Sorgen über meine Zukunft?
Ich (22, männlich) bin Türke und bin aus dem Islam ausgetreten. Ich sehe mich selbst als eine Art Deist (jemand, der glaubt, dass es einen Gott gibt, aber dass dieser keinen Einfluss auf die Menschheit hat). Warum ich ausgetreten bin, hat viele Gründe; wenn jemand mehr darüber wissen möchte, kann er gerne nachfragen. Auf jeden Fall merke ich, dass Deutschland viel zu tolerant gegenüber Intoleranz ist. Eine Demonstration für ein Kalifat zu erlauben, zu viele Menschen mit anderen Werten und Normen ins Land zu lassen und die eigene Kultur zu vernachlässigen – das sind nur einige der vielen Gründe.
Ich selbst bin weder rechts noch links und wähle auch nicht die AfD, aber ich habe Angst, dass es irgendwann dazu kommt, dass hier zu viele Muslime sind und das Grundgesetz geändert wird, sodass hier die Scharia das Gesetz wird. Laut der Scharia bedeutet der Austritt aus dem Islam den Tod, also werde ich für meinen Austritt zum Tode verurteilt, und davor habe ich Angst. Ich möchte nicht wegen einer Religion sterben.
2 Antworten
Erste Regel, die ich schon früh gelernt habe: Angst ist ein schlechter Ratgeber.
- Die Kalifats-Demonstration, die für viel Aufsehen gesorgt hat, ist eine Reaktion auf den Konflikt in Israel bzw. Palästina. Dies bedeutet, dass es unter den Muslimen, auch in Deutschland, eine Gruppe von Menschen gibt, die der Meinung ist, dass es derzeit kein Kalifat auf der Welt gibt. Sie glauben, dass, wenn es ein Kalifat gäbe, Massaker wie die in Gaza nicht möglich wären, weil die Muslime dann eine vereinte Macht wären, die sich gegen Angriffe wehren könnte. Es handelt sich um eine politische Bewegung, die durch die Ereignisse der letzten Jahre, auch über Palästina hinaus, daran interessiert ist, ihre Macht in der Region wiederzuerlangen. Die Demonstrierenden haben mehrfach betont, dass es nicht ihr Ziel ist, in Deutschland ein Kalifat auszurufen. Warum sie diese Demonstration in Deutschland abgehalten haben und nicht in einem der muslimischen Länder, ist eine berechtigte Frage. Die Demonstration darf kritisiert werden, aber leider haben die Medien in ihrer Berichterstattung viel Fake News verbreitet.
- Rein statistisch gesehen ist die Wahrscheinlichkeit, dass in den nächsten Jahrzehnten in Deutschland die Scharia eingeführt wird, äußerst unwahrscheinlich. Zum einen ist die Zahl der Muslime dafür noch zu gering, und zum anderen sind sich unter den Muslimen nicht alle einig, welche Bedingungen eine Scharia erfüllen müsste. Außerdem wollen nicht alle Muslime eine Scharia, da einige ihre Religion vom Politischen trennen. Extremisten gibt es, und diese werden ohnehin überwacht, genauso wie Rechts- und Linksextreme. Hinzu kommt, aber auch da bin ich kein Experte, dass es extrem schwierig und aufwändig ist in Deutschland das herrschende Grundgesetz zu ändern. Neue Gesetze einzuführen ist ein sehr langer Prozess, es ist wirklich wirklich unwahrscheinlich, dass hier plötzlich über Nacht eine ganz andere Regierungsform eingeführt wird.
- Dass der Austritt aus dem Islam pauschal mit dem Tod bestraft wird, ist so nicht korrekt. Ich bin kein Gelehrter, aber es gibt viele Expertenmeinungen, die sich mit diesen Angelegenheiten befassen. Wenn dich das interessiert, würde ich dir empfehlen, mit Experten persönlich darüber zu sprechen oder ein Buch darüber zu lesen. Die Scharia tötet nicht einfach willkürlich Menschen. Ob und wie jemand verurteilt wird, entscheidet auch unter der Scharia ein Gericht. Ohne dass das Gericht etwas verfügt, wird nichts passieren. Und wie die Urteile ausfallen, hängt von den jeweiligen Entscheidungsträgern ab. Dahinter steht eine ganze Wissenschaft, die weder ich noch sonst jemand hier auf gutefrage.net beherrscht.
Jeder Mensch darf bedingungslos Respekt einfordern, auch du. Muslime müssen respektieren, woran du glauben willst und woran nicht. Es gibt keinen Zwang im Glauben. Aber wenn Muslime für sich entschieden haben, an ihre eigene Religion zu glauben, dabei niemandem zu schaden und lediglich für sich ihre Pflichten zu erfüllen, dann musst du das ebenso akzeptieren.
Viele muslimische Länder liegen ohnehin schon in krisenanfälligen Regionen dieser Welt. Das bedeutet nicht per se, dass der Islam schuld ist; es gibt viele Faktoren, die dazu geführt haben, dass momentan in muslimischen Ländern viel Unruhe herrscht. Wenn Muslime in Deutschland leben und ihre Zahl wächst, heißt das nicht automatisch, dass wir hier die gleichen Verhältnisse wie in islamischen Ländern haben werden
Um ehrlich zu sein; ich weiß nicht genau, was ich sagen soll. Insgesamt ist mir wichtig, dass du dich sicher fühlst. Es scheint, als ob du kein Vertrauen in Muslime hättest, weil du glaubst, dass sie dir etwas antun könnten. Das ist weder in meinem Interesse noch im Interesse von irgendjemandem sonst. Ich habe mir vorgestellt, wie es wäre, wenn du als eine Person, die aus dem Islam ausgetreten ist, mit einem Imam sprichst, nicht um zurückgeholt zu werden, sondern um dich darüber aufzuklären, wie der Austritt aus dem Islam in der muslimischen Gemeinschaft gehandhabt wird. Das könnte dir eventuell die Angst nehmen.
Gegen Extremisten, die Hass verbreiten und Gewalt verherrlichen, bin ich ebenso wie du. Das vereint uns – dich als Ex-Muslim und mich als Muslim. Deshalb ist es, denke ich, wichtig, dass wir als Gemeinschaft grundsätzlich zusammenhalten gegen alle Extremisten, die den Frieden stören und versuchen, uns zu spalten. Letzten Endes wollen wir alle auf dieser Welt einfach ein friedliches Leben führen. Auch wenn wir uns nicht in allem einig sind, ist das kein Grund, die jeweils andere Gruppe zu pauschalisieren oder mit Anschuldigungen zu kommen, die eher aus einer eigenen Unsicherheit oder Angst hervorgehen.
Ich wünsche dir jedenfalls ein friedliches und sicheres Leben. Peace.
Keine Angst (Offb.12,9),
"Deine Zeit" kommt noch (Joh.6,44; Offb.20,5).
Danke für diese schöne Antwort, das hat mich wirklich irgendwie sehr beruhigt. Auch das du dir die Zeit genommen hast finde ich schön.