Robert Spaemann kritik gegen utilitarismus?

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Texte:

Robert Spaemann, Moralische Grundbegriffe. Originalausgabe. 9. Auflage. München : Beck, 2015, S. 61 – 72 (5 Gesinnung und Verantwortung oder: Heiligt der Zweck die Mittel?)

Robert Spaemann, Glück und Wohlwollen : Versuch über Ethik. 5. Auflage. Stuttgart : Klett-Cotta, 2009, S. 157 – 171 (Konsequentialismus)

Robert Spaemann, Grenzen : zur ethischen Dimension des Handelns. Stuttgart : Klett-Cotta, 2001. S. 193 – 212 (Über die Unmöglichkeit einer universalteleologischen Ethik)

Der Philosoph Robert Spaemann ist Gegner des Utililtarismus.

Robert Spaemann argumentiert gegen Utilitarismus als ethischen Gesamtansatz.

Nützlichkeitsüberlegungen und Orientierung an Zwecken lehnt er nicht grundsätzlich ab. Für verfehlt hält er aber, das Verhältnis des sittlichen Handelns zu seinem Zweck unter dem Gesichtspunkt einer Kosten-Nutzen-Rechung bzw. einer Nutzenmaxmierung zu betrachten. Seiner Auffassung nach kann der Utilitarismus nicht beanspruchen, die einfache, im Gewissen gegebene Sollenserfahrung angemessen wiederzugeben. Alles in der Beurteilung von einer Optimierung des Gesamtzustandes der Welt abhängig zu machen, hält er für nicht realisierbar. Die moralische Qualität der einzelnen Entscheidung und Handlung werde im utilitaristischen Ansatz unklar. Alles gelte beim Utilitarismus nur als Mittel zu einem Zweck und Menschenwürde und Wert der Person sei keine Schranke, die eine Verletzung verbietet. Es dürften z. B. unschuldige Menschen getötet werden, wenn jemand droht, sonst eine größere Anzahl von Menschen zu töten, und es dürfte Folter angewendet werden, um einen bestimmten Zweck zu erreichen.

Beim Utilitarismus komme es zu einer Zweiteilung der Welt in möglicherweise sittliche (moralisch gute) Einzelsubjekte und einen Bereich objektiver außermoralischer Güter, deren Maximierung jederzeit zu wollen die Einzelsubjekte als sittlich (moralisch gut) qualifiziert. #

Der Utilitarismus ist seiner Auffassung nach eine Theorie, der es nicht gelingt, in einer Reflexion das intuitiv erlebte sittliche Bewußtsein zu rekonstruieren. Bei dem Versuch, Form und Inhalt der sittlichen Verpflichtung zu untersuchen und so eine ethische Theorie mit einem ableitenden Zusammenhang herzustellen, hat der Utilitarismus seiner Aufassung nach die Beweislast. Robert Spaemann urteilt, der Utilitarismus könne seinen Anspruch nicht einlösen. Dies begründet er mit folgenden Einwänden:

1) Fehlen der erforderlichen Kohärenz (Zusammenhang, Einheitlichkeit) und Widerspruchsfreiheit, in bestimmten Situationen sogar Förderung des Gegenteils des Beabsichtigten (z. B. wegen Möglichkeit der Erpressung, wenn der Zweck immer die Mittel heiligt)

2) Unmöglichkeit, ein konkretes sittliches Urteil aus utilitaristischen, das heißt universalteleologischen Prämissen (Voraussetzungen) ohne bestimmte Zusatzannahmen zu gewinnen

3) keine grundsätzliche Unterscheidung zwischen technischen und sittlichen Normen und dadurch Auslieferung des Gewissens an die instrumentelle Vernunft (Zweck-Mittel-Rationalität), sobald es um inhaltliche Normen geht

4) keine Ableitbarkeit bestimmter, für alle Moral grundlegender Prinzipien wie der Gerechtigkeit durch utilitaristische Erwägungen, sondern sogar ihre Aufhebung/Beseitigung

5) systematische Überforderung der Handelnden, zugleich durch die Lehre von der Situationsbedingtheit aller Pflichten Unterbeanspruchung des Gewissens

zu 1): Es sind Fälle denkbar, wo eine utilitaristische Handlungsweise die schlechteren Folgen hat. Vor allem besteht die Möglichkeit einer Erpressung zu Handlungen mit schlechten Folgen durch Drohung einer Handlung mit noch weit schlechteren Folgen. Dann würden z. B. unschuldige Menschen getötet, wenn jemand droht, sonst eine noch weit größere Anzahl Menschen zu töten. Das Nachgeben im Utilitarismus hat schlechtere Folgen als eine Pflichtethik.

zu 2): Menschen können als endliche Wesen die Idee einer besten Welt, die optimalen Zustand des Weltganzen nicht mit Bestimmtheit angemessen fassen, wodurch eine Ableitung von Handlungsanweisungen unmöglich ist. Es sind zusätzliche Annahmen nötig, um qualitative Maßstäbe zu haben, die zu einer eindeutigen Rangordnung möglicher Verläufe des Weltganzen führen.

zu 3): Weil es für die Sittlichkeit einer Handlung auf die Maximierung vom Zuständen ankommt, wird eine sittliche Norm in eine technische verwandelt: die Anweisung, das zu tun, was zu der Herstellung der größten Zahl erfreulicher Zustände die zweckmäßigste Handlung ist. Es kann nicht gut utilitaristisch begründet werden, dem Handeln im Dienst von Optimierungsstrategien irgendwelche moralische Grenzen zu setzen, wenn das Moralische erst durch die Strategie selbst definiert wird. Handlungen wie Tötung Unschuldiger und Folter können unter Umständen bei einer Abwägung im Rahmen der Optimierungsstrategie für erlaubt erklärt werden. Prinzipien wie die Würde von Personen sind keine festen Grenzen, deren Verletzung unerlaubt ist.

zu 4): Das Prinzip des größtmöglichen Glücks der größtmöglichen Zahl enthält keine Regeln über die Verteilung des Glücks. Eine unfaie Verteilung ist daher nicht ausgeschlossen.

zu 5): Die letzlich eintretenden Folgen für die Welt können Menschen nicht genau und mit Sicherheit berechnen. Die Folgen sind zu verwickelt und unvorhersehbar. Auf jeden Fall das Bestmögliche zu tun, ist eine Überforderung. Zugleich geschieht eine Unterforderung, weil sittliche Einzelnormen preisgegegeben und geopfert werden dürfen.


Robert Spaemann ist gläubiger Katholik! Er glaubt nicht nur an einen Schöpfergott und die Erlösung durch Kreuzestod Jesu und dessen Auferstehung, er bezieht aus diesem Glauben letztlich auch seine Werte. Das ist sein gutes Recht, nur muss man das wissen. Denn:

Der Utilitarismus ist als Folge der englischen Aufklärung der Versuch, Werte des menschlichen Zusammenlebens zu bestimmen, die nicht auf einen Glauben an Gott gegründet sind - oder wie bei Kant - ersatzweise an die göttliche Vernunft. Der Utilitarismus ist also das a-religiöse Konstrastprogramm zum Gottglauben des Robert Spaemann. Es wäre ein Wunder, wenn der gläubige Robert Spaemann eine a-theistische Wertefundierung gut finden würde.

Solange jedoch die Meinungs- und Glaubensunterschiede mit Argumenten ausgefochten werden, ist das kein Problem, denn natürlich ist der Utilitarismus - oder besser - verschiedene Versuche, Moral ohne Gott zu begründen - kritisierbar und diese Diskussion gibt es innerhalb der Utilitaristen seit Adam Smith, der ja nicht nur Ökonom sondern auch Moralphilosoph war.

Hi;- ich mach mir jetzt mal gar nicht die Mühe, wiederzugeben was ich noch aus meinem Philostudium so zu deiner Frage zusammenbringe. Das hier hättest du auch im Netz finden können: "... Beiträge zu Grundfragen der Ethik, etwa zur Moralbegründung, zum Begriff der Menschenwürde und zum Verhältnis von Natur und Recht. Spaemann argumentiert dabei vor allem in kritischer Abgrenzung zur utilitaristischen Ethik, für welche die Förderung des "größten Glücks der größten Zahl" das Kriterium des moralisch richtigen Handelns ist.
Ihr wirft er vor, grundlegende Moralvorstellungen zu funktionalisieren,
also einer universalen Optimierungsstrategie zu opfern. So werde
insbesondere die Unbedingtheit und Unantastbarkeit der Menschenwürde in
Frage gestellt, wenn diese zum Teil eines Optimierungsprogrammes gemacht
werde. Stattdessen versucht Spaemann, die Personenwürde in der "Natur",
das heißt einer nicht mehr hinterfragbaren und nicht mehr
rechtfertigungsbedürftigen Normalität, zu fundieren.
" Spaemann selbst ist ein religiös sozialisierter neuzeitlicher Erbe und Vertreter aufgeklärten Denkens.

Wer dies weiß und versteht kennt auch den Widerspruch zwischen der Logik, die 1. zur naturrechtlichen Formulierung der Menschenrechte als Rechtsuniversalie führt und 2. den Postulaten des Utilitarismus, die in ihrem Anspruch als gültige Option auf die Formulierung einer ethischen Grundlage mit Allgemeingüligkeitsanspruch bereits ein Widerspruch in sich sind. Dies hat Spaemann u.a. auch nochmal für diejenigen in Erinnerung gerufen, die den Kategorischen Imperativ von Kant (immer) noch nicht verstanden haben oder für nicht praxistauglich halten.

Abschließender Hinweis:

zu 1) wäre die bewußte Entscheidung zwischen lebenswertem und -unwertem Leben unmöglich ebenso wie der Anspruch auf Wertüberlegenheit eines Individuums über ein anderes überhaupt weil die Frage wer über das Wissen für eine solche Entscheidung verfügen kann solange er nicht Gott ist entweder durch Gewalt und Macht oder garnicht zu entscheiden wäre - vor allem nicht logisch

zu 2) sehr wohl.

Das eigentlich Problem daran ist aber (und man möchte sich da an den Kopf fassen und sinnlos besaufen): wie kann es möglich sein, dass eine so bescheuerte "Theorie" sich überhaupt entwickeln und so lange halten konnte. - Meine Vermutung: Sie wird i. d. R. solange von denjenigen vertreten, die von dieser Idee nicht betroffen sind und profitieren - bis sie betroffen sind. Das wäre aber (Massen-) Psychologie - nicht mehr Philosophie und ein Argument für den offensichtlichen Entwicklungsbedarf des Menschen.

Gruß


Die Frage läßt sich am besten mit Spaemann selbst beantworten:

"Der Utilitarismus liefert das sittliche Urteil des normalen Menschen der technischen Intelligenz von Experten aus: Er verwandelt sittliche in technische Normen (…) Der Utilitarismus (…) entmündigt das Gewissen das Gewissen zugunsten von Ideologen oder Technokraten.“ (Robert Spaemann „Moralische Grundbegriffe“,1982, S.68)