Wie kann ein Psychologe einem Incel helfen?

8 Antworten

Natürlich, und ein Psychologe, der nie vergewaltigt wurde, kann entsprechend auch keinem Vergewaltigungsopfer helfen, nicht wahr? Denn genau das besagt Deine Logik, ist aber in diversen Fällen widerlegt.

Die psychischen Probleme zu erkennen ist sein Job. Sie zu bearbeiten ist sein Job genau wie auch der des Patienten.

Das Problem ist hier weniger die mangelhafte Fähigkeit zur Empathie seitens des Therapeuten, die Du hier unterstellst, als viel mehr die Tatsache, dass Incels nicht bereit sind, ihre Probleme zu bearbeiten und ohne diesen Punkt kann keine Therapie der Welt funktionieren.


Du musst als Psychologe nicht selbst die Dinge durchleben, um ein adäquates Problemverständnis aufzubauen und um damit effektiv helfen zu können.

Der Gang zum Therapeuten ergibt nur Sinn, wenn es ein psychologisches Problem ist oder wenn psychologische Faktoren eine Rolle spielen, oder wenn psychische Folgeprobleme entstehen oder vorhanden sind, wie z.B. eine Depression oder soziale Angststörung. Und ich glaube schon, dass der psychologische Aspekt eine Rolle spielt, dass das also ein Problem ist, das evtl. einer psychischen Störung gleicht, und das möchte ich kurz erläutern.

Es mag sein, dass Du denkst, dass das nicht so ist oder dass man als Incel so eine Äußerung als beleidigend empfindet. Aber man stelle sich mal vor, es wäre so: das würde andere Möglichkeiten eröffnen, was man tun kann, um das Problem zu lösen (nämlich Psychotherapie).

Wenn es ein psychologisches Problem ist, dann muss es möglich sein, ein Störungsmodell zu erstellen, also zu erklären, wie die Störung psychologisch funktioniert.Und ich probiere jetzt mal so ein Modell aufzustellen.

Ich denke, dass "Incel sein" viel mit dem gemeinsam hat, was der Psychologe Rainer Sachse "erfolglosen Narzissmus" nennt. (Siehe https://www.ipp-bochum.de/n-kop/motivanalyse-narzisten.pdf ).

Erstmal eine Erklärung, was Narzissmus ist: Nach Sachse ist Narzissmus eine Störung, bei der sehr negative Glaubenssätze über sich selbst und Beziehungen vorliegen, die dann narzisstisch kompensiert werden müssen (es ist unangenehm, die ganze Zeit in einem Zustand zu sein, in dem man nichts von sich hält oder glaubt, dass Beziehungen zu Anderen grundsätzlich frustrierend sind. Daher ist man motiviert, solche Glaubenssätze zu kompensieren).

Dass Incels negative Glaubenssätze über sich selbst haben, ist wohl nicht von der Hand zu weisen: Sie halten sich für unattraktiv, sie denken, dass sie dem anderen Geschlecht nichts bieten können, vielleicht halten sie sogar sich für nicht liebenswert oder wertlos. Der Selbstwert ist oftmals nicht besonders hoch. Das heißt, es gibt da Annahmen, die man potenziell kompensieren muss.

Wie kompensieren Incels diese Annahmen?

Was offensichtlich ist, ist die niedrige Anstrengungsbereitschaft und das hohe Maß an Exkulpierungen. Eine Exkulpierung ist eine Entschuldigung, eine Erklärung dazu, warum man nichts leisten kann oder warum man keinen Erfolg hat. Wesentlich bei einer Exkulpierungsstrategie ist, dass der mangelnde Erfolg mit Faktoren erklärt wird, die nicht in der Hand des Incels liegen, denn nur so funktioniert die Exkulpierung als Selbstwertschutz. Wenn die Problemlösung in der eigenen Hand liegen würde, dann heißt das ja, dass man scheitern kann und dass es an einem selbst liegt, warum man keinen Erfolg hat. Und ich glaube, dass es beim Incel-Dasein stark darum geht, Einsichten dieser Art zu vermeiden, weil das unerträglich wäre, da der Selbstwert eh niedrig ist. Deswegen sind Exkulpierungsstrategien extrem wichtig, und das kann in einem hohen Maß an Incels beobachten. Das Problem wird so definiert, dass es nicht an ihnen liegt, sprich: Es liegt nicht etwa an den mangelnden sozialen Kompetenzen, an den ungünstigen Strategien, wie man um Frauen wirbt, oder daran, dass man mögliche Spielräume in Bezug auf die eigene Attraktivität nicht nutzt (sich also um sein Äußeres nicht kümmert), nein, es liegt an Frauen und ihren Vorlieben und daran wie die Welt so ist oder an ihrer Genetik. D.h. das Problem wird stets mit stabilen, unveränderlichen Faktoren erklärt, für die der Incel nichts kann. Und genau das ist der Point, darum geht es offenbar: Es müssen unbedingt Faktoren sein, für die der Incel nichts kann. Das scheint in den Erklärungen essenziell zu sein.

Damit verstehe ich Incel-Sein als eine defensive Art, den eigenen Selbstwert zu schützen. Das Problem ist, dass man so das Problem nie löst - es ist nur eine kurzfristige Lösung, die den Selbstwert stabilisiert, aber das zugrundeliegende Problem nie löst. Man wird so nie Erfolge bei Frauen haben.

Wenn man das Problem external definiert, ist die Lösung auch external: Sprich: Nicht die Incels müssen sich verändern, sondern Andere müssen sich verändern. Z.B. müssen Frauen irgendwie aufgeklärt werden. Teilweise lässt sich eine Art Anspruchsdenken beobachten: Sex wird als eine Art Grundrecht definiert, d.h. Incels definieren die Dinge für sich so, dass Ihnen Sex im Prinzip zusteht. Daraus ergeben sich dann auch bei manchen Incels die starken Wut-Affekte, denn wenn ihnen das eigentlich zusteht, wie kann das sein, dass Frauen ihnen das nicht geben? Das ist ja zutiefst unfair (so die Logik, die für Außenstehende merkwürdig wirkt).

Das ist auch eine Art, wie man negative Selbst- und Beziehungsannahmen kompensiert: Indem man Regeln an Mitmenschen stellt: Ihr habt euch so und so zu verhalten, und zwar so, dass ihr eben nicht so seid, wie ich das glaube, sondern dass ihr auf meine Bedürfnisse eingeht. Sprich: Die Frauen sollen sich ändern, und sich um die Bedürfnisse der Incels kümmern, oder der Staat (es soll Sexgutscheine geben) usw.

Was daran eigentlich Quatsch ist, ist dass das impliziert, dass Frauen oder die Welt den Incels irgendetwas schulden würden. Das ist nicht so. Deswegen ist die Wut auch so unangemessen, und deswegen reagieren Mitmenschen auch irritiert bis abwertend auf die Incels.

Das negative an Kompensationen wie Exkulpierungsstrategien oder Regeln an die Mitmenschen ist, dass sie das Problem verschärfen können. Durch die Regeln oder das Anspruchsdenken, was Incels haben, durch die Idee, dass ihnen die Erfüllung ihrer Bedürfnisse automatisch zusteht und irgendwie staatlich geregelt werden sollte, wirken sie extrem unattraktiv. Auch dadurch, dass man das Problem external definiert, was zu Jammern führt, wie schlimm die Welt doch sei, und wie schlecht es einem doch geht.

D.h. meine These ist:
Incels haben negative Glaubenssätze, einen niedrigen Selbstwert, den sie kompensieren. Die Kompensation ist ungünstig, und trägt zum Problem bei, sie verschärft das Problem, sodass die Incels festsitzen (und dringend Hilfe bräuchten). Die Strategie ist so, dass exkulpieren, das Problem also external erklären und dass sie Anspruchsdenken entwickeln, manchmal mit damit einhergehender Wut.

D.h. ein Psychotherapeut kann einem Incel helfen, indem er a) mit dem Incel die negativen Selbstannahmen herausarbeitet, b) deutlich macht, wie der Incel die negativen Selbstannahmen kompensiert (durch Exkulpierungsstrategien: Es liegt nicht an mir, sondern an der Welt, durch Regeln an die Mitmenschen, wie diese sich zu verhalten haben). Der Incel muss lernen, von dem Anspruchsdenken Abstand zu nehmen. Er muss anfangen, eigene Anteile am Problem zu sehen und daran zu arbeiten. Das geht aber nur, wenn er Unterstützung dabei bekommt, wie es ihm gelingt, sich selbst nicht ganz so negativ zu sehen, denn das ist der Kern des Problems: Das negative Selbstbild muss kompensiert werden. Wenn das Selbstbild nicht ganz so negativ wäre, müsste man es auch nicht so stark kompensieren, d.h. dann sind die Exkulpierungen nicht mehr so notwendig.

Ich würde auch empfehlen, dass man sich anschaut, was Incel-Aussteiger so sagen (z.B. hier https://www.vice.com/de/article/5dpyaa/ex-incels-erzaehlen-vom-absprung-aus-der-szene-reddit-frauenfeindlichkeit). Ein gutes Forum scheint www.reddit.com/r/incelexit zu sein.

Auch wenn der Therapeut der größte "Gigachad" aller Zeiten ist, ist er immer noch Therapeut. Himmel, nicht alles dreht sich nur ums Aussehen.

Der kann helfen, weil es noch sowas wie Professionalität gibt. Auch ein Therapeut muss nicht alle Erlebnisse, die er therapiert, erlebt haben.

Das Problem von Incels ist, dass sie sich selbst nur aufs Äußere reduzieren. Incels denken, es wäre möglich nur eine Frau zu bekommen, wenn man mindestens 1,90 ist eine gewisse Jawline hat, Geld, Macht etc. Es stimmt, die Welt ist zum Großteil wirklich oberflächlich und es gibt viele Heuchler da draußen, aber es gibt auch noch Menschen, denen innere Werte wichtig sind. Und man sollte sich nicht so sehr darauf versteifen, eine Frau zu bekommen. Erstmal am Selbstbewusstsein arbeiten, dann kommt der Rest von alleine. Und, wenn man ehrlich zu sich selbst ist, dann weiß man, dass eine Beziehung zu einer oberflächlichen Person nicht lange Bestand hat, außer man bringt all diese Dinge mit wie Reichtum, gutes Aussehen und Macht. Aber ich persönlich würde es nicht wollen, dass man mich auf so etwas reduziert. Und, falls es einem nur um Sex geht, kann man auch ins Freudenhaus gehen.