen (ταχυγράφοι [tachygraphoi] bzw. notarii) gleichzeitig. Dazu kamen βιβλιογράφοι [bibliographoi], die daraus Reinschriften anzufertigen hatten.

Bei den Vorlesern und Schreibern im Privatbereich handelte es sich meistens um Sklaven und Freigelassene).

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Albrecht  28.07.2013, 01:10

Informationen enthalten z. B.:

Vera Binder, Schreiber III. Griechenland und Rom. In: Der neue Pauly (DNP) : Enzyklopädie der Antike ; Altertum. Herausgegeben von Hubert Cancik und Helmuth Schneider. Band 11: Sam – Tal. Stuttgart ; Weimar : Metzler, 2001, Spalte 223 – 226

Wilhelm Kierdorf, Scriba. In: Der neue Pauly (DNP) : Enzyklopädie der Antike ; Altertum. Herausgegeben von Hubert Cancik und Helmuth Schneider. Band 11: Sam -Tal. Stuttgart ; Weimar : Metzler, 2001, Spalte 299 – 391

Wolfgang Rösler: Schriftlichkeit - Mündlichkeit. In: Der neue Pauly (DNP) : Enzyklopädie der Antike ; Altertum. Herausgegeben von Hubert Cancik und Helmuth Schneider. Band 11: Sam -Tal. Stuttgart ; Weimar : Metzler, 2001, Spalte 244 - 246

Konrad Vössing, Bibliothek II. Bibliothekswesen C. Griechenland, Rom, christliche Bibliotheken. In: Der neue Pauly (DNP) : Enzyklopädie der Antike ; Altertum. Herausgegeben von Hubert Cancik und Helmuth Schneider. Band 2: Ark – Ci. Stuttgart ; Weimar : Metzler, 1997, Spalte 643 – 645

Johannes Christes, Schule C. Rom. In: Der neue Pauly (DNP) : Enzyklopädie der Antike ; Altertum. Herausgegeben von Hubert Cancik und Helmuth Schneider. Band 11: Sam -Tal. Stuttgart ; Weimar : Metzler, 2001, Spalte 263 - 268

Diana Bormann, Familie und Kindheit : Rom - Republik und Kaiserzeit. In: Handbuch der Erziehung und Bildung in der Antike. Johannes Christes, Richard Klein, Christoph Lüth (Hrsg.), Darmstadt : Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2006, S. 36 - 46

Christiane Kunst, Familie und Kindheit : Spätantike. In: Handbuch der Erziehung und Bildung in der Antike. Johannes Christes, Richard Klein, Christoph Lüth (Hrsg.), Darmstadt : Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2006, S. 47 – 57

Diana Bormann, Jugend : Rom - Republik und Kaiserzeit. In: Handbuch der Erziehung und Bildung in der Antike. Johannes Christes, Richard Klein, Christoph Lüth (Hrsg.), Darmstadt : Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2006, S. 72 - 78

Christiane Kunst, Jugend in der Spätantike. In: Handbuch der Erziehung und Bildung in der Antike. Johannes Christes, Richard Klein, Christoph Lüth (Hrsg.), Darmstadt : Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2006, S. 79 - 88

Diana Bormann, Schule: Elementar- und Grammatikunterricht ; Rom - Republik und Kaiserzeit. . In: Handbuch der Erziehung und Bildung in der Antike. Johannes Christes, Richard Klein, Christoph Lüth (Hrsg.), Darmstadt : Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2006, S. 101 - 110

Christa Krumeich, Schule : Elementar- und Grammatikunterricht : Spätantike. In: Handbuch der Erziehung und Bildung in der Antike. Johannes Christes, Richard Klein, Christoph Lüth (Hrsg.), Darmstadt : Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2006, S. 111 – 124

Konrad Vössing, Studium : Rom - Republik und Kaiserzeit. In: Handbuch der Erziehung und Bildung in der Antike. Johannes Christes, Richard Klein, Christoph Lüth (Hrsg.), Darmstadt : Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2006, S. 136 – 145

Richard Klein, Studium : Spätantike. In: Handbuch der Erziehung und Bildung in der Antike. Johannes Christes, Richard Klein, Christoph Lüth (Hrsg.), Darmstadt : Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2006, S. 146 – 156

Boris Dreyer, Ausbildung und ‚Beruf‘. In: Handbuch der Erziehung und Bildung in der Antike. Johannes Christes, Richard Klein, Christoph Lüth (Hrsg.), Darmstadt : Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2006, S. 157 – 182

Leonhard Schumacher, Sklaverei in der Antike : Alltag und Schicksal der Unfreien. München : Beck, 2001 (Beck's archäologische Bibliothek), S. 191 – 193 und S. 211 - 214

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