Wenn das Klavier für alle Saiten Agraffen verwendet ist ?

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Alles hat Vor- und Nachteile! Vorteile von Agraffen sind, dass die Saiten exakt geführt werden. Nachteile sind, dass die Agraffen aus Messing sind, welches ein relativ weiches Material ist. Die Saiten können sich daher in die Agraffen einschneiden, was Probleme mit der Stimmbarkeit verursacht. Es gibt allerdings auch Agraffen mit Stahlkern, die diesen Nachteil ausgleichen sollen. Ein weiterer Nachteil der Agraffen ist, dass sie wenig Masse haben. Masse bewirkt, dass sie "Ruhe" ins System bringt. Vor allem im Diskant, wo die Hämmer die Saiten nahe der vorderen Saitenbegrenzung anschlagen, Agraffen relativ viel Energie der Saite vernichten, da sie massearm sind. Ein schwerer Kapodaster, wie ihn Bösendorfer verwendet, oder der Gussrahmen - der Teil der die Saitenbegrenzung verursacht heisst Silie - vernichtet weniger Anschlagsenergie. Ein Vorteil von Kapodaster oder Silie kann auch sein, dass man die Saitenchöre exakt auf die Hämmer ausrichten kann, falls die Teilung der Hämmer nicht optimal ist, bei Agraffen kann man das nicht. Allerdings heisst das, einen Fehler (in der Teilung der Hämmer) durch einen Fehler (das nicht ganz gerade Ausrichten des Saitenchores auf dem Kapodaster oder der Silie) auszugleichen. (In der Praxis kommt es allerdings oft vor, dass man einen Fehler durch einen anderen Fehler ausgleichen muss. (In der Fachsprache heisst das auch: Vermitteln)

Vor allem ältere Bechsteine sind oft sehr schwer zu stimmen, da sich die Saiten schon stark in die Agraffen eingerieben haben, und dadurch gerne dort "hängenbleiben", was einen Klavierstimmer zur Verzweiflung bringen kann. Das hängt aber nicht nur mit den Agraffen zusammen, sondern auch mit Rost an den Saiten und der konvexen Filzauflage, über die die Saite gleiten muss.

Neue Bechsteine haben sich von der alten Konstruktion (ohne klingender Vorder- und Hinterlänge - Duplex Skala - mit Agraffen bis zum höchsten Ton) - leider - verabschiedet, deshalb gibt es den typischen Bechstein-Klang - hell, klar, aber nie aggressiv - leider bei neuen Instrumenten nicht mehr.

Heute gibt es leider nur mehr zwei grundlegend verschiedene Konstruktionsprinzipien, das von Steinway, das viele andere kopieren (vor allem Yamaha und Kawai, aber auch Fazioli) und Bösendorfer. Steingräber versucht noch eigene Wege, Förster auch. Die meisten anderen noch existierenden Klavierfabriken in Europa kämpfen ums Überleben und haben wenig Ressourcen für Experimente, chinesische versuchen Steinway zu kopieren.

Woher ich das weiß:Berufserfahrung

koooo 
Beitragsersteller
 14.12.2018, 04:31

Vielen Dank ich bin begeistert, dass Sie total hilfreiche Antwort mir gegeben haben!

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