Was hättet ihr im zweiten Weltkrieg gemacht?

13 Antworten

Vermutlich wäre ich eingezogen worden, möglicherweise auch freiwillig in den Krieg gezogen. Ich bin zwar nicht besonders leichtgläubig, aber auch nicht dauerhaft auf "Krawall und Dagegen" gebürstet. Die Frage, was ich im Nationalsozialismus getan hätte, hat mich meine ganze Jugend begleitet. Mein Onkel war bereits bei der Wehrmacht, als die Nazis die Macht übernahmen und ist früh an der Ostfront als Oberleutnant gefallen. Mein Großvater war Zentrumspolitiker, katholisch und wurde von den Nationalsozialisten als gewählter Bürgermeister abgesetzt und durch einen NSDAP-Bürgermeister ersetzt. Er war ein überzeugter Hitlergegner bis zu seinem natürlichen Tod. Mein Vater war jüngstes Kind (von 4), flog 1939/40 wegen unzureichender Leistungen aus der Schule und wechselte auf eine andere, noch weiter entfernte Schule mit Internat. Dort waren Lehrer und Erzieher alles stramme Nazis, so dass er sich dann mit 16 Jahren 1942 zusammen mit praktisch allen Jungs seiner Klasse freiwillig zur Waffen-SS meldete. Er bekam als Dank ein gutes Abitur (glaube in der 11. Klasse) geschenkt als Notabitur. Er war vorher schon gegen den Willen seines Vaters in der HJ aktiv. Sein Vater hatte ihn enterbt, nach dem Eintritt in die Waffen-SS.

Die Grundausbildung als Gebirgsjäger fand in den italienischen Alpen statt, viel Skifahren und Klettern und mechte ihm sehr viel Vergnügen. Nach 6 Monaten Ausbildung als Offizieranwärter (dazu hatte er sich während der Grundausbildung gemeldet) ging es an die Ostfront. Nach seiner Erzählung brauchte er 3 Tage, bis ihm klar wurde, dass er Rattenfängern auf den Leim gegangen war. An der Front war Schluss mit lustig und die Verbrechen, bei denen er Zeuge war, widersprachen seinen christlichen und weltlichen Vorstellungen zutiefst. Für ihn ging es nur noch darum zu überleben und möglichst wenig "eigene Schuld" auf sich zu laden.

Er kam dann schwer verwundet zurück nach Deutschland und hatte zunächst überlebt. Nach dem Lazerett bekam er Genesungsurlaub zu Hause und konnte sich nach dem Tod des älteren Bruders auch mit dem Vater aussöhnen. Aber er musste 1944 wieder an die Front, diesmal gegen die Partisanen im späteren Jugoslawien. Da war er schon sehr kritisch gegen die Lügen der Nazis eingestellt, konnte sich aber trotz Steckschuss im Ellenbogen dank guter Genesung nicht verweigern. Der Krieg dort war asymetrisch und mit viel Leid für die Zivilbevölkerung verbunden. Er war einmal für eine Erschießung eingeteilt, wollte wie immer absichtlich vorbeischießen. Nur diesmal schossen alle 10 Soldaten absichtlich vorbei, was ihm eine Haftstrafe einbrachte. Mit einem anderen Kommandeur hätten auch alle 10 vom Erschießungskommando selbst hingerichtet werden können.

Nach seinem Studium und Übernahme der Praxis seines Vaters holte er Anfang der 60er Jahre einen Kroatischen Kollegen in seine Praxis als Assistent, der bei uns im Haus "mit Familienanschluss" lebte. Der Kroate war selbst Partisan gewesen, die beiden hätten sich also im Kampf begegenen können. Die Auseinandersetzungen darüber, wie mein Vater zur Waffen-SS kam, wie er mit den erlebten Verbrechen umging und im Gegenzug, wie ein junger Kroate unter Lebensgefahr in den Widerstand ging etc. bestimmte viele Jahre die abendlichen Gespräche mit beiden. Ich war unersättlich in den Fragestellungen und eben immer mit der Auseinandersetzung, was hätte ich getan damals.

Später untersuchte ich in meiner Gymnasialzeit die Geschichte der Juden an meinem Heimatort. Ich hatte die Möglichkeit mit vielen Zeitzeugen zu sprechen. Mein Großvater hatte mit geholfen, dass alle jüdischen Bewohner frühzeitig Deutschland Richtung Schweiz und Amerika verlassen konnten. Für die ärmeren Familien sammelte er Geld für die Schiffspassagen. Aber ich sprach auch mit den Menschen, die Häuser und Stallungen der jüdischen Viehhändler gekauft hatten. Das war nicht nur Menschenfreundlichkeit sondern gnadelnoses Ausnutzen der Notlage der Juden dabei. Später konnte ich in Israel und den USA auch Familien treffen, denen damals "fortgeholfen" wurde. Auch das war eine Mischung aus Dankbarkeit und dem Gefühl, dass sie damals betrogen wurden. Mein Großvater war stolz darauf, dass aus meinem Heimatort niemand in den Gaskammern der Nazis geendet hatte.

Ja die Frage ist nicht leicht zu beantworten. Für mich persönlich ist aus dieser Auseinandersetzung eine durchaus "amtskritische" Grundhaltung entstanden. Ich versuche immer, mir in grundlegenden Fragen eine fundierte eigene Meinung zu bilden. Dafür bin ich aber auf Informationen angewiesen und ich versuche immer auch die Informationen "der Anderen" zu lesen und auszuwerten. Ich übe Kritik auch an der eigenen Seite, renne keinen Mehrheitsmeinungen hinterher sondern will die Dinge verstehen. Das ist manchmal sehr anstrengend und war z.B. in Coronazeiten schlichtweg nicht mehr erlaubt.

Ich bin jetzt wissenschaftlich tätig, habe in Coronakonferenzen mehrfach kritische Nachfragen gestellt und wurde dann auch aus solchen Konferenzen rausgeworfen deswegen. Ich war kein Impfgegener, aber ich wollte eine intensive Überwachung der Impffolgen erreichen. Deshalb habe ich vorgeschlagen, alle Todesfälle binnen 14 Tagen nach eine Impfung als Verdachtsfall genau zu untersuchen. Die Norweger und Finnen haben das gemacht und ihnen verdanken wir es, dass die Sinusvenenthrombosen aufgefallen sind. Ich war weder dagegen noch fürchtete ich mich besonders vor der Impfung. Aber ich stellte Fragen und wollte Antworten, die es einfach nicht gab. Und völlig ungewöhnlich im wissenschaftlichen Diskurs war schon das Fragen plötzlich unerwünscht, wurde geächtet und lächerlich gemacht. Ich habe nie aufgehört zu fragen - daher bin ich auch zuversichtlich, dass ich mich im III. Reich evtl. nicht verweigert, aber auch nicht schuldig gemacht hätte. Ich wäre vermutlich nicht im Widerstand gelandet, aber hätte eine sehr kritische Haltung zum System bewahrt, auch wenn ich meine Aufgabe wohl erfüllt hätte.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – bin keine 20 mehr

CyclonSword  13.08.2024, 20:18

Chapeau! Beeindruckend geschrieben.

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Aus heutiger Sicht und in Kenntnis der Fakten wäre es leicht (aber auch unehrlich) zu sagen "da hätte ich nicht mitgemacht".

Mein Großvater mütterlicherseits war Kriegsfreiwilliger, weil er gebürtig aus einer Gegend stammte, die nach dem 1. WK zum polnischen Staatsgebiet gehörte und er aus diesem Grund nicht in seine Heimat zurückkehren konnte. Vor diesem Hintergrund ist die Annahme, dass er dem Versprechen der Nazis - die verlorenen Gebiete "heim ins Reich" zu holen, sicher sehr aufgeschlossen gegenüberstand. Ob er ein vollends überzeugter Nazi war, weiß ich nicht, aber es würde mich vor dem Hintergrund des oben geschriebenen nicht sonderlich überraschen.

Zwei ehemalige Nachbarn von mir (beide inzwischen leider verstorben) waren ebenfalls Soldaten im 2. WK. Einer gehörte zu einer Stabskompanie an der Ostfront und hat immer gesagt das er nicht über das, was er gesehen und erlebt hat, reden möchte. Er hat lediglich gesagt das sie immer dort eingesetzt wurden, wo "die Heide brannte". Aus diesem einen Satz lässt sich bereits viel ableiten.

Der andere Nachbar dagegen hat oft und viel über seine Kindheit, Jugend und seine Zeit bei der Wehrmacht gesprochen. Allerdings nicht etwa weil er etwas verherrlichen wollte, sondern ich glaube für ihn war es - auch noch in hohem Alter - ein Stück weit Aufarbeitung. Er hat keine Absolution erwartet, wollte aber das seine Motive verstanden werden. Er ist im Nationalsozialismus aufgewachsen, wurde vom System völlig indoktriniert und weil es damals keine - zumindest keine legalen - Alternativen gab, ist es nicht verwunderlich das er zunächst auch mit einer gewissen Begeisterung Soldat geworden ist. An der Front wurde ihm allerdings recht schnell klar welches Unrecht vor sich ging und das er falschen Heiligen gefolgt war. Nach dem Krieg hat er zum Glauben gefunden und Zeit seines Lebens durch großzügige Spenden versucht - gerade und vor allem an der jüdischen Bevölkerung - etwas wieder gut zu machen. Seine Lebensgeschichte hat er aufgeschrieben und ich durfte das Manuskript einmal lesen. Eine Passage hat mich besonders bedrückt. Er schrieb davon wie er und seine Kameraden sich in den letzten Kriegstagen durch ein Waldgebiet in Richtung Westen bewegten, als hinter ihnen plötzlich das laute Hurrräääää russischer Soldaten ertönte. Sie konnten nichts sehen und in seiner panischen Angst hat er mit seinem leichten MG blind in den Wald geschossen. Die Frage, ob er dabei jemanden getroffen oder gar getötet hat, hat ihn danach niemals wieder losgelassen.

Durch ihn habe ich noch einen weiteren ehemaligen Soldaten kennengelernt, der seine Lebensgeschichte ebenfalls zu Papier gebracht hat. Seinen Namen werde ich hier nicht nennen, wohl aber den Titel seines Buches. "Und morgen gibt es wieder Brot" Ein fantastisches Buch, bei dessen Lektüre man den Eindruck hat den Autor als unsichtbarer Dritter auf seinen Wegen zu begleiten.

Aber zurück zur eigentlichen Fragestellung: Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit wäre auch ich - da, wie oben bereits geschrieben - vom System indoktriniert und ohne wirkliche Alternativen - Soldat geworden. Allerdings bin ich froh und glücklich darüber hier nur eine theoretische Frage zu beantworten und nicht real den Weg gehen zu müssen, den die Generation unserer Großeltern gegangen ist. WIR tragen Gott sei Dank keine Schuld, aber wir tragen die VERANTWORTUNG dafür, das so etwas niemals wieder passiert...

Wahrscheinlich am ehesten geflohen, wie es ein Teil meiner Familie schon 1933 gemacht hatte.

In der NS-Zeit hätte ich zu 37,5 % als Jüdin gegolten, nach jüdischer Tradition nicht. (Komme da auf den gleichen Prozentsatz wie Gregor Gysi!)

Vermutlich zuerst von dem Gejubel der mehrmals täglichen Tageszeitungen anstecken lassen und unter dem Gejohle der Massen in den Krieg gezogen.

Die Ernüchterung dürfte nicht lange auf sich warten haben lassen.

Aus heutiger Sicht über das Verhalten der früheren Generationen zu urteilen ist nicht sehr redlich, weil die Lebensumstände ganz andere waren.

Ich wäre ganz normal in die HJ gegangen, danach den RAD geleistet und zur Wehrmacht.

Je nachdem wo sie mich hingeschickt hätten, bestenfalls Afrika oder Balkan, hätte ich das ganze dann überlebt oder auch nicht.