römische & germanische Traditionen im Mittelalter
Hallo,
ich hab mich letztens mit einem Kumpel, der viel mehr Ahnung von Geschichte hat als ich, übers Mittelalter unterhalten. Dabei kamen darauf, dass das Mittelalter ja hauptsächlich ein Mischmasch, aus römischer und germanischer Kultur war, gemeinsam vereint unter der "Käseglocke" des Christentums...
Wir haben dann beide festgestellt, dass von der römischen Kultur nach 500 n. Chr. nur wenig übriggeblieben ist. Außer einen Bruchteil des architektonischen Könnens der Antike und einige wenige Erfindungen, wie z. B. die Herstellung von Glas oder besseren Waffen blieb eigentlich nicht viel, oder? Zumindest was Kleidung, Benimmregeln und "Politik" betraf, war das Mittelalter doch eher eine "Weiterentwicklung" von germanischen Traditionen, oder?
Wie gesagt, weder ich noch mein Kumpel sind Historiker oder kennen uns wirklich gut in der Materie aus... Deshalb wollte ich euch fragen, ob mir vielleicht jemand eine Webseite oder ein Buch empfehlen kann, dass sich nicht wie die meisten Geschichtsbücher, mit Königen, Kriegen und Schlachten, sondern eher mit der "Alltagskultur" des Mittelalters befasst!
Natürlich wäre ich auch sehr dankbar, wenn mir jemand direkt eine Antwort darauf geben könnte, was im Mittelalter eher aus römischer oder aus germanischer Tradition stammt, aber das ist bestimmt zu spezifisch und ich habe ja auch keinen Zeitdruck...
Vielen Dank für jede hilfreiche Antwort!
lg
........ vito
5 Antworten
Wie Jerne79 schon gesagt hat muss man von Region zu Region unterscheiden. In Skandinavien ist ein deutlich größerer germanischer Einfluss zu spüren als in Süditalien. Du beziehst dich aber wahrscheinlich auf den Mitteleuropäisch-"Fränkischen" Raum, oder? Für den südlichen Balkan, Griechenland und Anatolien ging es beispielsweise bis 1453 im Großen und Ganzen unverändert weiter.
Was aber ist im Mittelalter römischen und was germanischen Ursprungs? Vor allem die Charakteristiken der Römischen Kultur, wurde durch die Kirche getragen. Dinge wie die lateinische Sprache, Monogamie und das römische Recht, kamen aus der römischen Kultur. Die Germanen hingegen sprachen ihre eigene Sprache, der Adel lebte zumeist Polygam (auch nach der Christianisierung), und hatten ihr eigenes ungeschriebenes Gesetz. Auch wurde das lateinischen Alphabet, statt dem germanischen Futhark (der Runenreihe) verwendet. Letzteres wurde aber noch lange Zeit von den Skandinaviern verwendet. Was haben wir noch? Politik: Unter den Staufern wurde das alte römische Recht wieder etabliert. Die Kaiser nach Karl dem Großen waren Kaiser des Römischen Reiches (so sahen sie sich und so wurden sie auch gesehen, nur nicht in Konstantinopel). Die Königswahl, die es in England bis 1066, in Frankreich bis ca. 1250 und in Deutschland bis 1806 gab, hat sich hingegen aus dem germanischen Thingwesen entwickelt. Die Zahl der tatsächlichen Wähler wurde zwar immer kleiner, aber die Wahl des Anführers wurde beibehalten. Die Idee, dass der Kaiser eine Zwischenstellung zwischen Geistlichen und Weltlichen hat, kommt irgendwie aus beiden Kulturen. In der Römischen Kultur haben wir die Gottgleiche Stellung des Römischen Kaisers, bei den Germanen haben wir den Fürsten/Häuptling/König als Mittler zwischen den Menschen und den Göttern.
Desweiteren gibt es eine interressante Geschichte die nach dem Tod Heinrich IV. stattfand: da Heinrich als Exkommunizierter starb, durfte er nicht begraben werden. Daher wurde der Sarg öffentlich in der Kirche aufgebahrt. Nun sind die Bauern aus der Umgebung immer zu dieser Kirche gegangen, und haben Saatkörner auf den Sarg gestreut und diese dann später wieder mitgenommen um sie auf ihre Felder zu streuen und damit ihre Ernte zu steigern. Zumindest für das späte 11. und frühe 12. Jahrhundert kann man damit einen noch immer lebhaften germanischen Aberglauben in der Landbevölkerung feststellen.
Auch was das äußere Erscheinungsbild angeht, ist je nach Region ein deutlicher Einfluss bemerktbar. Ein germanischer freier Mann trug normalerweise langes Haar. Der Römer hingegen kurzes. Im Mittelalter konnte man darin immernoch lange Zeit die ethnische Zugehörigkeit ablesen. Die Galloromanische Bevölkerung trug kurzes Haar, der Germanische Adel hingegen langes Haar. Als die Normannen sich in der Normandie niederließen und romanisiert wurden, fingen sie an ihr Haar kurz zu tragen. Wodurch sie sich dann nach der normannischen Eroberung Englands von den langhaarigen Angelsachsen unterschieden. In Deutschland, dass zum großen Teil germanisch geblieben war, war langes Haar auch entsprechen häufiger als in Frankreich. Das gilt allerdings nur für das frühe Mittelalter, da sich ab dem Hochmittelalter die Mode veränderte und anglich.
So ich glaub das ist alles was mir gerade einfällt.
Ich empfehle zum Einstieg den Erlanger Historiker Stuart Jenks, der seine wirklich sehr unterhaltsamen Vorlesungen ins Netz gestellt hat und absolut allgemeinverständlich ist.
Hier ist die erste seiner 13 Vorlesungen über das Mittelalter, beginnend mit dem langsamen Verschwinden der römischen Strukturen und dem Aufkeimen einer germanisch-römischen Kultur.
Deshalb wollte ich euch fragen, ob mir vielleicht jemand eine Webseite oder ein Buch empfehlen kann, dass sich nicht wie die meisten Geschichtsbücher, mit Königen, Kriegen und Schlachten, sondern eher mit der "Alltagskultur" des Mittelalters befasst.
Wenn du bei Amazon o.ä. mal Alltag Mittelalter eingibst, wirst du von einer Flut von Literatur erschlagen. Es gibt Arbeiten für jeden Geschmack, von populärwissenschaftlich bis rein wissenschaftlich.
Ansonsten denke ich, daß ihr ein wenig die Regionen und Kulturen durcheinanderwürfelt. Man kann nicht unbedingt die Antike des Mittelmeerraumes mit der Kultur Mitteleuropas im Mittelalter vergleichen. In Mitteleuropa entwickelt sich z.B. der Hausbau kontinuierlich weiter, da gibt es keinen Bruch oder Rückschritt im Vergleich zur Vorgeschichte. Das gleiche gilt auch für z.B. Kleidung. Einzelne Elemente des alltäglichen Lebens werden von den Römern übernommen (z.B. ja auch sprachlich), aber das betrifft zwangsläufig vor allem jene Teile, die die Römer selbst in den Norden gebracht haben.
Davon abgesehen lebten in vorgeschichtlicher Zeit ganz unterschiedliche Kulturen in Mitteleuropa, dazu rauscht noch die Völkerwanderung durch unsere Region. Auch das Mittelalter ist nicht einheitlich und manche Sachen (z.B. auch Kleidung, Architektur) entwickeln sich je nach Region unterschiedlich.
Kurz: Man müsste die ganze Angelegenheit sehr viel differenzierter angehen, am besten mit konkreten Fragestellungen.
Wenn ihr euch weiter mit dem Thema beschäftigen wollt, wäre es sinnvoll, sich mit einigen Themen auseinanderzusetzen: Römer nördlich der Alpen, technische Entwicklung, vorgeschichtlicher Kulturen, politische Entwicklungen der Spätantike und des Frühmittelalters, ... Letztlich könntet ihr für jedes Thema, das euch interessiert, nach Wurzeln und Ursprüngen suchen, egal ob nun Kleidung, Technik, Hausbau, Religion, Politik, Gesetzgebung,... Bei einigen geht das recht flott, bei anderen ist das durchaus komplexer.
Ich weiß, daß meine Antwort etwas schwammig ist, mit einer konkreteren Frage wäre es ein wenig einfacher. Ein Abriss sämtlicher Entwicklungen und Traditionen wäre ein etwas mächtiges Unterfangen an dieser Stelle. ;)
Im Mittelalter war Latein die Sprache der Gelehrten, das war so ziemlich Alles, was an römischer Kultur übrig geblieben war.
Interessantes Thema!
Vielleicht hilft dir http://www.leben-im-mittelalter.net weiter. Da gibt es total viel über den Alltag im Mittelalter.
Google mal nach "Germanisches Neuheidentum", da erfährst du mehr über die germansichen Brauchtümer, vielleicht kannst du dadurch ein bisschen besser abschätzen, was römisch und was germanisch ist.