''Nichts ist im Geist, was nicht vorher in den Sinnen war.'' Wie seht ihr das?

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Die Erfahrung der Sinne ist ein Ausgangspunkt für Wissen über die (reale) Welt und Tatsachenbehauptungen sind an der Erfahrung auf ihre Gültigkeit zu überprüfen, aber der empiristische Standpunkt ist überzogen und einseitig. Der Verstand ist nicht einfach nur ein zu Beginn leerer Behälter. Bei der Wahrnehmung ist nicht etwas einfach gegeben, sondern eine Fähigkeit zu unterscheidendem Erfassen wird angewendet. Ganz elementar ist der Satz vom (zu vermeidenden) Widerspruch. Dieser ist nicht vorher in den Sinnen und kommt erst danach in den Geist. Auch beim Rationalismus, wie ihn z. B. René Descartes vertreten hat, gibt es Schwächen.

Die Aussage ist mit einem bestimmten Bezug ein von David Hume vertretener Standpunkt, aber das Zitat ist älter. In der mittelalterlichen Scholastik gibt es schon lateinische Formulierungen dieser Art. Sogar dafür bis zu Aristoteles zurückzugehen, ist versucht worden, auch wenn dieser dabei ein etwas falsch verstanden worden ist. Sachlich näher liegt dem Standpunkt Epikur.

Marcus Tullius Cicero, De finibus bonorum et malorum 1, 19 (§ 64):
Nisi autem rerum natura perspecta erit, nullo modo poterimus sensuum iudicia defendere. quicquid porro animo cernimus, id omne oritur a sensibus; qui si omnes veri erunt, ut Epicuri ratio docet, tum denique poterit aliquid cognosci et percipi. quos qui tollunt et nihil posse percipi dicunt, ii remotis sensibus ne id ipsum quidem expedire possunt, quod disserunt. praeterea sublata cognitione et scientia tollitur omnis ratio et vitae degendae et rerum gerendarum.

„Wenn aber nicht die Natur der Dinge durchschaut sein wird, werden wir auf keine Weise die Urteile der Sinne verteidigen können. Was auch immer wir aber nun mit dem Geist wahrnehmen, entsteht von den Sinnen/nimmt seinen Anfang von den Sinnen/hat seinen Ursprung von den Sinnen; wenn alle diese wahr sein werden, wie Epikurs Lehre lehrt, dann überhaupt wird man etwas erkennen und erfassen können. Diejenigen, die diese aufheben/beseitigen und sagen, nichts könne durchschaut/erkannt/wahrgenommen werden, können nach Aufhebung/Beseitigung der Sinne nicht einmal dies erläutern/darlegen/auseinandersetzen, was sie erörtern. Außerdem wird mit der Aufhebung/Beseitigung der Erkenntnis und Wissenschaft jedes Verfahren für die Lebensführung und die Besorgung der Angelegenheiten aufgehoben/beseitigt.“

empiristische Erkenntnistheorie bei Locke

Eine Erkenntnistheorie mit einem Standpunkt des Empirismus vertritt John Locke. Empirismus ist eine philosophische Richtung, die behauptet, Erfahrung (dies ist die Bedeutung des griechischen Wortes ἐμπειρία) sei der einzige Ursprung von Erkenntnis über die Welt. Erfahrung wird zur notwendigen Bedingung und zum Grund aller Erkenntnisse erklärt. Als wissenschaftliche Methode gilt für den Empirismus allein das Ausgehen von Beobachtung und Experiment. Der Verstand (oder Ähnliches) gilt als sekundär, als abgeleitet.

Nach der Lehre des Empirismus nimmt jedes Wissen seinen Anfang in der Erfahrung und unterliegt ihrer Kontrolle. Erkenntnisse werden induktiv aus dem, was der Erfahrung gegeben ist, gewonnen. Empirismus leitet also Wissen allgemein aus der Erfahrung ab (nicht aus dem Verstand oder der Vernunft, wie der Rationalismus annimmt), die für (sinnlich) gegeben gilt.

John Locke lehnt die Vorstellung unveränderlich angeborener Ideen ab und meinte, durch bloßes Denken sei kein Wissen möglich, sondern allein durch Erfahrung. Nichts sei unveränderlich angeboren und der Verstand bilde sich bei den einzelnen Menschen erst im Verlauf des Verstehens heraus. In seinem Werk „An essay concerning humane understanding“ (1689; „Ein Versuch über den menschlichen Verstand“) stellt Locke den (nicht neuen) Grundsatz auf: Nihil est in intellectu quod non prius fuerit in sensibus („Nichts ist im Verstand, was nicht vorher in den Sinnen gewesen ist.“). Der Verstand (der menschliche Geist/das Bewusstsein) ist seiner Meinung nach bei der Geburt eine tabula rasa (ein unbeschriebenes Blatt/eine leere Tafel) und erst die Erfahrung schreibt darauf. Dies geschehe durch Sinne (Sensualismus), die Sinnesempfindung (sensation) – äußere Erfahrung - und die Selbstbeobachtung (reflection) – innerer Erfahrung- .


Albrecht  23.04.2013, 05:36

Von einer platonischen Auffassung her kann gegen den Rationalismus, wie ihn Descartes vertritt, eingewendet werden, die Vergegenwärtigung von Vorstellungen im Bewußtsein für das Grundlegende am Denken zu halten, wobei die Klarheit und Deutlichkeit Maßstab für eine gewisse Erkenntnis sind.

Gegen den Empirismus ist einzuwenden, die Sinneswahrnehmung mit einer zu großen Aufgabe zu überfrachten. In der Wahrnehmung steckt eine Neigung, zu einem unbestimmten Allgemeinen hinsichtlich der Einzeldinge zu kommen, etwas Einzelnes unmittelbar als etwas Allgemeines aufzufassen. Die Wahrnehmung hat zwar einen Bezug zu einem konkreten Einzeldings, aber der Denkinhalt ist in diesem Fall allgemein, ohne gut zu unterscheiden, was an Informationen zu dem Wahrgenommenen zu dem Allgemeinen einer Sacheinheit wirklich gehört und was nicht. Insofern kann nach platonischem Deutungsansatz ein abstraktes und konfuses (verworrenes und zusammengemischtes) Erkennen der Einzeldinge bei einem Wahrnehmen auftreten, bei dem nicht begriffliches Denken der Vernunft/des Verstandes hinzukommt. Wahrnehmbares und Begreifbares in der Erkenntnis des Einzelnen selbst ist zu unterscheiden.

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Albrecht  23.04.2013, 05:36

Die Induktion (Schließen von Einzelfällen auf einen allgemeinen Zusammenhang) leiste keine allgemeingültige Begründung, ihr eine Folgerung als mit Sicherheit notwendig zuzusprechen. Eine absolute Notwendigkeit einer Abfolge von Ereignissen bestimmter Art auch in Zukunft könne nicht aus der Erfahrung abgeleitet werden. Wenn bislang Ereignisse miteinander verbunden waren, ergebe sich aus der Erfahrung nicht die Notwendigkeit einer immer so weitergehenden regelmäßigen Verbindung Dafür seit zusätzlich eine Annahme über eine Gleichförmigkeit und Beständigkeit der Natur Voraussetzung. Die Erfahrung könne nur wiederholte Wahrnehmungen einer Abfolge (z. B. beim Zusammenprall von Billardkugeln) bieten. Daraus entstehe eine Erwartung über die Zukunft. Die Macht der Gewohnheit bringe die Einbildungskraft dazu, eine Kausalbeziehung herzustellen.

Bei David Hume ist somit eine Portion Skeptizismus vorhanden. Bei Tatsachenurteilen hält er nicht mehr als Wahrscheinlichkeit für erreichbar.

Geometrie

Geometrie ist ein Teilbereich der Mathematik und reine Mathematik. Ihr Gegenstand sind Gedankendinge. Dies können als geistige Konstrukte verstanden werden.

Eine sehr spannende Frage ist, warum die Mathematik mit ihren abstrakten Gedankendingen (Konstrukten) so gut auf die tatsächliche Welt (die empirische Wirklichkeit) paßt, also erfolgreich angewendet werden kann.

Sätze der reinen Mathematik gelten unabhängig von der empirischen Realität. Ihre Wahrheit ist nicht erst daraus abgeleitet. Unterschiede gibt es in dem Standpunkt, ob Mathematik bloße Konzepte/Konstrukte enthält oder Zahlen, Figuren und mathematische Gesetze unabhängig vom Denken existieren. Sätze der Geometrie können veranschaulicht werden, aber sie können nicht auf der bloßen Grundlage von Erfahrung ohne weitere Erkenntnisvermögen erkannt und bewiesen werden.

Vernunfterkennnis/Verstandeserkenntnis (Ratio) dafür zugrundezulegen, ist einleuchtend.

Allerdings handelte es sich bei reiner Mathematik nicht um Tatsachenurteile (matters of fact), die David Hume von Urteilen unterschieden hat, die bereits vorhandene Vorstellungen in Beziehung zueinander setzen (beispielsweise in der Mathematik).

Die Sätze sind keine Vergrößerung/Erweiterung des Wissens über die reale Welt. Dies wäre erst bei angewandter Mathematik der Fall.

Angeborene Ideen sind eine sehr anfechtbare Annahme. Allerdings kommen die philosophischen Richtungen Rationalismus und Idealismus auch ohne diese Annahme aus und ihre Vertreter haben sie meistens auch nicht zugrundegelegt. Erkenntnisvermögen mit Denkgesetzen und Prinzipien, die jeder Erfahrung vorausgehen, reichen aus.

Empirismus und Rationalismus

Immanuel Kant hat in seiner Transzendentalphilosophie eine Synthese (Verbindung) der Ansätze des Empirismus und des Rationalismus versucht, bei der die beiden Erkenntnisstämme Sinnlichkeit (Erfahrung und Anschauung) und Verstand ((Verstand und Vernunft) zusammenkommen.

Gegen den Rationalismus, nach dem alles für das Erkennen Wesentliche der reine Verstand leistet, richtet sich der Einwand, die Rolle des Erfahrungsmaterials zu vernachlässigen, das der Verstand verarbeitet, und (auch bei aus reiner Vernunft stammenden Erkenntniselementen) nur für eine mögliche Erfahrung (also auch nur soweit Erfahrung überhaupt reicht) zu gelten, nicht für das darüber Hinausgehende (das Transzendentale, das Ding an sich).

Gegen den Empirismus richtet sich der Einwand, die Rolle der Instanzen zu vernachlässigen, die unstrukturierte Sinnesdaten in den sinnlichen Wahrnehmungen aktiv erfassen, formen und verarbeiten. Erfahrung kann nicht die alleinige Erkenntnisquelle sein (ohne zusätzliches Denken ist eine Entscheidung nicht möglich, was sicher zutrifft, denn sonst stehen im Streitfall oder Zweifel einfach nur sich widersprechende Eindrücke gegenüber). Sie allein kann nicht die Gültigkeit von Erkenntnis begründen und aus ihr kann nicht alles abgeleitet werden (z. B. mathematische Erkenntnisse).

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Albrecht  23.04.2013, 05:35

John Locke meint, alle Bewußtseinsinhalte (z. B. auch Vorstellungen und Begriffe) stammten aus der Erfahrung. Bei der Sinnesempfindung, einer äußeren Erfahrung, gelangten nicht die Dinge der Umwelt selbst, sondern ihre Qualitäten/Eigenschaften ins Bewußtsein (bei primären Qualitäten wie z. B. Ausdehnung entspreche die Wahrnehmung den Eigenschaften der Dinge, selbst, bei sekundären Qualitäten wie z. B. Farbe seien die Empfindungen von Kräften hervorgerufen). Bei der inneren Erfahrung beobachte das Bewußtsein seine eigene Tätigkeit. Die grundlegenden Bestandteile des Erkennens seien einfache Vorstellungen, die einfache Abbilder von Eindrücken seien. Komplexe Vorstellungen bilde der Verstand durch Kombination einfacher Vorstellungen, ohne aber neue einfache Vorstellungen hinzufügen zu können.

John Locke führt das Entstehen von Erkenntnis also auf Erfahrung zurück, nämlich auf Sinneswahrnehmung und Wahrnehmung der Tätigkeiten/Operationen des Geistes bei deren Verarbeitung.

Idee/Vorstellung (idea) ist in seiner Theorie das, was Objekt/Gegenstand des Verstandes ist, wenn ein Mensch denkt. Dies kann jeder beliebige Bewußtseinsinhalt im Prozeß des Denkens sein.

Voraussetzungen sind Gedächtnis und Sprache.

Die einfachen Ideen/Vorstellungen (simple ideas) sind elementare Bausteine der Erfahrung. Dies beginnt mit durch einen Sinn vermittelten Ideen/Vorstellungen wie bestimmten Farben, Tönen, Geräuschen, Gerüchen, Geschmäcken. Der menschliche Verstand ist dabei nach Lockes Theorie passiv. Durch Kombinieren einfacher Ideen/Vorstellungen entstehen nach Locke zusammengesetzte Ideen/Vorstellungen (compound ideas) oder mit einem anderen Namen komplexe Ideen/Vorstellungen (complex ideas). Eine Bündelung einfacher Ideen/Vorstellungen geschieht. Auf der Stufe des Kombinierens setzt nach der vertretenen Erkenntnistheorie eine aktive Tätigkeit des Geistes ein. Die zusammengesetzten Ideen/Vorstellungen treten häufig in wiederkehrenden und beständigen Kombinationen auf, so daß sie mit Namen oder Wörtern benannt werden, deren Klang im Geist der Hörenden sofort eine entsprechende Idee/Vorstellung hervorruft.

Relationen (relations) drücken ein Verhältnis verschiedener Ideen/Vorstellungen zueinander aus, indem sie vergleichend in Beziehung zueinander gesetzt werden, unter Gesichtspunkten der Übereinstimmung und Nichtübereinstimmung.

Abstraktion (abstracting) wird von Locke als einziges Verfahren der Verallgemeinerung von einfachen Ideen/Vorstellungen behandelt. Sie fasse viele Vorstellungen/Ideen zusammen, gehe aber dabei schablonenhaft vor und lasse viele individuelle Bestimmtheiten weg. Daher beurteilt Locke sie als unsicher.

rationalistische Gegenposition bei Leibniz

Gottfried Wilhelm Leibniz hat einen Rationalismus vertreten, einen dem Empirismus entgegengesetzten Standpunkt. Deshalb fügt er eine entscheidende Einschränkung hinzu: Nihil est in intellectu quod non prius fuerit in sensibus, excipe: nisi intellctus ipse („Nichts ist im Verstand, was nicht vorher in den Sinnen gewesen ist, außer/ausgenommen der Verstand selbst.“).

Leibniz meint damit den Verstand mit seiner geistigen Tätigkeit, wobei er angeborene Ideen annimmt oder zumindest den Anschein erwecken kann, solche anzunehmen. Der Verstand müsse schon auf eine Weise eingerichtet sein, Sinneseindrücke verarbeiten zu können. Alles Begreifen setze den Intellekt schon voraus. Der Verstand ist seinem Verständnis gegenüber der Erfahrung eine eigenständige Größe.

empiristische Erkenntnistheorie bei Hume

David Hume hat die von John Locke vertretene empiristische Erkenntnistheorie weiterentwickelt, vor allem in seinem Werk „Enquiry concerning human understanding“ (1748; „Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand

Nach David Hume gibt es im Geist/Verstand verschiedene Bestandteile der Erfahrung. Die Bewußtseinsinhalte (perceptions) unterteilt er in primäre Eindrücke (impressions) und sekundäre Vorstellungen/Ideen (ideas*). Die Vorstellungen/Ideen seien schwächerer/blassere Abbilder der Sinneseindrücke (die lebhafter seien).

Alle abstrakten Ordnungsbegriffe stammen nach Hume aus der Verknüpfung/Assoziation der Vorstellungen/Ideen, indem Menschen aus dem regelmäßigen Beisammensein von Sinneseindrücken Begriffe bilden. Prinzipien der Verknüpfung/Assoziation seien Ähnlichkeit, zeitliche oder räumliche Nachbarschaft/Berührung und regelmäßige Abfolge (Verhältnis Ursache – Wirkung/Kausalität).

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DrGonzo111 
Beitragsersteller
 23.04.2013, 15:15
@Albrecht

Das ist ja alles schön und gut :) Die Literatur kenne ich auch. Ist ja alles Philosphiegeschichte. Aber das beantwortet meine Frage leider nicht.

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Albrecht  24.04.2013, 00:45
@DrGonzo111

Ohne eine Erläuterung von Zusammenhängen hängt eine Antwort ziemlich im Leeren.

Ich habe die Frage beantwortet.

Der erste Absatz meiner Antwort enthält eine Stellungnahme. Ich stimmte der empiristischen Aussage („Nichts ist im Geist, was nicht vorher in den Sinnen war.") nicht zu und halte eine Rolle der Vernunfterkenntnis für richtig.

Die Bedeutung der Sinne für das Ereichen von Wissen über die Welt ich damit nicht.

Reine Mathematik ist besonderer Bereich (vgl. im meinen Kommentaren unter „Geometrie"), in dem Erkenntnis der nicht aus Erfahrung abgeleitet werden kann.

Dazu, was mit guten Argumenten am Empirismus (und auch am Rationalismus kritisiert werden kann (von platonischen oder kantischen Ansätzen der Erkenntnistheorie her), steht etwas in meinen Kommentaren unter „Empirismus und Rationalismus").

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Rene Descartes?


DrGonzo111 
Beitragsersteller
 22.04.2013, 17:00

Die analytische Geometrie , ja. Das Zitat ist von David Hume.

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