Was würdet ihr an Jeremy Benthams Kalkül kritisieren?

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Eine Kritik kann sich a) auf den allgemeinen ethischen Ansatz oder b) auf das utilitaristische Kalkül, das Bentham vorschlägt, beziehen.

a) Jeremy Bentham hat in der Ethik eine Nützlichkeitslehre aufgestellt (Utilitarismus). Beim Utilitarismus wird eine Handlung nach der Nützlichkeit ihrer Folgen bewertet (Konsequentialismus). Das Problem beim Utilitarismus liegt darin, als Kriterium für den Nutzen ein höheres Ziel zu benötigen, das nicht utilitaristisch aufgewiesen werden kann. Der Utilitarismus kann nicht aus sich selbst heraus ein letztes Kriterium des Nutzens begründen. Daher ist eine kritische Einschätzung möglich, Utilitarismus tauge nur als relativierter Teilbestandteil einer Ethik.

Sein utilitaristischer Standpunkt wird von Bentham näher als größtmögliches allgemeines (auf eine große Zahl bezogene) Glück/Wohlergehen bestimmt. Dies ist sympathisch. Allerdings ist für die Begründung etwas Zusätzliches erforderlich, das nicht einfach Nutzen oder Lust ist. Bei so einem Utilitarismus können außerdem individuelle Rechte, wenn Betroffene in der Minderheit sind, auf der Strecke bleiben. Im Regelutilitarismus wird daher auch eine Beurteilung der Handlungsregel, nicht nur der Einzelhandlung verlangt. Diese Überlegung trifft etwas, das einbezogen werden sollte. Allerdings halte ich es im Rahmen eines Utilitarismus für folgerichtiger, auf den Nutzen der einzelnen Handlung zu sehen (nur eben auch mit Berücksichtigung des Umgangs mit Prinzipien). Gerechtigkeitsprobleme in Bezug auf Individuen sind mit einem reinen Utilitarismus schwer auf eine einleuchtende und überzeugende Weise zu lösen. Benthams Ansatz betrachtet die durch eine Handlung ausgelöste Menge an Freude/Lust und Leid/Schmerz/Unlust, aber wie diese auf alle von einer Handlung betroffenen Individuen verteilt werden, ist dabei unerheblich. Auf welche Weise können im Rahmen von Benthams Ansatz solche Frage angemessen berücksichtigt werden? Was den gesellschaftlichen Nutzen in einem Kalkül schlichter Nützlichkeit maximiert, ist nicht unbedingt sittllich und etwas, das intuitiv lobenswert erscheint (Unterdrückung und Verstöße gegen Menchenrechte werden nicht absolut ausgeschlossen).

b) Die Anwendung des utilitaristischen Kalküls (hedonistischen Kalkül; Nützlichkeitskalküls) stößt auf praktische Schwierigkeiten. In der theoretischen Annahme wird die Größe einer Lustbefriedigung aufgrund bestimmter Kriterien/relevanter Faktoren quantitativ berechnet. Dies setzt eine Gleichartigkeit und ein durchgängig verwendbares Maß (mitsamt einer Recheneinheit, wenn völlige Genauigkeit verlangt wird) voraus. Wie weit sind Freude/Lust und Leid/Schmerz/Unlust quantifizierbar? Kann alles restlos gemessen und in einem Vergleich genau gegeneinander abgewogen werden. Wenn ein Glücksempfinden oder Lustempfinden herangezogen wird, kann dies bei Individuen subjektiv durchgeführt werden, wobei zugrundegelegt wird, was sie im Vergleich vorziehen.

Im Verhältnis zwischen verschiedenen Indviduen (interpersonal) kann eine Gemeinsamkeit der Gewichtung fehlen.

Außerdem stehen Ergebnisse zu dem Zeitpunkt der Entscheidung (bzw. der ihr vorausgehenden Abwägung) nicht sicher fest. Dies erlaubt nur eine ungefähre Abschätzung, keine stets mathematisch exakt richtige Berechnung. Das Kalkül ist irrtumsanfällig (dies trifft aber allerdings auch auf andere Entscheidungsverfahren zu).

John Stuart Mill hat in seiner Variante des Utilitarismus eine Urteilsfähigkeit bei der Gewichtung von Freuden einbezogen. Er neigt dazu, geistige Genüsse höher einzuschätzen als körperliche.

„It is better to be a human being dissatisfied than a pig satisfied; better to be Socrates dissatisfied than a fool satisfied.”

„Es ist besser ein unzufriedener Mensch als ein zufriedenes Schwein zu sein; lieber ein unzufriedener Sokrates als ein zufriedener Dummkopf sein.“

Dies vermeidet Schwierigkeiten mit subjektiver Bewertung als Grundlage einer Ethik. Allerdings ist eine qualitative Unterscheidung von Freuden/Lüsten innerhalb eines utilitaristischen und hedonistischen Ansatzes zweifelhaft (warum soll mehr Freude/Lust nicht besser sein? Das Gute wird zum Kriterium der Lust bei der ethischen Beurteilung. Wenn es Arten der Lust gibt, die besser sind als andere, kann Lust nicht Kriterium des Guten sein). Bentham vermeidet bei aller Bewertungsschwierigkeit eine Einführung von qualitativen Untescheidngen, die den Ansatz zu sprengen drohen.


PapaverDubium  04.07.2023, 20:52

Wow, vielen Dank für die Antwort :D

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