Was bedeuten die folgenden Aussagen im Zusammenhang mit dem Weimarer Republik-Präsidialsystem?

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Kampf in verkehrter Frontstellung

Paul von Hindenburg hat die politischen Verhältnisse bei der Reichspräsidentenwahl 1932 als Kampf in verkehrter Frontstellung empfunden.

Sie wichen stark vom 2. Wahlgang bei der Reichspräsidentenwahl 1925 ab. Gegnerschaft und Unterstützung für ihn waren in einem großen Ausmaß umgekehrt.

1925 wurde Hindenburg zum zweiten Wahlgang der Reichspräsidentenwahl von einem „Reichsblock“, zu dem die Deutschnationale Volkspartei (DNVP), die Deutsche Volkspartei (DVP), die Bayerische Volkspartei (BVP), die Wirtschaftspartei und die Deutsch-Hannoversche Partei (DHP) gehörten, als Kandidat getragen. Er war von rechtsstehenden Parteien ausgesucht wurden, wobei dann die Grundlage auch in die Mitte hinein verbreitert wurde. Der wichtigste andere Kandidat in diesem Wahlgang war Wilhelm Marx (Zentrumspartei), der von den Parteien der Weimarer Koalition (SPD, Zentrumspartei, DDP) unterstützt wurde.

1932 gab es unter den Parteien seitens der rechten Parteien nur bei eigen kleineren und eher gemäßigt rechtsstehenden Parteien Unterstützung für Hindenburg, dafür von Parteien der Mitte und der SPD (gemäßigt links/Mitte-links; trat vor allem für Hindenburg ein, weil sie ihn für ihn für das kleinere Übel im Vergleich mit Hitler hielt). Für die Deutschnationalen trat im 1. Wahlgang Theodor Duesterberg an, ein Vorsitzender des Wehrverbandes „Stahlhelm, Bund der Frontsoldaten“. Im 2. Wahlgang kandierte dieser nicht mehr, aber DNVP und Stahlhelm gaben auch für den 2. Wahlgang keine Empfehlung für Hindenburg ab, sondern ließen die Sache offen bzw. sprachen sich für Wahlenthaltung aus.

Hindenburg war verstimmt, bei der Reichspräsidentenwahl 1932 seine Wiederwahl zu einem großem Ausmaß Sozialdemokraten und Anhängern der Zentrumpartei (politischer Katholizismus) zu verdanken, während viele Konservative ihm die Stimme verweigert hatten. Nach Hindenburgs Empfinden war dies ein Kampf in verkehrter Frontstellung, den er dem Reichskanzler Heinrich Brüning (Zentrumpartei) anlastete.

Die Frontstellung, die Hindenburg als richtig empfunden hätte, wäre eine gewesen, bei der ihn Gruppen und Wähler(innen), die er als „nationale Kräfte“ einstufte, mit großer Einmütigkeit unterstützten und wählten. Dazu hätten die Deutschnationalen gehört. Die Sozialdemokraten wurden von ihm dagegen eher als Gegner beurteilt, in einer antimarxistischen/ antisozialistischen Ausrichtung war ein Ziel seiner Politik bei der Regierungsbildung seit 1930 eine Ausschaltung eines sozialdemokratischen Einflusses auf die Regierungspolitik gewesen.

autoritäre Wende

»autoritär« bedeutet: auf Autorität beruhend, auf Autorität pochend, einseitig Autorität ausnutzend»

Wende« bedeutet: Richtungswechsel, Umkehr, einschneidende Veränderung gegenüber dem bisherigen Verlauf

Das Präsidialsystem 1930 - 1933 war eine Umformung des Regierungssystems. Sie wurde einerseits dadurch ermöglicht, daß im Reichstag die Parteien keine für etwas längere Zeit handlungsfähige Mehrheit zustande brachten und eine Regierungsbildung mit einer Mehrheit im Parlament kaum noch möglich war. Andererseits wurde sie von konservativ-autoritären Kräften (darunter Hindenburg) absichtlich betrieben. Die Macht verlagerte sich vom Parlament und den Parteien hin zum Reichspräsidenten und der Exekutive (darunter Verwaltungsbürokratie). Bestimmte außerparlamentarische Gruppierungen (darunter Großindustrielle und Großagarier) bekamen großen Einfluß. Sie waren Gegner einer parlamentarischen Demokratie und strebten eine Niederwerfung der Arbeiterbewegung an.

Eine Kombination von Befugnissen, die die Verfassung dem Reichspräsidenten gab, verschaffte ihm in der damaligen Lage eine starke Machtstellung:

  • Ernennung und Entlassung Reichskanzler (Artikel 53)
  • Auflösung des Reichstag (Artikel 25)
  • Erlassen von Notverordnungen für den Fall eines Notstandes (erhebliche Störung und Gefährdung der öffentlichen Ordnung), über dessen Vorliegen er Deutungsspielraum hatte (Artikel 48)


Eine Vorgabe des Reichspräsidenten in der Zeit 1930 – 1933 war mehrfach eine politische Verlagerung der Reichsregierung nach rechts.


Albrecht  25.09.2015, 03:57

Eberhard Kolb/Dirk Schumann, Die Weimarer Republik. 8., überarbeitete und erweiterte Auflage. Oldenbourg : München, 2013 (Oldenbourg Grundriss der Geschichte ; Band 16), S. 139:  

„Die Konstellation der Präsidentenwahl - DNVP und Stahlhelm versagten Hindenburg die Unterstützung, hingegen rief die SPD zur Wahl Hindenburgs auf - empfand der greise Reichspräsident als einen Kampf in verkehrter Frontstellung und legte dies Brüning zur Last. Im 1. Wahlgang am 13.3.1932 verfehlte Hindenburg nur knapp die erforderliche absolute Mehrheit (Hindenburg 49,6%, Hitler 30,1%, Thälmann 13,2%, Duesterberg 6,8%). Im 2. Wahlgang am 10.4.1932, der die Form eines Plebiszits zwischen Hindenburg und Hitler annahm, erreichte Hindenburg zwar 53% der Stimmen und war damit für sieben Jahre wiedergewählt, aber Hitler steigerte sich um über 6% auf 36,8%, während Thälmann gegenüber dem 1. Wahlgang 3% einbüßte […].“

S. 151: „Aber schon in diesen Jahren einer relativen Stabilisierung setzte auch jene Entwicklung ein, die dann seit 1929 in eine rasch voranschreitende Desintegration des politischen Systems überging: die Abkehr großer Teile des Bürgertums und insbesondere der alten Führungseliten vom pluralistischen Sozialstaat Weimarer Prägung und damit vom „Gründungskompromiß“ der Jahre 1918/19, durch den der Staat von Weimar auf einem politischen Zusammengehen von sozialdemokratischer Arbeiterschaft und demokratischem Bürgertum aufgebaut wurde. Zu diesem „Gründungskompromiß“ gehörte auch und vor allem der partnerschaftliche Interessenausgleich von Arbeit und Kapital, der von den Unternehmern seit dem Ruhreisenstreit von 1928 schrittweise aufgekündigt wurde. In dieser Perspektive gewinnen die Vorgänge und Entscheidungen der Jahre 1929/30 ihre signifikante Bedeutung als eigentliche Weichenstellung auf dem Weg in die Katastrophe. Mit dem Übergang zum Präsidialsystem wurde nämlich einen Abwendung von der parlamentarischen Regierungsweise vollzogen und die Position gerade der republiktreuen und staatsbejahenden Kräfte empfindlich geschwächt, noch ehe die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise die sozialen Ängste ins Unermeßliche steigerten und die Loyalität breiter Bevölkerungsschichten gegenüber der bestehenden Staatsordnung immer mehr schwinden ließen, so daß die extrem nationalistische und demokratiefeindliche NSDAP jenen Auftrieb erhielt, der sie zur Massenbewegung machte. Aber trotz aller Erfolge der Massenmobilisierung und an den Wahlurnen war die NSDAP nur deshalb schließlich siegreich, weil die alten Eliten in Großlandwirtschaft und Industrie, Militäraristokratie und Großbürgertum zur autoritären Abkehr von Weimar entschlossen waren und glaubten, die nationalsozialistische Massenbewegung für sich nutzen zu können. Zwar erstrebten sie nicht eine totalitäre Diktatur, wie sie seit dem 30. Januar 1933 Wirklichkeit wurde, aber im Kampf gegen Demokratie, Parlamentarismus und organisierte Arbeiterschaft war die NSDAP für sie ein akzeptabler Bundesgenosse.“

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