Tyrannis in der Antike

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Der heutige negativ geprägte Begriff »Tyrann« hat sich aus einer Verbindung von schlechten Erfahrungen mit einzelnen Alleinherrschern, die als Tyrannen galten/bezeichnet wurden, und Gedanken (vor allem im Bereich der Philosophie und Staatstheorie) über gute/richtige und schlechte/falsche Art von Herrschaft entwickelt.

Bei den geschichtlichen Begriffen »Tyrann« und »Tyrannis« liegt eine Verschränkung normativer und deskriptiver (Erfahrungen beschreibender) Elemente (Bestandteile) vor.

Nach einzelnen ablehnenden, negativ wertenden Äußerungen, die ab etwa 600 v. Chr. belegt sind, hat sich eine pejorative (abwertende, die Bedeutung verschlechternde) Konnotation (Gedankenverknüpfung, die Gefühle ansprechender mit einem Wort verbundener Beiklang) verbreitet und im 4. Jahrhundert v. Chr. durchgesetzt. Mit einem systematisch gezeichneten Bild hat Aristoteles ein ursprünglich diffuses (verschwommenes, unklares, uneinheitliches) Wortfeld normierend auf bestimmte Weise festgelegt. Die negative Bewertung in der allgemein gängigen Verwendung des Begriffs ist bis in die Gegenwart geblieben. Tyrannis wird als verachtungswürdige Gewaltherrschaft verstanden.

Insbesondere die Tyrannen der älteren (archaischen) Tyrannis entsprechen oft nicht sehr stark der schrecklichen Vorstellung, die der negativ geprägte Begriff mit sich bringt. Manche erreichten eine erhebliche Akzeptanz in der Bevölkerung, um deren Wohlergehen es in mancher Hinsicht ziemlich gut stand (wie im Fall von Peisistratos). Einige Tyrannen wurden in Listen von Sieben Weisen genannt (gab verschiedene Auflistungen, in denen unterschiedliche Namen angegeben werden), so Kleoboulos von Lindos, Periandros von Korinth und Pittakos von Mytilene.

Das Wort Tyrann wurde manchmal für mythische Könige (Herrscher) und für Gottheiten verwendet. Auch in der Tragödie des Dichters Sophokles »König Ödipus« (Οἰδίπους Τύραννος; ursprünglich hieß das Drama nur »Ödipus« [Οἰδίπους] wird noch Ödipus als τύραννος bezeichnet, was in dieser Tragödie mit »König« gleichbedeutend ist.

Im archaischen Griechenland ist Tyrannis (τυραννίς) Synonym zu Monarchie (μοναρχία), doch Tyrann (τύραννος) niemals Selbstbezeichnung oder Titel eines Alleinherrschers, sondern Kampfbegriff der Aristokraten gegen einen anderen Aristokraten (z. B. Alkaios gegen Pittakos, den ein Volkslied βασιλεύς [König] nennt), der ein außerordentliche Vorrangstellung erreicht hat.

Der Begriff »Tyrann« ist in dieser Zeit nicht eindeutig negativ oder positiv. Mit ihm sind gedanklich Macht und Reichtum verknüpft (wenn Personen in äußern, die Tyrannis zu verschmähen, kann es trotzdem der Fall sein, daß viele Leute die Stellung des Tyrannen für erstrebenswert hielten).

Eine Einschätzung konnte sein, die Selbstüberhebung des Tyrannen sprenge die Gemeinschaft. Solon hat die Stellung eines Tyrannen als für ihn nicht in Frage kommend dargestellt.

Der Gegensatz Herr/Sklave verband sich, durch die Perserkriege vorangetrieben, mit der Erfahrung des Gegensatzes zwischen drohender Unterwerfung und allgemeiner politischer Freiheit zum Bild des Tyrannen, der die Freiheit der Bürger bedroht. Beim Geschichtschreiber Herodot richtet sich in einer Verfassungsdebatte (3, 80 – 82, etwa um 430 v. Chr. verfaßt) ein Redebeitrag stark gegen die Tyrannis. Eine Tyrannis gewähre weder Gleichheit noch politische Mitwirkung noch werde Rechenschaft abgelegt. Ein Tyrann sei gewalttätig, Schmeichlern zugänglich, ruhmsüchtig, habgierig, überheblich.

Xenophon, Apomnemoneumata (Ἀπομνημονεύματα; Erinnerungen an Sokrates; lateinischer Titel: Memorabilia]) 4, 6, 1 versteht die Tyrannis in Abgrenzung zum Königtum als nicht an den Willen des Volkes und nicht an Gesetz gebunden, der Tyrann handele, wie es ihm beliebt.

Platon bietet in seinem Werk »Politeia« auch solche Überlegungen und fügt einen Gegensatz von Armut –Reichtum und das Vorhandensein oder Fehlen von Einsicht hinzu. Platon hat einen Gedanken geäußert, ein Alleinherrscher könnte sich eventuell der Philosophie zuwenden und seinen Staat zu einem Zustand umwandeln, wie ihn Platon als Staatsideal entworfen hat Der Tyrann ist nach seinem Urteil der ungerechteste Menschen und damit auch der unglückseligste. Weitere Bemerkungen enthalten seine Werke »Politikos« und »Nomoi«. Seine Reisen zu den Tyrannen Dionysios I. und Dionysios II. von Syrakus waren nicht erfolgreich in Bezug auf einen Versuch, dies zu einer Umsetzung philosophischer Ideale zu bringen. Diese Herrscher haben sich im Gegenteil als Tyrannen in negativer Bedeutung der Überlieferung eingeprägt.


Albrecht  22.08.2013, 10:19

Justus Cobet, Tyrannis, Tyrannos. In: Der neue Pauly (DNP) : Enzyklopädie der Antike ; Altertum. Herausgegeben von Hubert Cancik und Helmuth Schneider. Band 12/1: Tam – Vel. Stuttgart ; Weimar, Metzler, 2001, Spalte 948 - 950

Justus Cobet, König, Anführer, Herr; Monarch, Tyrann. In: Soziale Typenbegriffe im alten Griechenland und ihr Fortleben in den Sprachen der Welt. Herausgegeben von Elisabeth Charlotte Welskopf. Band 3: Untersuchungen ausgewählter altgriechischer sozialer Typenbegriffe .Berlin : Akademie-Verlag, 1981, S. 11 - 66

Robert von Friedeburg, Tyrannis. In: Der Neue Pauly (DNP), Band 15/3: Rezeptions- und Wissenschaftsgeschichte Sco-Z. Nachträge. In Verbindung mit Hubert Cancik und Helmuth Schneider herausgegeben von Manfred Landfester. Stuttgart ; Weimar, Metzler, 2003, Spalte 685 - 694

Martin Dreher, Tyrannis I. Antike. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Band 10: St –T. Basel : Schwabe, 1998, Spalte 1607 – 1611

Jürgen Hüllen, Tyrannis II. Mittelalter und Neuzeit. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Band 10: St –T. Basel : Schwabe, 1998, Spalte 1611 – 1618

Hella Mandt, Tyrannis, Despotie. In: Geschichtliche Grundbegriffe : historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Band 6: St – Soz. 1. Auflage. Stuttgart: Klett-Cotta 1990, S. 651 – 706

Mario Scattola, Tyrannislehre. In: Enzyklopädie der Neuzeit. Im Auftrag des Kulturwissenschaftlichen Instituts (Essen) und in Verbindung mit den Fachwissenschaftlern herausgegeben von Friedrich Jaeger. Band 13: Subsistenzwirtschaft - Vasall. Stuttgart ; Weimar : Metzler, 2011, Spalte 853 – 858

Spalte 853: „In der griech. Antike bezeichnete tyrannís zunächst wertneutral ein königlich regiertes Gemeinwesen, týrannos dessen Herrscher, bis sich an dem 6. Jh. v. Chr. v. a. im Zuge der Perserkriege eine negative Bedeutung entwickelte: die gewaltsame, gegen die Gesetze der Polis handelnde Alleinherrschaft.

Bezogen auf dieses sich faktisch ausbreitende Phänomen lieferte Aristoteles im 4. Jh. v. Chr. die fortan maßgebende Definition, indem er systematisch unterschied zwischen guten oder gesunden Herrschaftsformen – Königtum, Aristokratie und Politie, die das Gemeinwohl verfolgen -, und Verfallsformen – Tyrannis (= Tyr.), Oligarchie, und (radikale) Demokratie - , die auf das Wohl der Herrschenden zielen; als dritte Möglichkeit führte er das gerechte Regiment über unfreie Untertanen ein, Polybios verarbeitete diese Lehre im 2. Jh. v. Chr. zu einer Konzeption zyklischen Formenwandels , in der die Tyr. die letzte Stufe einnahm. Cicero fügte im 1. Jh. V. Chr. die Vorstellung hinzu, dass die Tyrannei moralische Entartung voraussetze und verbreite. Als Gewaltherrschaft eines ungerechten Monarchen gewann die Tyr. damit ethisch-moralphilosophische Bedeutung, an welche die christl. Lehre anknüpfte.

So konnte Augustin um 400 die Tyr. als Folge menschlicher Sündhaftigkeit verstehen und Isidor von Sevilla um 600 die Definition des Königs als des guten und des Tyrannen als des schlechten Monarchen entwickeln, der von Gier, Grausamkeit und Unzucht getrieben werde. Dieses Bild wurde von den karolingischen Schriftstellern in die ↗ Fürstenspiegel integriert und später zu einem typischen Element dieser Gattung. Neben dieser Linie bildetet sich ab dem 13. Jh. auch eine praktisch-theologische Überlieferung; diese fand Niederschlag in den Beichtväterspiegeln, die zu den Sünden der ↗ Obrigkeiten auch die selbstsüchtige oder ungerechte Herrschaftsausübung zählten. Eine dritte Tradition brachte die Rechtswissenschaft hervor; die Definition der gewaltsamen Regierungsform nach den Kriterien des ↗ Gemeinen Rechts, die grundlegende Unterscheidung zwischen der illegitimen (lat. tyrannus absque titulo; ex defectio tituli) und dem ungerechten Tyrannen (tyrannus exercitio/ex parte exercitii; »Tyrann in der [Herrschafts-]Praxis«).“

griech. = griechischen
Jh. = Jahrhundert
v. a. = vor allem
christl. = christliche
lat. = lateinisch

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Albrecht  22.08.2013, 10:16

Von Aristoteles (vor allem Politika [Πολιτικά]; Politische Schriften/Politik; lateinisch: Politica] 3, 6 – 4, 10) werden negative Auffassungen aufgegriffen. Die Tyrannis wird als Entartung/Abweichung/Fehlform (παρέκβασις) der Monarchie bezeichnet. Die Herrschaft sei ungesetzlich/willkürlich, der Tyrann bemühe sich nicht um das Allgemeinwohl, sondern verfolge in eigensüchtiger Weise den (vermeintlichen) eigenen Vorteil. Die Tyrannis zerstöre Freundschaft und die Gemeinschaft der Bürger.

Der Geschichtsschreiber Polybios hat im 2. Jahrhundert v. Chr. die Tyrannis ähnlich gekennzeichnet und als Verfallsform beurteilt.

Der Römer Marcus Tullius Cicero hat im 1. Jahrhundert v. Chr. (vor allem in De officiis und De re publica) diese Beurteilung fortgesetzt.

Bei den Römern galt in der Zeit der römischen Republik ein Königtum (das von den Aristokraten an ihrem Beginn ja abgeschafft worden war) als abzulehnen und auch als in der Kaiserzeit die grundsätzliche Abwertung der Monarchie nicht mehr bestand, blieben »Tyrannis« und »Tyrann« (tyrannus) negative Begriffe.

Im Christentum wurde in besonderer Weise die Tyrannis als Ergebnis von Sündhaftigkeit gedeutet (z. B. Augustinus, De civitate Dei 42, 4 – 26).

Tyrannis war eine Kontrastfolie, das Gegenteil des idealen Zustandes eines vollkommenen Lebens der Bürger mit Ausübung der Tugenden in der gemeinsamen Republik (Renaissance). Sie galt als Bedrohung der Gemeinschaft und Zerstörung der sittlichen Ordnung der Seele.

In der Zeit der Reformation wurde eine Verbindung mit falscher Religion oder Ketzerei (Häresie) betont. Als tyrannisch galt jede Obrigkeit, die zu einem falschen Bekenntnis zwinge.

Tyrannis galt als Nichtbeachtung des Gesellschaftsvertrages und seiner Verpflichtungen.

In der politischen Beschreibung wurden zeitweilig die Begriffe »Despotie« und »Despot« stärker verwendet und im 20. Jahrhundert wurden vor allem die Begriff »Diktatur« und »Diktator« üblich.

Die Begriff »Tyrannis« und »Tyrann« haben ihre feste negative Bedeutung behalten.

Schon in der Antike, endgültig im 4. Jahrhundert v. Chr., hat sich ein Topos (Allgemeinplatz, feststehendes durchgängiges Schema, stereotype Redewendung, vorgeprägtes Bild; von τόπος = Ort, Stelle, Platz) der Tyrannis und des Tyrannen herausgebildet. Der Tyrann gilt als Gewaltherrscher, Unterdrücker, von gesetzlichen Bindungen losgelöst, seine Macht mißbrauchend, nicht auf das Allgemeinwohl ausgerichtet, grausam.

ausführliche Informationsmöglichkeiten:

Loretana de Libero, Die archaische Tyrannis. Stuttgart : Steiner, 1996, vor allem S. 37 – 38:
„Die Analyse der archaischen Zeugnisse hat ergeben, daß der Tyrannis-Begriff in seinen verschiedenen Herleitungen ambivalent ist. Als τυραννίς ist zunächst einmal eine unumschränkte Herrschaft definiert, die über die sehr begrenzten Möglichkeiten der den Griechen vertrauten basileia hinausging und daher einer eigenen Terminologie bedurfte. Je nach Standpunkt wird dieser Begriff im positiven oder negativen Sinne angewendet, mitunter kann er sogar beide Konnotationen aufweisen. Als wertneutral, eindeutig negativ oder eindeutig positiv stellt sich der Terminus jedoch nicht dar. Gegner wie Befürworter einer Tyrannis gebrauchen das Wort gleichermaßen. Was die Assoziationen angeht, die mit dem Tyrannen bzw. der Tyrannis verbunden werden, weisen sie über zwei Jahrhunderte dieselben Themenkomplexe auf: Zu den Attributen einer Tyrannis gehören die beneidenswerte Stellung, der sagenhafte Reichtum, glanzvoller Luxus, militärische Leistungen, Göttergunst und Ruhm, aber auch Machtbesessenheit, Besitzgier, Extravaganz des Alleinherrschers und die Mißgunst der Mitmenschen. Eine Veränderung läßt sich nur in einem Punkt feststellen: Ist der Begriff bei Archilochos und Semonides in einem nichtgriechischen Kontext angesiedelt, wird τυραννίς bereits bei Alkaios, Solon, Theognis und Xenophanes verwandt, um drohende oder existierende Machtverhältnisse in der eigenen Polis zu beschreiben. Der Begriff kann aber – wie bei Semonides – auch allgemein eine begehrenswerte Position beschreiben. Eine Überprüfung der in Frage kommenden Weihinschriften von Alleinherrschern archaischer Prägung hat darüber hinaus ergeben, daß sie ihre herausragende Stellung im heimischen Gemeinwesen weder als Amt noch als (Königs-)Würde als auffaßten noch ‚Tyrann‘ als Titel führten. Die Anrede τύραννε findet in den uns erhaltenen archaischen Zeugnissen keine Verwendung. Vielleicht sind diese herausragenden Herren schlicht mit ἄναξ angesprochen worden, möglich scheint auch βασιλεῦ, ein Titel, mit dem in den erhaltenen Zeugnissen der archaischen Zeit mythische Gestalten angeredet werden.“

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Moin,

schon im griechischen System haben sich einige Tyrannen negativ hervorgehoben; die Römer verbanden den Tyrannen dann endgültig mit dem willkürlichen Herrschaftsstil eines Königs, der in der römischen Republik zum Objekt der Verachtung und der Ablehnung wurde.

Steht übrigens auch mit Erklärung anhand der griechischen Stadtstaaen auf Wiki.

de/wikipedia.org/wiki/Tyrann

mfg Nauticus

Tyrannis war im antiken Griechenland absolute Herrschaft des Einen, welcher gestützt auf den Demos oder Söldnertruppen, oft gewaltsam zur Macht gelangte. Von der älteren Tyrannis die die demokratischeren Staatsformen des 5.Jh vorbereitete und die Städte zu kultureller /wirtschaftlicher Blüte führte, wird die jüngere Tyrannis unterschieden.

Tyrann heißt ja ansich auch Herrscher oder Alleinherrscher (Tyrannis). Im übertragenen Sinne Name für einen herrschsüchtigen Menschen.